Ich kann mich noch genau an die Mathematikstunden in der siebten Klasse erinnern. Wenn die Schulaufgaben korrigiert waren, musste jeder von uns ans Pult gehen, beobachtet von 30 Mitschülern. Der Lehrer drückte uns die Arbeit in die Hand, sagte laut die Note und einen Kommentar wie: "Das war ja mal wieder unter aller Kanone" oder "Für mehr reicht es wohl einfach nicht". Dann liefen wir verstört zurück zu unserem Stuhl. Manche haben bereits auf dem Weg dahin angefangen zu weinen. Das schlimme war immer der Vergleich. Zu sehen, dass einige im Gegensatz zu anderen einfach schlechter waren, egal wie sehr sie sich anstrengten.
Heute studiere ich und dachte eigentlich, ich sei diese Form der Konkurrenz los. Außer mir kennt meist nur das Prüfungsamt meine Ergebnisse. Doch jetzt gibt es ein Programm namens GradeView, mit dem ich mich anonym mit Kommilitonen vergleichen kann. Neben Noten und Credit Points kann ich dort auch Abiturnote, Anzahl und Dauer von Praktika sowie Auslandsaufenthalten im Verhältnis zu anderen Studenten sehen. Je nach Studiengang erhalten Nutzer Jobangebote von Unternehmen, die individuell auf sie zugeschnitten sein sollen. So ist zumindest die Grundidee. Laut eigenen Angaben wächst das 2013 gegründete Portal um etwa 1.000 Nutzer pro Monat und wird vom Entrepreneurship Center der LMU München gefördert.
Ist der Leistungsdruck an der Uni nicht schon groß genug? Muss das wirklich sein? Für gewisse Studiengänge offenbar schon. "Unsere Zielgruppe sind vor allem technische und wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge", sagt Max Weber, ehemaliger BWL-Student und einer der zwei Gründer der Seite. Er ist sich sicher: "Man kann sich dem Leistungsdruck gar nicht entziehen."
Ich wage den Selbstversuch, auch wenn ich nicht der Zielgruppe entspreche. Der Schock: Ich habe zu wenig Credit Points pro Semester gesammelt. Mein Notenschnitt in Germanistik ist aber um 0,25 Punkte besser als der von GradeView errechnete gesamtdeutsche Durchschnitt. Dabei waren meine Ergebnisse in Mittelhochdeutsch und Sprachwissenschaft immer nur unteres Mittelmaß. Da GradeView die Daten seiner Nutzer als Berechnungsgrundlage nimmt, ist diese Aussage natürlich nicht repräsentativ.
Kommentare
Wie bitte soll das "individuell zugeschnitten" sein?
"Je nach Studiengang erhalten Nutzer Jobangebote von Unternehmen, die individuell auf sie zugeschnitten sein sollen."
Bei dem Satz hab ich mich, ähnlich wie der Autor, gefragt, wie genau so ein Angebot eigentlich individuell zugeschnitten sein soll, wenn letztlich nur ein paar Zahlen und vielleicht noch die Anzahl der Praktika und Auslandsaufenthalte zu sehen sind. Wie genau soll das denn bitte "individuell zugeschnitten" sein, wenn ein Großteil des Individuums gar nicht mit abgebildet wird? Das ist genau so eine Mogelpackung wie die ganzen Partnerschafts-Börsen, die letztlich auch nur digital abgleichen, aber die Personen hinter den Datensätzen eben gar nicht abbilden können.
Wie üblich
Was ich kann, lässt sich nicht in Noten und Praktika messen. Das sind leere Ziffern auf einem Computerbildschirm oder einem Blatt Papier. Eigentlich zählen andere Fähigkeiten: Ich muss mich an neue Situationen anpassen können, offen sein. Ich sollte Dinge kritisch hinterfragen, auch mich selbst. Und ich muss in der Lage sein, Probleme lösen zu können.
Die alte Leier. Schön doof von den Studenten, deren gute Leistungen mit Noten gemessen wurden. Schlimm, wirklich schlimm - und die können bestimmt keine "Dinge" kritisch hinterfragen. Schachmatt.
Und dieser furchtbare Leistungsdruck erst. Anstatt jeden vor sich hin studieren zu lassen, damit ganz viele junge Menschen lernen, sich an neue Situationen anzupassen und "Dinge" kritisch zu hinterfragen, führen die bösen Universitäten doch glatt Klausuren durch. Einfach gemein.
Das schlimme war immer der Vergleich. Zu sehen, dass einige im Gegensatz zu anderen einfach schlechter waren, egal wie sehr sie sich anstrengten.
Wahrscheinlich ist es auch ganz egal, dass sich da manche eben gar nicht angestrengt haben. Oder dass sich einige anstrengen und dafür gute Noten bekommen. Streber halt, bäh.
Was für elendes Geschwätz.
Blah blah blah
Einfach mal Nachdenken bitte. Noten sind absolut ungeeignet um die wirklich Leistung und Fähigkeiten von Schülern und Studenten zu bewerten. Da zählt, vor allem in der Schule, einfach extrem viel Sympathie (Arschkriechen) und persönliche Meinung der Lehrer. Zumal gleiche Antworten von verschiedenen Lehrern teilweise ganz unterschiedlich benotet werden.
Dazu kommt vor allem die unterschiedliche soziale Situation. Für einige ist es sehr viel einfacher gute Noten zu erreichen, während andere sich abmühen und es trotzdem nicht schaffen - aus Zeitmangel (nebenbei jobben müssen), keiner richtigen Unterstützung, ..
Nicht so ignorant alle über einen Kamm scheren würde Ihnen gut tun. Denn das System ist in keinster Weise gerecht.
Leistungsvergleich spornt an, ...
... man strengt sich an, beim nächsten Mal besser zu sein. Es gilt vom Kindergarten bis zum Universitätsdiplom, und sogar danach. Die Gleichmacherei untergräbt die Entwicklung der Gesellschaft.
ein Sporn tut weh...
was hat kein! Leistungsdruck mit Gleichmacherei zu tun? Es ist doch genau umgekehrt: Man macht alle Lernenden gleich, weil ja niemand so blöd wäre, ein wesentlich schwierigeres Seminar zu besuchen, um dann eine schlechtere Note zu bekommen.
Oder: In den Lehrveranstaltungen wird nur noch das gelernt, was dann in Prüfungen abgefragt wird. Wann hat man heute noch die Chance dazu, sich intensiv mit etwas zu beschäftigen, was nicht unmittelbar schon vom Dozenten vorgekaut wird?
Notenvergleich ist eigentlich ja nur an der eigenen Uni und für das aktuelle Semester möglich. An meiner Uni gab es so manche Vorlesung (jährlich vom selben Professor gehalten), wo der Notenschnitt binnen eines Jahres um bis zu 2 ganze Noten nach oben/unten gegangen ist. Bei weit über 200 Studenten die jedes Semester diese Vorlesungen hören müssen, wird es wohl nicht an den Studenten gelegen haben (angeblich werden die zwar immer dümmer, aber es damit erklären zu wollen, erscheint schon sehr weit hergeholt).