Marcel Reif hatte sich aus Sicht vieler BVB-Fans mit den Falschen angelegt. Als Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus zum Torjubel Batman-Masken aufsetzten, sagte der TV-Kommentator: "Ich bin für so was zu alt." Säuerlich konterte Jürgen Klopp später: "Der findet gar nichts mehr witzig."
Drei Tage darauf bespuckten und bewarfen BVB-Fans den TV-Moderator, es war bereits die zweite Attacke in wenigen Tagen. Und auf Facebook und in den Kommentarspalten ließen viele ihre Abneigung gegen Reif raus. Ihr Tenor: Gewalt lehnen wir ab, aber es traf nicht den Falschen. Die Solidarität mit dem Angegriffenen fiel sehr gering aus.
Reif mag eitel sein und elitär wirken, doch der entscheidende Grund, warum er provoziert, ist: Er ist kritisch. Man könnte auch sagen, Reif provoziert, weil er seinen Job macht. Schlechte Leistungen nennt er schlechte Leistungen, Schwalben sind für ihn Schwalben, affiger Jubel bleibt affiger Jubel.
Gemecker über angeblich ahnungslose Sportreporter ist ein noch älterer Volkssport als Schimpfen auf die Bahn. "Es wird immer welche geben, die sagen, an der Niederlage ihres Vereins war der Kommentator schuld", sagt Reif. Aber derart eskaliert ist es noch nie. Die Vorfälle zeigen, dass die Glaubwürdigkeitskrise der Medien den Fußball erreicht hat. Kurioserweise aber unter umgekehrten Vorzeichen: Journalisten wirft man nicht wie etwa in der Politik vor, Teil der Macht zu sein.
"Beschmutzen Sie nicht Ihr Nest"
Im Fußball bekommt man stattdessen zu hören, Journalisten sollen sich aus der Sache besser raushalten. Außenstehenden gestehen viele Fans einen kritischen Umgang mit ihren verehrten Lieblingen nicht zu. Ultras sehen sich als Teil des Vereins. Andere, die Geld für ein Sky-Abo zahlen, wollen ihren Verein nicht schlechtgeredet bekommen. Im Internet schreiben User schon mal unter Texte: "Beschmutzen Sie nicht Ihr Nest, Sie leben von diesem Sport."
Auch Boris Büchler hat das klassische Dilemma desjenigen erlebt, der zwischen den Göttern und den Sterblichen vermitteln muss. Nach dem Zittersieg gegen Algerien im WM-Achtelfinale erdreistete sich der ZDF-Reporter, Per Mertesacker auf die Leistung der Mannschaft anzusprechen. Die Zuschauer reagierten auf das legendäre "Watwollnse"-Interview mit Schadenfreude, endlich hatte es einer einem Reporter mal richtig gegeben.
Was sie übersahen: Mertesacker hatte so schlecht verteidigt, dass der Trainer ihn danach nicht mehr aufstellte. Was manch einer als Beleg für die Medienkrise hielt, war bloß ein getroffener Hund, der bellte. Ein bekannter Club-Chef sagte mal zu einem kritischen Journalisten: "Wir sehen viele Dinge so wie Sie, wollen sie aber nicht von Ihnen hören."
Auch Klopp gibt Reif sicher recht. Es weiß ja jeder Kreisligatrainer, dass Aubameyang vermutlich zwei Tore mehr geschossen hätte, wenn er sich aufs Spiel und nicht auf kindische Maskeraden konzentriert hätte. Dass Klopp Reif dennoch anging, gehört zum Spiel zwischen Reporter und Trainer, also zwischen dem, der berichtet, und dem, über den berichtet wird. Ein Spiel, das Außenstehende oft nicht verstehen oder verstehen wollen.
Wenn sich Klaus Allofs nun über die ARD beschwert, weil sie zu oft leere Ränge in Wolfsburg zeigt, sollte man bedenken, dass Allofs genau weiß, dass es in Wolfsburg oft leere Ränge gibt. So manch ein Manager, der seinen Trainer gegen Schlagzeilen schützt, gibt dem Kritiker unter vier Augen recht. Und hinter manchem Verriss eines Stürmers oder Vorstands steckt eine interne Quelle.
Es ist ein grundsätzliches Missverständnis zwischen Reportern und Fans: Viele Fans können sich nicht vorstellen, dass jemand Spiele, Trainer, Vereine nicht nach Vorliebe, Gefühl und Zugehörigkeit bewertet, sondern kühl, distanziert, analytisch. Jede Äußerung schreiben sie einem Lager zu. Reif gilt unter Bayern-Fans als Bayern-Hasser und Dortmund-Fan, unter Dortmund-Fans als Dortmund-Hasser und Bayern-Fan. Absurd, weil er gute Leistungen von beiden Vereinen würdigt. Und ein Zeichen, dass er alles richtig macht.
Kommentare
Solidarisch..
verhält man sich mit seinen Kollegen, Herr Fritsch - ist schon klar - "affiger Jubel, bleibt halt affiger Jubel."
Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich die Bat-Man/Robin Story überhaupt nicht lustig, toll oder sonst was fand...mir fehlte jeglicher Hintergrund, um diese Situation lustig, toll, motivierend oder in irgendeiner Form mit Verbundenheit gegenüber dem Verein, der Mannschaft hätte interpretieren können.
Insofern muss ich mich tendenziell Herrn Reif anschließen. Ich bin für nen guten Spaß zwar nicht zu halt, aber zu der Sache hätte auch ein Sack Reis in China umfallen können...so nichtssagend war das.
Wenn sich der Torschütze das Trikot vom Leib zieht und man eine Botschaft auf dem Shirt erkennt - ok, aber hier...?!
Ich habe eigentlich mit einer gelben Karte gerechnet.
In Zukunft, vielmehr umgehend sollten also Verkleidungen geahndet werden...sonst artet der "Jubel" aus und wir haben noch mal für Augenblicke Fasching auf dem Feld...
gelbe Karte
es GAB ja nun auch direktemang eine gelbe für Aubameyang als Drahtzieher. Und nu?
Unterschied zwischen Analyse und Kritik
Da Sie hier den Vorfall mit Marcel Reif generell auf die Medienbranche und den Journalismus beziehen, möchte ich mich auch mal generell zum Thema äußern.
So wie ich den klassischen Journalismus verstehe, ist es seine Aufgabe, objektiv Fakten zusammenzutragen und eine sachliche Analyse hervorzubringen. Damit macht man sich auch nicht angreifbar.
Was ich aber in den Medien flächendeckend in den letzten Jahren beobachte, ist die Distanzierung von der objektiven und sachlichen Analyse mit einer Tendenz hin zur subjektiven Kritik, zur Wertung. Damit macht man sich zum Akteur, zum aktiven Teil des Gemenges, und daher ganz natürlich angreifbar. Zumal man als Journalist damit seine Objektivitätspflichten verletzt.
Mich interessiert es nicht, was irgendein Journalist zu irgendeinem Thema meint (da bin ich was Politik und Gesellschaft angeht qua Ausbildung definitiv zu einer besseren Analyse fähig) mich interessiert einfach nur die objektive Zusammenstellung von Fakten, die ich dann selbst bewerten darf, ohne bevormundet zu werden. Das ist beim Sport so und auch bei politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Diese Qualität geht dem modernen Journalismus mehr und mehr abhanden, weil er sich als Akteur versteht, nicht als Beobachter. Das ist mittlerweile sogar ein demokratisches Problem, denn ein Artikel eines wertenden Journalisten ist keine Grundlage mehr, um sich eine objektive Meinung über politische Prozesse zu bilden.
Wo genau geht es in dem Artikel um den klassichen Journalismus?
Ich lese hier nur etwas über Sportjournalismus und dessen Aufgabe ist es auch Emotionen mit ins Spiel zu bringen. Würde am Mikrofon tatsächlich nur ein vollkommen neutraler Berichterstatter berichten, würde wahrscheinlich der größte Teil der Radiohörer abschalten und die Fernsehzuschauer auf den Ton verzichten.
Was den restlichen Journalismus angeht, gibt es "noch" genügend Formate die genau ihre Wünsche erfüllen. Leider sind sie am aussterben, weil keiner mehr für solche Leistungen bezahlen will. Und selbst wenn Sie dazu bereit wären, heißt es noch lange nicht, dass es die restlichen auch sind.
Besorgniserregend
Prinzipiell ist mir Herr Reif total egal, ich schaue sowieso sehr selten Fußball, dennoch stört mich die Entwicklung ins Extreme.
Während eines Spiels, kann es ruhig hoch hergehen, aber nach dem Spiel regiert wieder die Fairness und alles was diese Fans getan haben, kann man als übles Nachtreten auffassen und dass sie dies selbst nicht verstehen finde ich sehr besorgniserregend.
Eigentlich müssten sich Verein und DFB vehemnt dagegen aussprechen, damit dieses Verhalten keine Schule macht und weitere extreme Taten herausfordert.
Verdammte Lügensportjournalisten!
Wenn das so weiter geht, muss man bald beim Verein direkt anrufen um sich über das Ergebnis eines Spieles zu informieren. Weil man den verdammten Lügensportjournalisten nicht mehr glauben kann!