Artiom zeigt seine Pässe. Der Moldauer Pass ist blau, mit dem kann er seit knapp einem Jahr visafrei in die EU einreisen. Sein transnistrischer Pass ist dunkelrot, wie der Deutsche. So zeigt er seinen Patriotismus in der winzigen Region, in der er lebt. Zu Hause hat Artiom noch einen russischen Pass, denn er ist Russe. Damit wiederum könnte er problemlos in Moskau oder Sankt Petersburg Arbeit suchen. Eine komfortable Situation für den Bewohner eines nicht anerkannten Landes.
Aber der junge Mann bleibt in Transnistrien und kutschiert Ausländer durch die unwirtliche Hauptstadt Tiraspol, er betreibt ein Ein-Mann-Reiseunternehmen. Sie kommen aus Schweden, den USA und Deutschland, erzählt er. Artiom verdient Geld mit dem ungeklärten Status seines Vaterlandes, das nicht Moldau sein will und nicht Russland sein darf. Denn die Russen wollen es nicht haben. 2006 sprachen sich bei einem Referendum rund 97 Prozent der Bewohner Transnistriens für die Angliederung an Russland aus, aber Russland gibt ihnen immer wieder einen Korb. Lenin steht in der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol mit wehendem Mantel, direkt gegenüber das Denkmal für die Gefallenen des großen Vaterländischen Krieges. Ein japanischer Tourist macht Fotos.
"Wir sind neidisch auf unsere Kollegen auf der Krim", sagt Anatoli Dirum, er ist Politiker der alten Garde in Tiraspol und will jetzt eine neue Partei namens Öffentliche Bewegung gründen. Bedauernd fügt er hinzu: "Das Problem bei uns ist, dass wir keine gemeinsame Grenze mit Russland haben."
Die Straßen in Tiraspol sind trotzdem mit russischem Geld gebaut und breiter, besser und sauberer als auf der anderen Seite der Grenze, die eigentlich keine Grenze sein dürfte: Transnistrien gehört offiziell zur Republik Moldau, wartet jedoch seit 24 Jahren darauf, endlich ein eigener Staat zu werden. Rund 1.500 russische sogenannte Friedenssoldaten sind hier trotz einer Rückzugsvereinbarung von 1999 stationiert, sie stehen an der Grenzlinie und sind im Stadtbild sichtbar. Es ist leer auf den Straßen, wenige Leuchtreklamen blinken, in den Bussen gibt es immer freie Sitzplätze. Unzählige Menschen sind bereits gegangen, um im Ausland Geld zu verdienen, nach Russland, nach Saudi-Arabien, in die EU.
Wozu Panzer?
Das scheint auch Dirum Sorgen zu machen. "Wenn wir die Losung ausgeben: 'Dort, wo es gut ist, ist die Heimat', dann werden wir in Zukunft ein großes Problem hier haben." Ein Satz der lange nachhallt. Will er es nicht gut haben in seinem Land? Seine Antwort klingt sowjetisch: "Die Vielfalt der Völker im russischen Raum stützt sich nicht auf materielle Werte. Wahrheit und patriotische Werte sind das Wichtigste. Die Sowjetunion wird nicht wiederhergestellt, aber die Bestrebung besteht."
Dass materielle Werte doch nicht ganz unwichtig für die Transnistrier sind, zeigen sie, wenn sie zum Einkaufen in die glitzernde Welt der gigantischen Shoppingmalls in Moldaus Hauptstadt Chișinău fahren. Der Aufschwung dort ist auch ein Symbol für den schwindenden Einfluss des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf Moldau. 2014 unterzeichnete die kleine Republik ein Assoziierungsabkommen mit der EU und wurde daraufhin mit einem Exportverbot nach Russland bestraft. Obst, Fleisch und Wein dürfen nun nicht mehr die Grenze passieren, ein schwerer Schlag für den Agrarstaat Moldau. Moskau sieht es nicht gern, dass sich die ehemalige Sowjetrepublik nach Westen orientiert, will sie im eigenen Machtbereich halten. Der Vergleich zur Ukraine liegt nahe, deshalb fürchten manche in Moldau, der nächste Schritt könne eine de facto Annexion sein.
"Die Russen brauchen gar nicht in Moldau einzumarschieren, sie sind ja schon da", sagt ein Vertreter einer deutschen Nichtregierungsorganisation in Chișinău. Er meint die rund 1.500 sogenannten russischen Friedenstruppen in Transnistrien. Einen militärischen Vorstoß erwartet er dennoch nicht: "Moldau wird zwischen Transnistrien und der russlandhörigen Region Gagausien zerrieben. Moskau hat Zeit, es muss nur warten." Darauf, dass sein Einfluss auf die Regierung in Chișinău wieder groß genug ist und die Träume von einer EU-Mitgliedschaft von allein verschwinden. Im Agrarministerium sagt ein Mitglied einer der Regierungsparteien in Moldau: "Die Kommunisten sind doch in der Regierung, das ist Russlands Hebel, um in Moldau Einfluss zu nehmen, wozu Panzer?" So offen reden hier nur Menschen, die nicht mit ihrem Namen zitiert werden wollen.
Kommentare
Putin
hat sich das Ziel gesetzt, die Sowjetunion wieder auferstehen zu lassen.
Zitat: "Der Zusammenbruch der CSSR war die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts."
Auch wenn ich es nicht mag, Nazi-Vergleiche anzustrengen, wissen wir alle aus der Geschichte, dass imperalistische Staatslenker sich nie durch Kompromisse und Zurückweichen zufrieden stellen lassen.
Entfernt. Wir bitten von der Austragung von Privatfehden abzusehen und zu einer themenbezogenen und konstruktiven Diskussion zurückzukehren. Danke, die Redaktion/ch
Transnistrien
gibt es jetzt schon mehr als 20 jahre, also was soll das, die wollen/haben mit Moldau nichts mehr zu tun. Wenn die Moldauer in die EU wollen sollten sie sich Rumänien anschließen und gut ist. Das war ja der ursprüngliche Plan nach dem Zerfall der UdSSR und die Ursache für die Sezession.
MD gehört zu RO
Aber genau das (sich RO anschliessen)
wollen sie ja offensichtlich nicht-
diesbezügliche Angebote gab es ja schon wiederholt.
Obwohl es geschichtlich gesehen die einzig sinnvolle Lösung wäre
(Moldova lag früher diesseits UND jenseits des Pruth)
Falls sich Moldau erdreisten sollte,
eine eindeutige Hinwendung zur EU zu unternehmen, dann wird Moskau ganz schnell grüne Männchen schicken. (Wahlweise auch russische Soldaten, die, wie in aller Welt üblich (weil mit sämtlicher Ausrüstung) dort mal kurz eben ihren Urlaub verbringen.) Und dort ein rasches Referendum abhalten lassen. Um die Zeit zu verkürzen hat Genosse äh, Präsident, Putin der Große, das Ergebnis schon mal auf 93% nach unten! korrigiert. 104% Zustimmung waren selbst ihm zuviel. Jubelfeiern aller Orten. RT dreht schon mal an ähnlichen Orten um das journalistisch einwandfrei zu dokumentieren.
Ironie aus.
Aber so wird es leider trotzdem laufen.
Die Russen können nur dorthin "grüne Männchen" ...
<<< Aber so wird es leider trotzdem laufen. <<<
... schicken, wo diese prinzipiell willkommen sind. Und so wie die Krimbevölkerung mehrheitlich bereits in den frühen 1990ern den Anschluss an Russland wollte, so gibt es auch eine breite Mehrheit in Transistrien für die Ostbindung.
Bitte akzeptieren Sie, dass es Menschen gibt, die kein Interesse an einer Westbindung haben und die mit ausländischen "grünen Männlein" weniger Probleme haben, als mit den Ordnungskräften des Zentralstaates, zu dem sie gezwungenermaßen gehören.
Warum akzeptiert man nicht einfach die Wünsche ...
... der hiesiegn Bevölkerung?
Referendum ansetzen, internationale Beobachtermission dazu, damit keiner auf die Idee kommt zu pfuschen und abstimmen lassen.
Warum dieser elende Zirkus und die Transnistrier in einem Staat gefangenhalten, dem sie nicht angehören wollen?
Achso, ja, sonst würde ja die westliche Machtsphäre schrumpfen...ne, klar, dann lieber den nächsten Bürgerkrieg in Osteuropa riskieren!
@8 Valar Morghulis
Und bei Tschetschenien wird dann wieder mit unterschiedlichen Vorzeichen argumentiert. Ich liebe ehrliche, geradlinige Argumentation aus Prinzipien heraus.