Rainer Brüderle soll eine Journalistin mit sexistischen Äußerungen belästigt haben. Aber anstatt dass sich Brüderle entschuldigt, wird jetzt häufig die Journalistin kritisiert. Überraschung? Kaum. Fast jede Frau dürfte schon einmal durch Sexismus gedemütigt worden sein. Die Debatten um Brüderle und auch die um den Sexismus in der Piratenpartei zeigen das einmal mehr.
Ich bin bei den Grünen aktiv, auch weil es bei uns solchen Sexismus im Großen und Ganzen nicht gibt. Die Grünen gendern schließlich ihre Sprache ("Sprecherin, Rednerin, Aktivistin"). Wir haben Frauengremien mit Veto-Rechten auf Parteitagen und eine 50/50-Quote für Ämter und Redelisten. Auch weibliche Doppelspitzen sind keine Seltenheit. Dadurch entsteht ein Umfeld und ein Bewusstsein, das so plumpen Sexismus wie den eines Rainer Brüderle oder gar Grapschen und Ähnliches weitgehend verhindert.
Aber auch die Grünen sind keine besseren Menschen. Wir sind als Partei eben nur ein Abbild der Gesellschaft und die ist in ihren Denkstrukturen noch immer männlich geprägt und sexistisch.
"Nur erfolgreich, weil sie hübsch ist"
Schon oft habe ich den Satz über Parteikolleginnen gehört: "Die ist ja nur so erfolgreich, weil sie so hübsch ist." Oft wird gerade bei Frauen mehr darauf geachtet, wie sie aussehen, als darauf, welche politischen Inhalte sie umsetzen möchten. Und was viele Frauen schon oft erlebt haben, passiert auch bei uns: Eine Frau stellt in einer Runde eine neue Idee vor und nichts passiert. Wird die gleiche Idee kurz darauf von einem Mann wiederholt, dann wird sie plötzlich in den höchsten Tönen gelobt und alle beziehen sich auf den genialen Gedanken. Nicht die Idee ist entscheidend, sondern das Geschlecht.
Diese Geschichten zeigen, dass auch wir Grüne nicht frei sind von sexistischen Einstellungen. Sexismus hat viele Gesichter, wir alle haben sexistische Rollenbilder im Kopf – ich nehme mich da selbst nicht aus. Wichtig ist, sich sein Verhalten bewusst zu machen. Oft hilft es, sich die simple Frage zu stellen: "Hätte ich das bei einem Mann auch gemacht?"
Was die Grünen aber definitiv unterscheidet, ist die Sensibilität dafür, dass Sexismus nicht verharmlost werden darf. Er ist auch bei uns nicht überwunden – but we keep trying.
Ganz anders scheint es sich beim liberal-konservativen Teil der Gesellschaft zu verhalten. Erschreckender als der Sexismus selbst, ist die Reaktion darauf: Wie schnell werden die wenigen Frauen, die sich überhaupt trauen, über sexistische Vorfälle zu berichten, den Sexismus offen anzusprechen und anzuklagen, an den Pranger gestellt und zu Täterinnen gemacht. Wie schnell wird das Verhalten des Mannes heruntergespielt und als normal dargestellt! Der Stern-Journalistin wird aus der FDP vorgehalten, sie wolle ja nur den frisch gekürten Spitzenkandidaten beschädigen. Plötzlich ist Brüderle das Opfer? Und Deutschlands Chef-Sexist Franz Josef Wagner kommentiert gelangweilt in der BILD-Zeitung: "Ich bin nicht entsetzt. Es ist das Leben."
Kommentare
Ideologie pur, da gibts aber einiges klarzustellen
"Aber auch die Grünen sind keine besseren Menschen."
Ich weiß.
"Der Stern-Journalistin wird aus der FDP vorgehalten, sie wolle ja nur den frisch gekürten Spitzenkandidaten beschädigen."
Nicht ganz zu Unrecht. Schauen Sie mal die Artikel und Twitterhistorie von Frau Himmelreich an.
"Nein, Feminismus ist heute so notwendig wie eh und je."
Ich glaube in den 50er Jahren war Feminismus schon wichtiger als heute.
"Frauen an die Macht."
Ja, wenn sie kompetenter sind als Männer und wenn sie überhaupt eine Führungsposition wollen. Beides ist nur manchmal der Fall.
Es ist doch ganz einfach,
Der Weg den Frau Agena skizziert nimmt den Menschen, Männern wie Frauen, die Würde endgültig. Im Anschluß wird dann die gestohlene Würde wieder eingefordert.
Das kann nicht funktionieren und ist völliger Unfug.
Und bitte: Wo bleibt die Verurteilung von Frau Himmelreich?
das wird erst gar nicht thematisiert, dass eine karrieregeile Frau um Mitternacht einen Politiker unverschämt anbaggert, weil sie ihm schon in der Eingangsfrage stil-, takt- und geschmacklos sein Alter vorhält. Wo bleibt da der Aufschrei über diese Diffamierung?
Darf frau Alles gegenüber Älteren?
Das ist mindestens genauso ein Thema wie der, zweifelsohne manchmal sehr grenzwertige sexistische Machismo.
Im Fall Brüderle müsste sich m.E. die Dame mindestens genauso entschuldigen, wie umgekehrt.
Gürtellinie
OhOh. Da ziehen Sie aber weit unter die Gürtellinie!
"dass eine karrieregeile Frau"
Das wissen Sie genau woher? Was genau kennen Sie über Frau Himmelreichs Lebenslauf und Ihre berufliche Absichten, dass Sie sich so ein Urteil erlauben können? Und sind Sie sich sicher, dass Sie sofort zum Urteil "karrieregeile Frau" gekommen wären, wenn die Story ein Mann geschrieben hätte? Komischerweise sind bspw. bei Wulff die JournalistEN mit anderen Worten tituliert worden. Wir sind mitten im Sexismusproblem.
"um Mitternacht einen Politiker unverschämt anbaggert, weil sie ihm schon in der Eingangsfrage stil-, takt- und geschmacklos sein Alter vorhält."
Was denn nun? Anbaggert oder Beleidigung? Sie müssen sich schon entscheiden. Oder unterstellen Sie Brüderle im Besonderen oder Mann im Allgemeinen, dass der sich "angebaggert" fühlt durch so eine Bemerkung?
"Wo bleibt da der Aufschrei über diese Diffamierung?"
Der AUFSCHREI? Für was? Die Frage mag kess gewesen sein, aber diffamierend? Ich finde durchaus legitim, wenn die Frage nach dem Alter gestellt wird bei einem 66jährigen Mann, der als Spitzenkandidat (und damit für weitere 4 Jahre heißt bis über 70) ins Rennen geht, in einem Alter, wo andere in Rente gehen. Immerhin hat die Frage nach dem Alter in dem Zusammenhang durchaus einen sehr reellen, sachlichen Hintergrund, auch angesichts der Tatsache, dass das bei der FDP sonst vergleichsweise Küken rumlaufen.
Mitten im Sexismus drin, WIE Himmelreich hier angegangen wird.
"Auch wir Grünen sind nicht frei von Sexismus"
Bei den GrünInnen kann es doch gar keinen Sexismus geben, da es dort doch gar keine Männer gibt sondern nur weibliche und männliche FeministInnen.
"Sexistisch" sind vor allem die Quoten bei den Grünen...
"Der Sexismus unterteilt alle Menschen anhand ihrer biologischen Geschlechtsmerkmale in Frauen und Männer,..." (wikipedia).
Wenn die Vergabe von Parteiämtern bei den Grünen vom Geschlecht der Bewerber abhängig gemacht wird, liegt hier doch ein klarer Fall der Geschlechterdiskriminierung vor. Das Geschlecht sollte keine Rolle spielen.
Feminismus, quo vadis?
Frau H spricht Herrn Brüderle an der Bar wie folgt an: „Ich möchte von ihm wissen, wie er es findet, im fortgeschrittenen Alter zum Hoffnungsträger aufzusteigen.“
Wie soll Herr Brüderle auf dieses Entree reagieren, ohne schwach (fortgeschrittenes Alter) zu wirken?
Man stelle sich die Situation nur umgekehrt vor, ein 28-jähriger Mann hätte eine 66-jährige Frau so angesprochen (undenkbar!)
empfindlich
sorry, ich finde nichts besonders an dem satz. kann es sein, dass männer ein wenig empfindlich reagieren, wenn sie sich ganz subjektiv an ihrem ego angekratzt fühlen? mit 66 im BERUFSleben IST man im fortgeschrittenen alter - wäre bei einer frau nicht anders.