ZEIT ONLINE: Frau Hazelkorn, Sie erforschen seit Jahren die Bedeutung von Hochschulrankings. Diese wollen die Qualität von Forschung und Lehre bewerten. Warum gibt es immer mehr internationale und nationale Ranglisten?
Ellen Hazelkorn: Wir leben in einer mobilen Welt, in der Länder ständig um Investitionen und Talente kämpfen. Internationale Rankings sind ein Anker für Nationen geworden, die sich untereinander messen wollen. Universitäten sind ein Indikator dafür, wie gut die Wirtschaft in einem Land funktioniert. Deshalb will jeder Elite-Unis in seinem Land, die weltweit bekannt sind.
ZEIT ONLINE: Suchen Studenten tatsächlich danach ihre Unis aus?
Hazelkorn: Studenten aus ärmeren Schichten gehen meist zur Universität in der Heimat. Doch leistungsstarke Studenten und solche aus höheren Gesellschaftsschichten schauen auf Rankings, um ihren Erfolg noch weiter zu steigern. Sie wollen sich von der Masse abheben. Die Rankings sind sehr genau auf Elite-Studenten zugeschnitten.
ZEIT ONLINE: Welche Kriterien werden also zugrunde gelegt?
Hazelkorn: Rankings erfassen zum Beispiel, wie viel Prozent der Studenten ein Studium erfolgreich abschließen, wie viele danach sofort einen Job finden und wie hoch die Einstiegsgehälter sind. Einige Rankings messen sogar, wie viele Spenden ihrer Alumni eine Uni erhält. Deshalb nehmen Unis auch die Top-Studenten ins Visier, denn Studenten aus sozial schwachen Familien oder nicht so leistungsstarke Studenten gefährden ihre Reputation. Ich will nicht sagen, dass sie nicht erwünscht sind, aber ein Student, der nebenbei noch arbeiten gehen muss, wird vielleicht nicht ganz so schnell mit seinem Studium fertig. Deshalb kämpfen Unis um die besten nationalen und die besten internationalen Studenten, denn die werden ihnen auch in den nächsten Rankings helfen.
ZEIT ONLINE: Warum sind internationale Studenten so wichtig? Viele verlassen schließlich später wieder das Land.
Hazelkorn: Da ist Deutschland ein gutes Beispiel. Das Land hat ein demografisches Problem, langfristig wird es weniger Studenten geben. So entsteht ein riesiger Wettbewerb um internationale Studenten zwischen den Nationen. Die sehr klugen Studenten können sich ihre Uni aussuchen. Und jede Uni will diese Studenten, zum einen weil sie starke Leistungen erbringen, zum anderen helfen viele internationale Studenten wiederum im Ranking. Das ist ein Kreislauf. Unis promoten sich deshalb mithilfe der Rankings. Wenn Rankings noch nicht existieren würden, würden sie vermutlich erfunden werden.
ZEIT ONLINE: Macht der Wettbewerb die Unis besser?
Hazelkorn: Rankings sind deshalb so populär, weil sie simpel sind. Oberflächlich lassen sich Universitäten leicht vergleichen. Aber die wenigsten fragen sich: Was wird da überhaupt gemessen? Internationale Rankings konzentrieren sich vor allem auf Forschung, zum Beispiel wie viele Beiträge in Fachjournalen veröffentlicht werden. Studienbedingungen stehen weniger im Fokus. Qualität ist natürlich schwerer zu messen. Schon Einstein stellte sinngemäß die Frage: Zählen wir, was einfach ist, oder zählen wir, was einen Sinn hat?
Kommentare
Um mal einen Kontrapunkt zu setzen
Frau Hazelkorn vermittelt den Eindruck, die Lehre einer Universität sei wichtig, die Forschung hingegen komplett unwichtig. Das stimmt so nicht.
Die Qualität der Forschung einer Universität ist ganz entscheidend. Vielleicht nicht zwingend für den Studienanfänger bei der Auswahl der Uni (darüber ließe sich zumindest streiten), aber durchaus für die Gesellschaft insgesamt. Unis sind Ausgangspunkt vieler Innovationen, die unser aller Leben beeinflussen, Arbeitsplätze schaffen und unseren Wohlstand sichern.
Zielgruppe der Rankings ist eben nicht NUR der Studienanfänger, sondern auch der Geldgeber für Forschungsmittel oder das Industrieunternehmen, das Kooperationspartner sucht.
Außerdem sorgen Rankings für Wettbewerb unter den Forschern. Professoren werden dazu angespornt, nicht nur ihre 9 Stunden Lehre mit 10 Jahre alten PowePoint-Folien abzulesen und ansonsten Däumchen zu drehen, sondern auch exzellente Forschungsergebnisse zu liefern. In gewissem Maß hat diese Leistungsmessung seine Berechtigung, auch wenn es teilweise übertrieben wird.
Das kann man nun mögen oder nicht - aber man muss sich einfach klar machen, dass Rankings nicht nur Studienanfänger als Zielgruppe haben.
Und nebenbei:
Auch Studierende können von guter Forschung profitieren. Ist halt die Frage, was man möchte:
Wie im Schulbetrieb seine Stunden absitzen und standardisierte Inhalte beigebracht bekommen; mit dem Versprechen: "Wenn du 8 Stunden pro Tag investierst, deine Stunden absitzt und schön auswendig lernst, wirst du später einen Job bekommen" ...
Oder ob man nicht lieber spannende Ideen in sich aufsaugen möchte, das vibrierende Umfeld einer forschungsorientierten Uni aufsaugen, brillante Menschen treffen, ein Spin-off gründen, selbst etwas bewegen. Allgemein: Sich von Ideen so fesseln lassen, dass sie einen auch nach Feierabend nicht mehr loslassen.
Die meisten Rankings ...
... schmeißen verschiedenste Faktoren zusammen und brauen sich daraus dann ihre Suppe, die sie als absolute Wahrheit präsentieren. Die meisten befragen dazu auch Wissenschaftler weltweit zur 'Reputation'.
Die großen Rankings sind selbsterfüllende Prophezeiungen und notorisch invalide.
Besser sind Rankings, die sich auf einzelne, messbare Faktoren konzentrieren. So z.B. das Leiden Ranking, das die Forschungsstärke anhand von Zitationen, der Währung der Wissenschaft, misst.
Ohne Forschung keine Universität
Die Aufgaben eines deutschen Universitätsprofessors ist die Forschung und Lehre und zwar genau in dieser Reihenfolge. Ein Professor ist kein ausgebildeter Pädagoge und muss es auch nicht sein, denn eine Universität ist keine Schule. Daran sollte man sich wieder erinnern.
Eine hervorragende Alternative zur Universität gibt es auch, die Fachhochschule. Dort steht die Lehre im Mittelpunkt und der schulartige Unterricht.
Den dt. Universitäten mangelt es nicht an experimenteller Ausstattung, wohl aber an einer vernünftigen Personalpolitik für Wissenschaftler.
Prioritätenfolge
"Eine hervorragende Alternative zur Universität gibt es auch, die Fachhochschule. Dort steht die Lehre im Mittelpunkt und der schulartige Unterricht."
Nur werden Lehrer, Anwälte und Ärzte exklusiv an Universitäten ausgebildet und auch die Chemie ist an Fachhochschulen nicht im gefragtem Maße vertreten. Warum auch Betriebswirte vornehmlich an Universitäten ausgebildet werden müssen, erschließt sich mir nicht, das bleibt das Geheimnis der Kultusministerien. In den anderen Fächern ist dies historisch bedingt, ändert aber nichts daran, dass die wenigsten Absolventen später wissenschaftlich arbeiten (werden / können / dürfen), die Stellenzahl in dem Bereich ist bekanntlich nicht allzu hoch. Bei Lehrern finde ich dies bedeuerlich, werden sie an naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultäten doch oft als Studenten 2. Klasse betrachtet.
Im Übrigen widmeten sich die Lehrstuhlinhaber (C4) zu meiner Zeit den Aufgaben in folgender Reihenfolge:
1. Drittmitteleinwerbung
2. Publizieren ohne neue Ergebnisse, es zählt schließlich der Citation Index
3. Verwaltungsaufgaben, Forschungsbereichte, Frauenförderberichte, Beiratsberichte, Kommissionen
4. Forschung (das von Ihnen erstgenannte, übrigens theoretisch mit der Lehre gleichwertige)
5. Lehre
Ein Gutteil der Lehre entfiel noch auf die Akademischen Oberräte (die waren wirklich ein Segen, deren Abschaffung ein gewaltiger Fehler) und Doktoranden.
Die Realität ist: Deutsche Unis spielen in internationalen
Rankings überhaupt keine Rolle (gem. an Publikationen, Forschung und Preisen). Da braucht sich Dtl. nix einzubilden. Masse statt Klasse heißt die Devise in Dtl. Fast jede/r soll studieren - am besten noch ewiger Student sein. Wenn Studiengebühren i.H.v. mehreren 1000x Euros verlangt werden würden, wäre das anders.
Dichte
Das stimmt so sicher nicht. In vielen Naturwissenschaftlichen Fachbereichen, wie Biologie, Chemie oder Physik sind dt. Arbeitsgruppen ganz vorne mit dabei! Andere Disziplinen kann ich nicht beurteilen, aber ich denke auch dort werden sie hervorragende dt. Arbeitsgruppen finden.
Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied, der sich dann auf diese Rankings auswirkt. Während bei uns viele exzellente Gruppen über ganz Deutschland verteilt sind, konzentrieren sich diese in den USA auf einige wenige, oft private, Universitäten. Beides hat Vor- und Nachteile.