Die Grünen könnten einen klaren Schnitt vollziehen, wenn sie ihre Führungsspitze neu wählen: Wenn die Partei den grünen Allround-Hoffnungsträger
Robert Habeck zum Vorsitzenden wählt und neben ihn die weitgehend von Attributen freien Annalena Baerbock,
dann wäre dies der Anfang vom Ende der Flügelarithmetik an der Spitze der
Partei. Aber sind die Grünen bereit für einen solchen Schritt? Und wie tief ist
der Einschnitt?
Ein flüchtiger Blick in die Geschichte der Partei zeigt den Graben zwischen den Parteiflügeln. Er existiert seit Jahrzehnten. Immer mal wieder wurde er mit unterschiedlichem Erfolg zugeschüttet. Dann etwa, wenn sich die Spitzen von Partei und Fraktion auf Bundesebene und in den Ländern neu bildeten und sich die Arithmetik der Flügel veränderte. Insofern lässt sich im Hinblick auf die nahende Vorstandswahl mit Recht von einer Zäsur sprechen, einem tiefen Einschnitt für die Grüne Partei.
Verzichtet man aber auf den für die Grünen so typischen,
sehnsüchtigen Blick zurück und schaut nüchtern auf die Gegebenheiten, dann zeigt sich: Der Wechsel an der Spitze wäre kein Einschnitt, sondern eine Korrektur. Längst haben die Grünen das Baden-Württemberger Modell
akzeptiert, wonach die Partei de facto vom Oberrealo Winfried Kretschmann allein
repräsentiert wird. Längst haben sich die Grünen mit der Union, gar mit der FDP
arrangiert, in Hessen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und beinahe im
Bund. Und nicht zuletzt hat sich die Parteibasis bei der Kür der Spitzenkandidaten
zur Bundestagswahl 2017 von der Flügelarithmetik verabschiedet.
Während auf Habeck
und Özdemir mehr als 70 Prozent der Stimmen entfielen, überzeugte der Parteilinke Anton
Hofreiter gerade etwas mehr als ein Viertel von sich. Özdemirs Co-Vorsitzende Simone Peter kompensiert das nicht: Selbst Parteilinke bezweifeln, dass sie eine starke Führungskraft ist, die gleichberechtigt
neben dem Realo Özdemir die Flügel der Partei repräsentiert. Auffällig
jedenfalls ist, wie wenig Beistand Peter in ihrem Kampf um die Quotierung von den eigenen parteiinternen Unterstützern erhält. Doch gänzlich passé ist das Flügeldenken auch wiederum nicht: Denn Habeck und Baerbock sind nicht so sehr Realo wie
Özdemir, Kretschmann oder der ewige Grenzüberschreiter Boris Palmer.
Eine Realo-Doppelspitze könnte funktionieren
Die Diskussion über die Flügelarithmetik wird eher medial geführt. Im Inneren der Partei aber scheint sich die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass der Flügelkampf zumindest in der Außenrepräsentation die Funktion einer Flügelbremse erfüllt. Das entspricht sinnbildlich jener Mechanik, die bei auswärtsöffnenden Fenstern das weite Aufschlagen durch einen Windstoß verhindert. Eben dies ist aber das Ansinnen von Baerbock und Habeck. Sie wollen, um im Sprachbild zu bleiben, frischen Wind in die Partei bringen. Sie wollen sie öffnen zur linken Mitte hin (Habeck). Sie wollen das "Wir haben das schon immer so gemacht" der Altvorderen ersetzen durch einen mutigen Neuanfang (Baerbock). Ein Neuanfang, der weniger dem ständigen Austarieren der Flügel dient, sondern ansetzt an dem viel bemühten Gründungskonsens der Grünen: nicht links, nicht rechts, sondern vorn zu stehen. Ein Neuanfang, der der Partei eine neue Erzählung ermöglicht, jenseits von Grabenkämpfen, die nicht selten Personalkämpfe camouflierten. Und nicht zuletzt ein Neustart, der einem neuen, alten Stil an der Spitze der Grünen zulässt, der weniger glatt ist, sondern ruppiger. Der Sätze produziert wie diesen von Habeck von 2013: "Da, wo gute Ideen sind, da sind sie gut, auch wenn sie von Linken kommen, und wenn es Scheiß-Ideen sind von den Realos, dann sind es halt Scheiß-Ideen."
Kurzum, die Grünen könnten mit einer Realo-Doppelspitze
erfolgreich sein. Einer der Gründe sind die Sondierungsgespräche für eine
Jamaika-Koalition mit FDP und Union, die letztlich scheiterten. In einer solchen Koalition hätte das Tandem an der Spitze der Bundestagsfraktion unliebsame Beschlüsse
durchsetzen müssen. Der Verzicht auf den Eintritt in diese bürgerliche
Regierung macht also auch ein linkes Korrektiv an der Spitze der
Partei überflüssig. Hinzu kommt der Unterschied zur Post-2013-Depression: Die
war geprägt durch monate-, ja jahrelanges Nachtreten, welcher Flügel denn
nun Schuld sei an der Wahlniederlage 2013. Die Jamaika-Sondierungsgespräche dagegen waren nicht nur
eine letztlich an der FDP gescheiterte Paartherapie des bürgerlichen Lagers, sondern auch eine grüne Gruppentherapie.
Quälende Suche nach der Quoten-Frau
Dass die Realos die Grünen an die CSU verkaufen würden, kann man bei aller inhaltlicher Bewegung nicht konstatieren, dass die linken Grünen eine Einigung unmöglich machen würden aber auch nicht. Und dass die Grünen selbst lagerübergreifende Überzeugungen und Ideenhaushalte besitzen, allen voran Ökologie und Klimaschutz, das ist ihnen von Trittin bis Kretschmann wohl auch wieder in den Sinn gekommen.
Und das ist dann die eigentliche Zäsur an der Spitze
der grünen Partei: Erstmals seit Jahrzehnten könnten mit Baerbock und noch mehr
mit dem schleswig-holsteinischen Superminister Habeck zwei echte Umweltpolitiker die Partei
anführen. Denn Trotz aller Blütenträume von grüner
Volksparteiwerdung, allem Bemühen um die Verbreiterung der
Kompetenzen sind und bleiben die Grünen eine Partei, deren Denken von der Ökologie
ausgeht.
Wenn nun gleich beide Parteivorsitzende programmatisch und personell als Umwelt-, Klimaschutz- und Energiewendeminister infrage kämen, ist dies ein weitaus wichtigeres Signal in die Partei und Wählerschaft als die quälende Suche nach einer linken Quoten-Frau oder einem linken Quoten-Mann.
Kommentare
jetzt oder nie.
Dann doch lieber nie...
"Kompetenz statt Quote", das habe ich mir aufgeschrieben. Erscheint auf den ersten Blick völlig abwegig, aber vielleicht können da ja mal die Wissenschaftler ran und erforschen, ob das am Ende für die besseren Entscheidungen sorgt.
Finde ich sehr bedenklich, die Titelzeile. Klingt sehr nach Männer=Kompetenz, Frauen=Quote. QUoten gibt es nicht ohne Grund, das zeigt zB die komplette Aufstellung der Parteien FDP, CDU und CSU in der Bundespolitik. Kann jetzt bspw. aus den Sondierungen nicht sagen, dass mir die Herren Dobrindt, Lindner & Co unendlich kompetenter erscheinen als das Team der Grünen, dass sich mit einer Quote "belastet".
Kompetenz statt Simone Peter: JA!!
Treffender wäre eher, "Kompetenz statt..." GRÜNE.
Das Leben in Deutschland wäre dann vielleicht nicht mehr so "luxureiös" - aber mutmaßlich entspannter.
Man kann nur hoffen, dass die Grünen nicht schon wieder eine Führungsspitze aus dem rechten Flügel aufstellen.
Ich finde es amüsant, wie sie Grüne und "rechts", in Bezug auf die Grünen, in einem Satz verwenden.