Trotz kann produktiv sein, er setzt Kraft frei, um Niederlagen zu verarbeiten. Als Bernd Lucke im Sommer nach erbittertem Macht- und Richtungskampf den Vorsitz der AfD an Frauke Petry verlor, folgten ihm seine Anhänger in die Allianz für Fortschritt und Aufbruch. Mit Alfa entstand quasi über Nacht eine Partei, die Islamhasser und Ausländerfeinde erklärtermaßen ablehnt, die sich Fortschritt und Technologie verpflichtet sieht, die aber auch – wie die AfD vor ihrer Radikalisierung – Zuwanderung begrenzen will und die Euro-Rettungspolitik als Geldvernichtung betrachtet.
Doch von dem trotzigen "Jetzt erst recht" nach Luckes Niederlage, der Euphorie des Neuanfangs, von den "Alfa!, Alfa!"-Rufen auf dem Gründungstreffen in Kassel ist nicht viel geblieben. Nach einem reichlichen Vierteljahr zeigt sich: Als Antrieb für eine Parteigründung taugt Trotz weniger gut. Es fehlt Luckes neuer Partei an einem zündenden Thema, an programmatischer Abgrenzung zur Mutterpartei AfD und vor allem an Zulauf. In Umfragen ist Alfa nicht wahrnehmbar. Weil sie keiner kennt, fragt auch kein Institut nach ihr. Der baden-württembergische Alfa-Landeschef Bernd Kölmel, der mit Lucke und drei weiteren Ex-AfDlern im Europaparlament sitzt, erzählt, er werde bis heute von manchen Parlamentskollegen als Politiker der AfD angesprochen, für die sie 2014 in das Parlament eingezogen waren.
Bisher zählt Alfa 2.500 Mitglieder, die meisten im Westen der Republik, wo die AfD schwach ist. 350 davon sind in der Probezeit – die Parteiführung will so eine Unterwanderung durch Rechtsextremisten und Nationalisten verhindern. Zwar hat Alfa heute 13 Landesverbände, die Nachwuchsorganisation Junge Reformer entstand, eine Frauenorganisation und ein Mittelstandsnetzwerk gründeten sich. Doch eine breitere Verwurzelung der Partei ist nicht absehbar. Ohne Verankerung in der Bevölkerung kann Luckes Partei aber auch nicht auf einen Erfolg bei den nahenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im Frühjahr hoffen.
Angesichts dieser wenig ermutigenden Aussichten ermüden die Ersten. In den vergangenen Wochen traten fast 100 Mitglieder aus. Die
meisten der Abgänger sind unzufrieden mit der Parteiarbeit, mit der
Programmatik oder nennen persönliche Gründe, wie Parteisprecher
Christian Schmidt erläutert. Manche fühlen sich zu
Flyer-Verteilern degradiert, die nicht mitreden dürfen, während der
Bundesvorstand die politische Linie vorgibt – ganz so, wie Lucke es in seiner alten Partei hielt.
Der Thüringer Landtagsabgeordnete Siegfried Gentele – mit Lucke aus der AfD zu Alfa gewechselt – schmiss inmitten einer Telefonkonferenz hin. Er sieht sich von seinem alten und neuen Parteichef hintergangen, seit die Parteispitze die Aufnahme von Philipp Meyer in den sächsischen Landesverband billigte. Der Thüringer Landesverband hatte den früheren Bundeschef der AfD-Jugendorganisation zuvor abgelehnt – mit Luckes Wissen, wie Gentele sagt. Meyer soll jetzt den sächsischen Landesverband aufbauen, für den 12. Dezember ist die Gründung angesetzt. In Thüringen aber ist die Basisarbeit durch Genteles Austritt praktisch lahmgelegt. Denn mit ihm verließ auch der Thüringer Gründungsbeauftragte René Casta die Partei.
"Nie richtig mitgearbeitet"
Der prominenteste Verlust ist der Recklinghäuser
André Yorulmaz. Als der stellvertretende Generalsekretär vergangene
Woche die Partei verließ, nannte er berufliche Gründe, verzichtete auf
Kritik und verabschiedete er sich mit guten Wünschen. Tatsächlich aber
vermisst der 32-jährige Finanzberater bei Alfa den konservativen Ton:
"Die Partei grenzt sich zu stark von der AfD ab", klagt Yorulmaz im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Alfa
agiert ihm zu vorsichtig. "Wir brauchen eine Partei, die unpopuläre
Wahrheiten ausspricht. Diesen Platz nimmt derzeit leider nur die AfD
ein."
Ärger verursachte auch die Kampagne
"Merkel stoppen" der fünf Alfa-Europaabgeordneten. Viel zu groß
gegriffen, beklagen die Kritiker, konzeptionell viel zu nah an der AfD, die wegen der Asylpolitik Strafanzeige gegen Merkel
gestellt hat. "Die Parolen von Alfa sind dieselben wie bei der AfD von
Frauke Petry – mit anderen Worten, aber identisch", sagt der Thüringer
Gentele. Dabei wirkt das Stigma aus AfD-Zeiten weiter: Als einziger
Abgeordneter seiner Partei fühlte sich Gentele zuletzt im Erfurter Landtag
isoliert.
Generalsekretärin Ulrike Trebesius entgegnet, Gentele habe nur Angst gehabt, dass er im Landtag von der CDU nicht mehr gegrüßt werde. Und ihr einstiger Stellvertreter Yorulmaz habe nie richtig in der Partei mitgearbeitet, sein Austritt sei deshalb kein Verlust.
Kommentare
Ich war von Anfang anderen Meinung dass die Abspaltung kontraproduktiv ist und die Kräfte gegen das politische Einerlei gebündelt werden müssen. Die AfD ist deswegen erfolgreich weil sie sich nicht auf ein Thema konzentriert sondern zu den drängenden gesellschaftlichen Fragen Antworten bietet. Alfa sollte sich mit der AfD wieder zusammenschliessen zu beider Seiten Vorteil. Wir brauchen in der jetzigen Zeit eine starke, unabhängige politische Kraft.
Das wird nichts, weil Lucke nicht verstehen will, dass mit sachlicher fundierter Argumentation in diesem Land keine Politik gemacht wird.
Oder im Journalistensprech: "denen keine Bühne geboten werden darf"
Zählen sie mal die Artikel, welche sich sachlich mit Inhalten der AFD oder auch Lucke auseinandersetzen.
Aha, jetzt geht`s auf einmal ganz nüchtern und sachlich:
"seriösere Rechts-Konservativismus des Wirtschaftsprofessors Lucke"
Wie kommt das?
Um die Debatten-, Disskussions und letztlich Parteienvielfalt aufrecht zu erhalten gab es früher mal eine 4. Macht im Staat.
Hallo ChrisDOHC, man muss Lucke schon zugestehen, dass er einen Lernprozess durchgemacht hat. Die nationalistischen Geister, die er in der AfD einst selbst rief, ist er nur losgeworden, indem er den Rauswurf durchlitt und sich selbst von der Partei trennte. Jetzt lernt er gerade, dass sich die Gründung einer AfD in gemäßigtem Profil nicht einfach wiederholen lässt. Solange die AfD das Flüchtlingsthema besetzt hält, wird Alfa wie eine Kopie wahrgenommen. Ob sich das jemals ändern wird?
In diesem Sinne eine angerengte Diskussion.
Viele Grüße, Tilman Steffen, ZEIT ONLINE
"Mit Alfa entstand quasi über Nacht eine Partei, die Islamhasser und Ausländerfeinde erklärtermaßen ablehnt,..."
Er dachte mit Alfa sei er raus aus dem Nazi-Radar.
Falsch gedacht, hätte er Erfolg gehabt, wäre er wieder der "Rechtsaussen Lucke".
Wer allein schon gegen den Euro ist, wer irgendwie rechts der CDSU ist, wird automatisch als Rechtsextremer abgestempelt.
Da ist es besser man akzeptiert das...
...oder geht raus aus der Politik
In Deutschland schein inzwischen alle mediale Nazis zu sein, die nicht links von der Mitte stehen.
Nun denn als Staatsbürger eines anderen Landes: von außen betrachtet ist Alfa eine schlicht widerliche Partei, die ob ihrer neoliberalen Ausrichtung, Millionen von Menschen ein menschenwürdiges Leben abspricht. Das ist schon das ganze Programm dieser unerfreuliche Partei. Die AfD hingegen spielt mit den Ängsten der Menschen, agiert also tatsächlich populistisch. Diese Ängste werden von anderer Seite zumindest weitgehend negiert oder eher hilflos artikuliert (CSU). Ungelöste Probleme populistisch auszuschlachten gelingt im rein neoliberalen, Empathie freien Menschen wie Herrn Lucke und Co. natürlich nicht. Sonst wäre Frau Petry jetzt wohl auch nicht Vorsitzende der Afd.
"von außen betrachtet ist Alfa eine schlicht widerliche Partei, die ob ihrer neoliberalen Ausrichtung, Millionen von Menschen ein menschenwürdiges Leben abspricht"
Ich nehme an, Sie nutzen "neoliberal" in diesem Kontext als Kampfbegriff der in der Regel Marktfundamentalismus implizieren soll.
Ehrlich gesagt, ich habe das Gefühl, dieser Mechanismus wird mittlerweile als antrainierter Reflex auf alles liberale angewendet, von liberal auf neoliberal auf fundamentalistisch und widerlich mit der Unterstellung als Schlussfolgerung Menschen solle ein würdiges Leben abgesprochen werden.
Man kann sich ja über Wirtschaftsmodelle unterhalten, jedoch zu unterstellen "Millionen von Menschen" werde "ein menschenwürdiges Leben" abgesprochen ist wirklich absurd.
Um mal zu polarisieren: dieser Kampfbegriff neoliberal wird meist von sehr links verwendet, von politischen Strömungen die viel von menschenwürdigem Leben reden es jedoch regelmäßig nicht hinbekommen ihren Leuten eben auch dieses zu ermöglichen - denn darum geht es letztendlich.