Eigentlich dürfte es Billiglöhner wie Maik Felder (Name geändert) im Einzelhandel nicht mehr geben. Der Familienvater aus Berlin räumt bei Rossmann die Regale ein, frühmorgens von 5.30 Uhr bis 9 Uhr. Für körperliche Arbeiten wie diese sieht der Tarifvertrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Berliner Einzelhandel einen Stundenlohn von mindestens 9,52 Euro vor. Und selbst wenn Felder Leiharbeiter wäre, bekäme er neuerdings immerhin den Mindestlohn für Zeitarbeit, der im Osten bei 6,89 Euro die Stunde liegt. Doch Felder bekommt für seine Arbeit nur sechs Euro in der Stunde. Ein Unterschied, der Geringverdienern wie ihm am Monatsende weh tut. Sein Arbeitgeber ist nicht Rossmann selbst, sondern ein Subunternehmen namens ISS Instore Solution Services .
Das ist der Trick: Immer mehr Unternehmen übertragen zentrale Aufgaben an Subunternehmen. Diese Subunternehmen werden pro sogenanntem Werk bezahlt, beispielsweise für jede Palette an Waren, die Mitarbeiter in die Regale räumen. Über einen eigenen Arbeitgeberverband, dem Verband Instore und Logistik Services (ILS), haben vierzehn große Subunternehmen mit insgesamt 50.000 Beschäftigten einen Tarifvertrag geschlossen, der für Regaleinräumer wie Felder Niedriglöhne von 6 Euro die Stunde im Osten und 6,50 Euro im Westen vorsieht. Beide Tarife liegen deutlich unter dem Mindestlohn für Zeitarbeit (6,89 Euro im Osten, 7,79 Euro im Westen). Rossmann bestätigt, dass die Regaleinräumer der ISS inzwischen in jeder zweiten Filiale eingesetzt werden, das sind 800 Märkte.
Auf Anfrage von ZEIT ONLINE betont ISS, die Zufriedenheit der Mitarbeiter sei dem Unternehmen besonders wichtig, man habe die Sozialstandards durch den TÜV Rheinland überprüfen lassen. Warum der Dienstleister Beschäftigten wie Felder Niedriglöhne zahlt, sagte das Unternehmen nicht.
Methode Werkvertrag
Rund anderthalb Jahre nachdem durch den Schlecker-Skandal Lohndumping-Methoden in der Leiharbeit bekannt geworden waren, geht die Lohndrückerei im Einzelhandel also weiter – nur mit einem neuen Etikett. Wie viele Beschäftigte bundesweit von den Dumpingmethoden betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen. Werkverträge sind nicht meldepflichtig. Allein im Handel geht die Zahl in die Hunderttausenden, schätzen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter übereinstimmend.
Rossmann ist nicht das einzige Unternehmen, das die Methode Werkvertrag anwendet. Auch die Einzelhandelskonzerne Rewe und Real setzen auf die Niedriglöhner, berichtet der Stern in seiner aktuellen Ausgabe. Recherchen des Westdeutschen Rundfunks belegen, wie das Möbelunternehmen Ikea Lagerarbeiter aus Osteuropa mithilfe von Werkverträgen beschäftigt. Auch in der Industrie schließen Unternehmen in großem Umfang Werkverträge. Laut einer Umfrage der IG Metall unter knapp 5.000 Betrieben, werden Werkverträge in über einem Drittel der Unternehmen eingesetzt. Dabei lasse sich zunehmend Lohndumping beobachten, kritisiert Holger Timmer, Vorstand der IG Metall. "Die Sauerei hat System. Der Gesetzgeber hat die Auslagerung über Werkverträge nicht genügend geregelt, genau diese Grauzonen nutzen die Unternehmen jetzt aus", sagt Timmer.
Die Rahmenbedingungen in Deutschland begünstigen das Lohndumping durch Werkverträge. Das zeigt eine Expertise, die der Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Däubler im Auftrag der Linkspartei erstellt hat. Sie liegt ZEIT ONLINE vor. Demnach gibt es für Werkvertragler kein Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und kein Equal-Pay -Prinzip, das gleichen Lohn für gleiche Arbeit vorschreibt, solange ein Tarifvertrag nicht davon abweicht. Anders als beim Thema Leiharbeit hielten sich die Gewerkschaften bisher zurück, sagt Däubler. Die Betriebsräte wiederum, die mittlerweile beim Einsatz von Leiharbeitern oft Gehör fänden, hätten keinen Einfluss, wenn es um die Beschäftigung der Werkvertragler ginge. "Es verwundert nicht, dass Unternehmen Leiharbeit durch günstigere und weniger riskante Werkverträge ersetzen", bilanziert der Professor der Universität Bremen.
Verdeckte Leiharbeit
Das Lohndumping durch Werkverträge sei nicht nur moralisch abzulehnen, in der Praxis werde die Methode teilweise auch illegal angewandt, sagt Rainer Kuschewski vom ver.di-Bundesfachbereich Handel. Denn die Unternehmen bewegten sich juristisch auf einem schmalen Grad, wie am Beispiel der Regaleinräumer im Einzelhandel deutlich werde. "Entscheidend ist, wer den Verräumern die Arbeitsanweisungen gibt ", sagt Kuschewski. Wenn weiterhin das Supermarktpersonal die Arbeit koordiniere und kontrolliere, liege in Wirklichkeit Leiharbeit vor. "Das ist verdeckte Leiharbeit, die Werkvertragler müssen in diesem Fall zumindest den Mindestlohn für Leiharbeiter verdienen", sagt Kuschewski.
Kommentare
Sowohl Politik als auch Gewerkschaft...
...sollen jetzt nicht so tun als wäre das eine Überraschung.
Wie heißt es so schön im Zauberlehrling
"Herr, die Not ist groß
die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los"
Die GEWERKSCHAFTEN SOLLEN MAL NICHT SO TUN?
Wie meinen sie das? Wieso wollen sie dieses Problem den Gewerkschaften anhängen?
Die Gewerkschaften haben sich nicht selber kaputtgemacht.
Es war der neo-liberale Mainstream der den Gewerkschaften das Genick gebrochen hat.
Statt legitime Interessenvertreter der Beschäftigten waren sie plötzlich die bösen "Besitzstandswahrer". Und alle haben mitgeschrien.
DIE ZEIT nicht ausgenommen.
Heute stehen die Beschäftigten praktisch schutzlos da. Die Gewerkschaften sind schwach. Die sozialdemokratische Bewegung (obwohl rein zahlenmäßig sicherlich in der Mehrheit) ist einerseits selber vom Neoliberalismus irregeleitet und auf der anderen Seite ausgeblutet an DIE LINKE und DIE GRÜNEN.
Die Folgen sind unübersehbar:
Jeder Fledermaus hat in Deutschland eine mächtigere Lobby als die Arbeitnehmer.
Kundenboykott !
Seitdem bekannt wurde, dass Schlecker seine Mitarbeiter entließ und durch eine hauseigene Leiharbeitfirma im Niedriglohnsektor wieder einstellte, kaufe ich dort einfach nicht mehr ein.
Jetzt fällt Rossmann für mich auch weg. Schade.
Man könnte ja auch Plattformen des Internets nutzen, um mal die Niedriglöhne der einzelnen Firmen und die Namen der Verleiher zu listen. Wenn die solche "Sauereien" begehen, werden sie es als Umsatzeinbußen spüren.
Und auch die "Tarife" der Zeitarbeit mit 6.89 Euro sind doch ebenso eine "Sauerei".
Bei Real tragen die Kassiererinnen sogar auf ihren Namensschildern den Namen der Leiharbeitsfirmen. Da könnte man mal Briefe schreiben, Tausende.
Es reicht ! Wir sollten uns solidarisch wehren.
Hat jemand noch eine Idee, was man machen könnte?
Ihre Idee mit dem Boykott...
... sehe ich ganz genauso.
Ich kaufe schon seit geraumer Zeit nicht mehr bei Unternehmen wie Schlecker, Norma und co. ein. Jetzt wird sich wohl auch Rossmann dazugesellen (wobei ich eingestehen muss: besonders häufig war ich da zuvor auch nicht).
Ich denke nicht, dass solche Boykottaktionen tatsächlich etwas bewirken werden. Aber es ist doch zumindest mal ein Beitrag den der einzelne - und sei es bloß ein moralischer - leisten kann.
Ob hingegen die Politik den Niedriglohn bekämpfen kann bin ich mir auch nicht so sicher. Der Werkvertrag ist ein Urgestein des BGB. Ihn abzuschaffen wäre undenkbar, da er in anderen Bereichen vitale Funktion hat. Eine Meldepflicht wäre ebenso unpraktikabel. Was will man also unternehmen?
Ich denke der Weg wird nur darüber führen, die Unternehmen moralisch in die Pflicht zu nehmen. Das klingt jetzt natürlich nach einer völlig weltfremden Debatte, die da zu führen wäre. Doch muss unsere Gesellschaft endlich an einen Punkt gelangen, in der auch der einzelne wieder bereit ist Verantwortung zu übernehmen. Dass auch eine gewisse Solidarität zwischen den einzelnen Bürgern herrscht und diese nicht bloß vom Staat ausgeht.
Doch wie will man das erreichen? Ich kann Ihnen leider keine Antwort darauf geben.
Albert Einstein sagte einmal...
...Die ökonomische Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft heute ist meiner Meinung nach die eigentliche Ursache des Übels. Wir sehen vor uns eine riesige Gemeinschaft von Erzeugern, deren Mitglieder unaufhörlich bestrebt sind, einander die Früchte ihrer kollektiven Arbeit zu entziehen, - nicht mit Gewalt, aber in getreuer Einhaltung der gesetzlich feststehenden Regeln. In dieser Hinsicht ist es wichtig, zu realisieren, dass die Produktionsmittel - d.h. die ganze produktive Kapazität, die für das Produzieren von Verbrauchsgütern wie auch zusätzlichen lnvestitionsgütern erforderlich ist, - gesetzlich gesehen im privaten Besitz von Individuen sein können und zum größten Teil ist das auch so.
Dadurch dass der Arbeitsvertrag ,,offen" ist, wird das was der Arbeiter erhält nicht vom wirklichen Wert der produzierten Waren bestimmt sondern durch seinen Minimalbedarf und durch die Erfordernisse des Kapitalisten im Zusammenhang mit der Zahl der Arbeiter, die miteinander um die Arbeitsplätze konkurrieren. Es ist wichtig, zu verstehen, dass sogar in der [ökonomischen] Theorie die Bezahlung des Arbeiters nicht vom Wert seines Produkts bestimmt wird.
Ausschnitt aus seinem Essay " Warum Sozialismus"
http://www.secarts.org/jo...
Na ja...
...wir alle wissen, dass es anders geht, auch ohne Planwirtschaft. Ist noch nicht lange her: die Aufnahme Chinas in die WTO und die Ausweitung der EU-Freihandelszone mit folgendem *internationale Konkurrenz*-Geschwafel und flankierenden *alternativlosen* Gesetzen unter SPD/Grüne, ala Agenada 2010.
Oder wie anders als Planwirtschaft soll ich das verstehen:
"Die ökonomische Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft heute ist meiner Meinung nach die eigentliche Ursache des Übels" ?
Das Experiment haben wir, meine ich, durchgeführt. Es ist gescheitert.
Die Opposition hat dies erst ermöglicht
Die kurzen Gedächnisse der Politik.
erst die Regierung Schröder-Fischer mit
Hilfe der Gewerkschaften machten dies möglich
Ist doch egal
Solange der Wähler glaubt, es waren die Anderen sind die Übeltäter bald wieder vorne dran!