Kann
sich einer noch an die Debatte über eine aktivere deutsche
Außenpolitik erinnern? Kaum ein Jahr ist es her, als die Wellen
meterhoch schlugen. Ich war damals gerade von einem
Korrespondentenposten in der Türkei nach Berlin umgezogen und
wunderte mich, warum so viele Deutsche etwas gegen mehr Engagement
ihres Landes in der Welt hatten.
Dem Bundespräsidenten wurde unterstellt, er wolle die Außenpolitik militarisieren. Der Außenminister und die Verteidigungsministerin mussten ähnliche Vorwürfe ertragen. Das Misstrauen zog sich von den Blogs bis in die Kommentare großer Zeitungen. Nach einer Umfrage der Körber-Stiftung plädierten sechzig Prozent der Deutschen dafür, die Deutschen sollten sich bei internationalen Krisen nicht stärker engagieren. Empfehlung: Raushalten!
Schon
ein Jahr später wirkt das wie ein fernes Echo aus einer vergangenen
Welt. Die EU ist heute von Kriegen umgeben. Leider keine kurzen
Feldzüge, sondern Bürgerkriege und ein Krieg zwischen Staaten in
Osteuropa. Zu Syrien ist der Irak hinzugekommen, dann Libyen und die
Ukraine. In Afrika lodern weitere Krisenherde. Immer mehr Flüchtlinge
kommen nach Europa, Deutschland hat so viel Asylbewerber wie seit den
neunziger Jahren nicht mehr.
Wir können vielleicht vom Raushalten träumen, aber die Konflikte kommen zu uns. Die Krise – das ist die neue Normalität.
Umbau im Auswärtigen Amt
Und
die braucht Antworten. Als die große Koalition Ende 2013 antrat,
hielten manche in Berlin Außenpolitik für ein Orchideenfach, für
das man Außenminister Frank-Walter Steinmeier fast bemitleiden
müsste. Der trat an mit Großreinemachen. "Review 2014 –
Außenpolitik weiterdenken" nannte das Auswärtige Amt die
Gesamtanstrengung, deren Ergebnisse jetzt vorliegen.
Sie bestand aus
drei Teilen: einer Befragung von Experten aus aller Welt, was deutsche
Außenpolitik besser machen kann; öffentlichen Diskussionen über
Außenpolitik in Deutschland; einer Befragung der Mitarbeiter im
Auswärtigen Amt, wie die eigene Behörde besser arbeiten kann. Die
Diplomaten sammelten viele gute Anregungen und Kritik ein.
Nun beginnt der Umbau. Im Amt werden mehrere Stäbe umgebaut zu zwei neuen großen Abteilungen: Die erste soll Krisen verhindern, bewältigen und Nachsorge betreiben. Die zweite soll sich um die Erhaltung der internationalen Ordnung und Abrüstung kümmern. So will Steinmeier den sich auftürmenden Krisen besser begegnen.
Das
wird nötig sein. Denn mittlerweile ist Deutschland in den großen
Konflikten um Europa in einer Weise engagiert, wie sich das vor einem
guten Jahr noch niemand vorstellen konnte. Im russisch-ukrainischen
Krieg ist Deutschland zum zentralen Vermittlerland geworden.
Frank-Walter Steinmeier versucht seit einem Jahr unaufhörlich, in
Verhandlungen die Hitze aus dem Konflikt zu nehmen.
Auf der Sicherheitskonferenz in München erklärte Angela Merkel, warum es besser sei, immer wieder zu reden als Waffen zu schicken. Die Kanzlerin reiste im Februar zwischen Russland, der Ukraine und den USA hin und her und erreichte sowohl einen Aufschub der Waffenlieferungsideen wie einen wackligen Waffenstillstand in der Ukraine. Damit brachte sie viele zum Staunen.
Merkel ist nicht Bismarck
Dafür muss man Merkel nicht gleich zur Bismarck-Wiedergängerin und Weltenlenkerin erklären, wie das einige Blätter provinzprotzig getan haben. Aber die deutsche Regierung macht genau das, was viele Deutsche gar nicht wollten: Sie engagiert sich. Sie zeigt, dass Kümmern und Teilhabe militärisch sein kann – wie mit den Waffenlieferungen an die Kurden im Überlebenskampf gegen die Kopf-ab-Dschihadisten. Und dass wohlverstandenes Engagement viel häufiger gar nicht militärisch ist: wie bei den Verhandlungen mit Russland und der Ukraine, die Krieg gerade verhindern sollen.
Wenn man genau hinsieht, drängen sich die Deutschen mit ihrem Engagement nicht auf, sondern reagieren zunehmend auf Notlagen. Sie werden Krisen künftig besser erkennen müssen, bevor sie groß werden. Es kann mehr hinzukommen, als uns lieb ist. In Libyen tobt ein Bürgerkrieg, auch wegen mangelnden Hinschauens nach der westlichen Intervention 2011. In der Ukraine droht unter den Attacken aus dem Osten, am Ende der ganze Staat zu kollabieren.
Noch immer sind nach neuesten Umfragen fast zwei Drittel der Bürger gegen mehr Engagement Deutschlands in der Welt. Aber zugleich sind rund zwei Drittel mit der Außenpolitik Deutschlands zufrieden. Das darf man als Ermunterung verstehen.
Kommentare
Genau so seh ich das auch
"Noch immer sind nach neuesten Umfragen fast zwei Drittel der Bürger gegen mehr Engagement Deutschlands in der Welt. Aber zugleich sind rund zwei Drittel mit der Außenpolitik Deutschlands zufrieden. Das darf man als Ermunterung verstehen." Es wird Zeit sich aus der Umklammerung der USA zu lösen. Das hat der Autor richtig erkannt. Endlich sieht das auch die Zeit so.
Außenpolitik.
>>> Es wird Zeit sich aus der Umklammerung der USA zu lösen. <<<
Ein größeres Engagement in der Außenpolitik hätte gewiß nicht zur Folge, dass man sich nicht mehr mit der amerikansichen Politik abspricht. Mit dem Irak und der Ukrainekrise gab es durchaus bereits unterschiedliche Gangarten, im Großen und Ganzen verfolgen beide Kontinente jedoch ähnliche Ziele.
Das Wundern des Wohlsituierten
"Ich ... wunderte mich, warum so viele Deutsche etwas gegen mehr Engagement ihres Landes in der Welt hatten"
Das liegt darin, dass die Deutschen, die weniger als das mittlere Einkommen verdienen (das ja wohl bei ca 2.000 Euro im Monat liegt), mittlerweile spitz hekriegt haben, dass dieses Land nicht ihr Land ist. Sondern das ihre Aufgabe darin gesehen wird, dieses Land zu finanzieren:
"Sparen fängt bei den Kleinen an - und hört da auch auf"
Die sind mit dem täglichen Überleben beschäftigt. Die haben keine Zeit für Grossmachtträume.
Die sind der Ansicht, dass man erst einmal seinen eigenen Laden in Ordnung bringen sollte. Bevor man die Völker ausschickt, die Wüste zu begrünen, sollte man erst einmal seine Topfflanzen gegosssen haben.
"Haushalten" und "Raushalten" hat einiges miteinander zu tun.
2000 € Brotto
und dann noch Steuern und Sozialabgaben .
Beim Fogendem
In Libyen tobt ein Bürgerkrieg, auch wegen mangelnden Hinschauens nach der westlichen Intervention 2011.
sehe ich keinerlei Verpflichtung zum Hinschauen für Deutschland. Das ist Aufgabe der damals Willigen einschließllich der Folgen in umliegenden Ländern. Einschlließllich der Aufnahme der Flüchtlinge von dort.
genau
Sehe ich ebenso. Was haben wir mit afrikanischen Konflikten zu tun. Gut, die Flüchtlinge kommen, aber die kann man auch wieder zurückschicken. Mir erschließt sich einfach nicht, warum Deutschland sich dafür interessieren muss. Durch ausländische Einmischung ist meines Wissens nach bis jetzt noch keiner dieser Konflikte besser geworden.
Das kommt schon ganz selbstverständlich daher!
"Im russisch-ukrainischen Krieg" - gehts noch????
Es gibt keinen russisch-ukrainischen Krieg! Es gibt einen ukrainischen Bürgerkrieg, der seinen Ursprung in einem u.a. mit 5 Mrd. US-amerikanischen Dollar finanzierten Umsturz hat. Diese Unverfrorenheit westlicher Arroganz hat Russland letztlich bewogen, ebenfalls die Flucht nach vorne anzutreten und seine Interessen (nun eben auch mit nicht sauberen Mitteln) zu wahren.
Was wäre die Alternative aus russischer Sicht gewesen? Sich weiter an die Regeln halten und warten, bis man bewegungsunfähig an der Wand steht?
n-tv titel gestern: "Ist das Baltikum noch sicher?" Es ist unglaublich! Kriegshetze wohin man klickt. Der Artikel von Herrn Thumann reiht sich ebenfalls dort ein, weil er in seiner Wortwahl und Argumentation dient, uns auf das "unvermeidliche" einzustimmen.
@4 <<Russland letztlich bewogen, ebenfalls die Flucht nach ..>>
Wie weit geht diese Flucht nach vorn?
Bis Tallin, Warschau, Prag und Bukarest?
Sie stellen Blankoschecks für einen in Notwehr handelten Putin aus!
Dabei bräuchten Sie nur einmal das Papier von gestern zu lesen!
Da steht der Masterplan drin!
Waren Sie gestern nicht on?