Ein bisschen ungerecht ist das schon, wenn Peer Steinbrück seine Äußerungen zum Umgang mit Russland jetzt um die Ohren gehauen werden. Denn als er vorigen Freitag ZEIT ONLINE ein Interview gab, konnte er ja nicht wissen, dass am Tage des Erscheinens – am Dienstag – die russische Polizei die Büros deutscher Stiftungen einer Razzia unterziehen würden. Nun steht er wieder einmal blamiert da: Während die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau gefilzt wird, rät der Kanzlerkandidat zur Leisetreterei? Russland sei ein "Partner, dessen Interessen wir gut kennen und berücksichtigen sollten", hatte Steinbrück geraten, und hinzugefügt, es sei "einzugestehen, dass unsere westlichen Maßstäbe pluraler Demokratie nicht unmittelbar auf Russland übertragbar sind."
Ob man die Russen also nicht auf Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen hinweisen solle? Doch, so Steinbrück, "nicht auf dem Marktplatz. Sonst verspielt man Zugänge, um praktische Fortschritte zu bewirken".
Diese Sätze stehen nun etwas schräg im Raum. Aber auch ohne die Razzia wären sie problematisch – auch wenn Steinbrück nicht wissen konnte, dass die deutschen Stiftungen am Dienstag zum Opfer einer Einschüchterungsmaßnahme von Putins Behörden werden würden. Die Verteidigungslinie seines Sprechers Michael Donnermeyer, Steinbrück habe sich nicht zu diesem Vorgang, sondern "allgemein zum Umgang mit Russland" geäußert, macht die Sache nicht besser.
Eher noch schlimmer. Denn die Razzien kommen ja nicht aus heiterem Himmel. Das NGO-Gesetz, mit dem nicht nur ausländische, sondern mehr noch einheimische Menschenrechtler eingeschüchtert werden sollen, ist seit dem letzten Sommer in Kraft und wird seit Monaten heftig kritisiert. Putins Regierung fährt einen immer aggressiveren Kurs gegen die liberalen Kräfte der Zivilgesellschaft. Seit Beginn des Jahres ist "homosexuelle Propaganda" landesweit strafbar – worunter bereits das Reden über diese sexuelle Orientierung gehört. Schwule und Lesben werden als Kriminelle gebrandmarkt. Der Blogger Alexei Nawalny, Anführer der Demonstrationen gegen die manipulierten Wahlen, wird pausenlos mit Prozessen überzogen und sieht einer Haftstrafe entgegen. Die Bürgerrechtler von Memorial werden gedrängt, sich als "ausländische Agenten" selbst zu denunzieren. Putin drängt die Opposition mit Stasi-Methoden ins Aus.
Freie Hand für das Regime
Wer dergleichen immer noch "nicht auf dem Marktplatz" kritisieren will, gibt dem antidemokratischen Regime freie Hand. Der Deal, dem Steinbrück immer noch anhängt – wir kritisieren euch nicht öffentlich, wenn ihr eure Gesellschaft weiter öffnet – hat mit Putin nie funktioniert. Es wäre an der Zeit für die SPD, sich das endlich einzugestehen.
Die "Modernisierungspartnerschaft", die der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Russen 2008 angeboten hatte, war eine gute Idee. Leider wurde sie nicht aufgenommen. Russland hat sich dagegen entschieden. Putin will zwar eine technische Modernisierung, doch die Gesellschaft soll unter der Knute bleiben. Wenn Steinbrück nun sagt, unsere Demokratie sei "nicht unmittelbar" auf Russland übertragbar (wer hätte das auch je behauptet!), macht er sich die Position der Herrschenden in Russland zu eigen. Es geht nicht ums "Übertragen" – es geht um die Unterstützung der Kräfte in Russland, die einen eigenen Weg zur Demokratie suchen.
Die Razzia bei der Ebert-Stiftung ist ein Schlag ins Gesicht für die Partei, die mit Gerhard Schröder einen Politiker in ihren Reihen weiß, der bekanntlich beste "Zugänge" zum Kreml hat. Putin pfeift nun selbst darauf. Vielleicht muss man seinen Schergen geradezu dankbar sein, dass sie mit ihrer demütigenden Aktion den Sozialdemokraten klarmachen, dass ihre Russlandpolitik auf Illusionen beruht.
Kommentare
Russland muß...
..."standhaft" bleiben!
Darauf hofft der Teil der Welt, der NICHT zur sogenannten "Weltgemeindschaft" gehört.
P.S. Es dürfte sich wohl um den größten Teil der "Erdbevölkerung" handeln.
Russland -- "größter Teil der Erdbevölkerung"?
@ Kommentar #1:
Zu viel Ideologie und zu wenig Demographie. Russland hat mit 140 Millionen gerade mal 2% der Weltbevölkerung. Unter den vier BRIC-Entwicklungsländern ist Russland immer noch die kleinste Volkswirtschaft. Es hat also noch eine Menge Nachholbedarf.
Danke
für den zutreffenden Kommentar, Herr Lau!
Die Menschenrechte gelten manchen Politikern wohl nur so lange als universal, wie nicht deutsche Wirtschaftsinteressen dadurch geschmälert werden könnten.
es soll doch keiner sagen
es gibt keine Anti- Steinbrück Kampagne.
Wenn ja - diesmal kam die Attacke aber von den GRÜNEN
also dem Wunschpartner von Herrn Steinbrück.
Das kann ja eine interessante "Ehe" werden. In Baden-Württemberg hauen die beiden Koalitionspartner bereits sehr heftig aufeinander ein - z.Z. können sie sich das auch noch leistens angesichts einer desolaten Opposition und eines fast unangreifbaren Ministerpräsidenten. Auf Bundesebene wird es allerdings keinen starken Regierungschef seitens SPD oder Grünen geben.
Ich gehe mal davon aus
daß die in den letzten Tagen zunehmende Verunglimpfung Rußlands sorgfältig geplant ist.
Nur wovon sollen diese "Berichte" ablenken?
Passiert hier und heute in Deutschland Ungeheuerliches und es darf nicht Aufmerksamkeit erlangen? Kann es sein, daß immer mehr Menschen erkennen daß Deutschland keine Demokratie mehr hat? Und nun gräbt man wieder das uralte Feindbild "Rußland" aus?
Russland ist Russland!
Was geht uns Russland an? Nichts, aber auch gar nichts! Zweifellos mag in dem Lande einiges zu verbessern sein, genau wie bei uns. Bedenkt man jedoch, was Putin übernommen hat und wo Russland heute steht, dann hat er seine Job sehr gut gemacht.