ZEIT ONLINE: Herr Sachs, der Westen will Russland im Ukraine-Konflikt nicht
ungestraft davonkommen lassen. Sind Sanktionen der richtige Weg?
Jeffrey D. Sachs: Um das ganz klar zu sagen: Die Antwort Russlands auf den
Umsturz ist gefährlich. Jegliches einseitige militärische Handeln ist illegal.
Ich will das nicht entschuldigen. Aber statt Russland jetzt mit Vorwürfen und
Drohungen zu überziehen, sollten wir versuchen, die Lage zu beruhigen und nicht
noch weiter anzuheizen. Uns muss klar sein: Hier steht eine Menge auf dem
Spiel. Russland wird eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht akzeptieren.
Das anzustreben, wäre ein gefährlicher Schachzug, auch für die Nato.
ZEIT ONLINE: Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung die russischen Interessen ausreichend im Blick hat?
Sachs: Das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, der Auslöser der Maidan-Proteste, wurde von einigen in der EU als Provokation gegen Russland eingesetzt. Entsprechend war die Rhetorik, auch von Seiten der USA. In Momenten wie diesen melden sich viele unverantwortliche Menschen zu Wort, die beispielweise eine Isolierung Russlands fordern. Doch diese Krise kann nicht ohne den wichtigsten Gläubiger und Nachbarn der Ukraine gelöst werden, der zudem wichtige Sicherheitsinteressen in der Region hat. Das ist ein Irrglaube. Wer das denkt, blendet die politische Realität aus.
ZEIT ONLINE: Aber Russland hat die Krim faktisch besetzt. Haben Sie dafür Verständnis?
Sachs: Das ist illegal. Noch können wir das Rad zurückdrehen, aber dafür brauchen wir den richtigen Ansatz – und keine Drohungen. Nötig ist ein kooperatives Verhalten mit Augenmaß. Den neuen Machthabern in der Ukraine muss unter der Hand unmissverständlich klargemacht werden: Ihr reißt Euch besser zusammen und verhaltet Euch wie ein vernünftiges Nachbarland. Bitte nicht missverstehen: Die Revolutionäre sollen nicht aufgeben, aber sie müssen mit Russland konstruktiv umgehen.
ZEIT ONLINE: Was würde geschehen, wenn so etwas in Kanada passiert wäre? Wie würde Washington reagieren?
Sachs: Nehmen wir einmal an, Kanada und China einigen sich auf ein Freihandelsabkommen – ohne die USA vorher informiert zu haben. Und dann wäre auch noch die Regierung gestürzt worden. Von anti-amerikanischen Demonstranten! Und chinesische Vertreter würden unter dem Motto "Ihr gehört jetzt zu uns" nach Kanada reisen. Ich habe keine Ahnung, wie genau die USA reagieren würden – aber sehr erfreut wären sie nicht. Eine gelassene Antwort dürfte man nicht erwarten.
ZEIT ONLINE: Was ist jetzt nötig, um die Krise zu entschärfen?
Sachs: Die Lage ist extrem gefährlich. Aber Russland, die USA und auch die EU haben kein Interesse an einer weiteren Eskalation. Die Ukraine muss jetzt sehr genau aufpassen. Eine Regierung mit einem starken anti-russischen Zug würde den ukrainischen Interessen sehr schaden. Um ein Bild zu benutzen: Neben der Ukraine hockt ein Riese. Und zufälligerweise versorgt dieser Riese das ganze Land mit Energie und Kapital und hat auch noch eine sehr wichtige Militärbasis im Land. Deshalb: Jeder muss jetzt ganz tief durchatmen und sich klar machen, welche Interessen hier auf dem Spiel stehen.
ZEIT ONLINE: Was muss Europa unternehmen?
Sachs: Europa sollte auch sehr vorsichtig sein. Was soll das Gerede
von Sanktionen, die ganzen Drohungen? Putin hat seine Soldaten in die Ukraine
geschickt, aber keine Eingliederung der Krim oder Ost-Ukraine angekündigt. Das
ist ein großer Unterschied. Es gibt die Möglichkeit für eine Verhandlungslösung,
bei der die Grenzen der Ukraine respektiert werden.
ZEIT ONLINE: Welche wirtschaftlichen Kosten hat die Krise?
Sachs: Auf sich allein gestellt ist die ukrainische Wirtschaft kaum überlebensfähig. Der Westen liegt falsch, wenn er denkt, hier gäbe es einen tollen Preis zu gewinnen. Eine heruntergekommene Volkswirtschaft mit einem feindlich gesinnten Russland nebenan – ich würde die nicht haben wollen! Der Ausweg sind langfristige Strukturreformen mit Hilfe Russlands und Europa.
ZEIT ONLINE: Kann und will Europa das leisten?
Sachs: Ich habe nicht den Eindruck, dass Europa gerade besonders viel Geld auf der hohen Kante hat. Wenn dem so wäre, frage ich mich: Warum habt ihr das Geld nicht Griechenland oder Portugal gegeben?
ZEIT ONLINE: Russlands Wirtschaft ist zwar längst nicht so abhängig von der Ukraine wie andersherum. Aber Russland steckt auch in einer Krise, Anleger haben das Vertrauen verloren. Was kann die Regierung in Moskau dagegen tun?
Sachs: Russlands Wirtschaft hat nur noch einen Antrieb: die Energieexporte. Allerdings ist das Potenzial für einen zweiten Antrieb da, etwa in der Luft- und Raumfahrt, Auto- oder Schwerindustrie. Diese Branchen sind derzeit noch nicht international wettbewerbsfähig. Hier müsste der Kreml ansetzen und sie gezielt fördern. Helfen könnten Partnerschaften mit Ländern wie Deutschland, die über eine High-Tech-Industrie verfügen. Davon würden nicht nur Europa und Russland profitieren, sondern auch die Ukraine als Transitland. Das Schlimmste wäre es, den Kalten Krieg wieder aufleben zu lassen.
Kommentare
Es gibt sie noch!
Ein Mensch, ausgestattet mit Vernunft statt nervtötender Hysterie, zielloser Planlosigkeit und heuchlerischer Empörung.
1 unter 1000 mittlerweile - ein Jammer!
Gilt um so mehr für Europa
Sanktionen können nur schaden, vor allem wirtschaftlich uns selbst.
Endlich!
Nach und nach beginnen die hiesigen Online-Zeitungen mit einer ruhigeren, differenzierteren Analyse.
Die ersten Tage war's wirklich schwer zu ertragen.
Gutes Interview, ich teile die Sicht des Interviewten und damit auch des Außenministers Frank-Walter Steinmeier.
Kardinalfehler
Mr. Sachs macht einen Kardinalfehler, er setzt Putin als "rationalen Staatsmann", während Putin eher in Begriffe wie denen eines "Mafiaclans" denkt.
Gestern hat Putin noch gejammert wie schlimm doch die Kurruption in der Ukraine sei, dabei ist er doch einer der größten Spieler in diesem Geschäft, durch seine "Ritter der Tafelrunde".
Im Konflikt zwischen Russland und der EU geht es darum, ob sich auf Gesetzen gründende Staat, die für alle gelten gegen eine "Mafia-Diktatur" durchsetzen.
Nicht nur einen Kardinalfehler macht Herr Sachs!
Richtig, einen, der die ganze Welt dreist belügt, "es sind gar keine russischen Soldaten, sondern unbekannte Wesen auf der Krym" kann man nicht für einen Staatsman halten. Aber das ist noch der kleinere Fehler, der viel grössere ist, Kanada und USA mit Russland/Ukraine zu vergleichen: Kanada ist NATO Mitglied und damit in der Pflicht degenüber den anderen Mitgliedern inklusive USA. Ukraine ist KEIN Mitglied von irgendwelchen Bündnissen mit Russland! Ukraine hat keinerlei irgendwelche Verpflichtungen (abgesehen von Gaszahlungen) gegenüber von Russland, putinsches Russland hat da gar nicht mitzureden, geschweige denn, Truppen zu schicken. Also, Herr Sachs, bleiben Sie bei Ihren "Leisten", beraten Sie weiter in Klimafragen.
die frage wird nioch gestellt werden
..warum ist genug Geld für die Ukraine da und anderswo in Europa nicht......und beantwortet wird sie am 25 Mai, wenn Europawahlen sind
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Keine Ahnung jetzt ob der funktioniert, wenn nicht, einfach in den Browser kopieren. Ist interessant.