ZEIT ONLINE: In Deutschland sind ältere Menschen überdurchschnittlich oft von Altersarmut bedroht – laut OECD ist jeder Zehnte der Über-65-Jährigen gefährdet. Herr Raffelhüschen, warum ist Altersarmut für Sie dennoch eines der "meistüberschätzten Phänomene der Gegenwart"?
Bernd Raffelhüschen: Die OECD verfügt nicht über die Daten der Sozialhilfeämter, deshalb sind die Angaben schlicht nicht vertrauenswürdig. Glaubwürdig sind nur die Sozialhilfedaten. Und danach gibt es unter allen genau eine Altersgruppe, die am wenigsten gefährdet ist: die Alten.
ZEIT ONLINE: Wenn Sie den OECD-Daten nicht glauben: Dem Statistischen Bundesamt zufolge benötigten 2012 so viele Rentner staatliche Unterstützung wie noch nie.
Raffelhüschen: Man muss zwischen der Zahl der Antragssteller und denjenigen unterscheiden, die tatsächlich staatliche Grundsicherung bekommen. Das sind deutlich weniger. Die Menschen haben im Durchschnitt mehr als eine Rente. Außerdem: Wer eine Rente unterhalb der Sozialhilfe erhält, fällt nicht automatisch in die Grundsicherung. Er oder sie kann eine Betriebsrente, andere Einkünfte oder Vermögen haben.
ZEIT ONLINE: Die jüngere Generation muss ihre Jobs häufiger wechseln – für viele dürften die goldenen Zeiten einer zusätzlichen Betriebsrente vorbei sein.
Sahra Wagenknecht: Ja, Leiharbeiter, Werkvertragler oder Beschäftigte, die sich von Befristung zu Befristung hangeln, können von so etwas nur träumen. Wegen der sich erst schrittweise auswirkenden Rentenkürzungen ist Altersarmut vor allem ein Problem der Zukunft. Da sieht es ausgesprochen schlecht aus.
Raffelhüschen: Na ja, ich bin kein Spökenkieker. Anders als Frau Wagenknecht kann ich nicht in die Zukunft sehen. Was ich aber sagen kann: In Zukunft wird es mehr arme Alte geben. Ob die allerdings dann wirklich Grundsicherung vom Sozialamt bekommen? Es gibt auch viele Niedrigverdiener, die ein Häuschen erben. Der Steuerzahler wird den Armen helfen. Aber er hat natürlich auch das Recht zu überprüfen, ob dieser Arme wirklich bedürftig ist. In Deutschland gibt es wahrscheinlich auch in Zukunft keine überproportionale Altersarmut.
ZEIT ONLINE: Wer ist dann von Armut bedroht?
Raffelhüschen: Viele Kinder, beziehungsweise Alleinerziehende mit Kindern. Das sollte uns interessieren. Alles andere ist Wahlkampfgetöse.
Wagenknecht: Das kann man doch nicht gegeneinander stellen! Ja, Kinder sind in diesem Land besonders von Armut bedroht, und das ist schlimm genug. Aber wir haben auch immer mehr alte Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Miete und ihren Strom bezahlen sollen. Der Blick in die Zukunft ist keine Prophetie. Die Politik hat beschlossen, dass das durchschnittliche Rentenniveau auf unter 43 Prozent sinken soll. Ein Durchschnittsverdiener braucht dann 35 Jahre, um eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu erhalten. Da kann einem nur schlecht werden.
Kommentare
Interessant
"Na ja, ich bin kein Spökenkieker. Anders als Frau Wagenknecht kann ich nicht in die Zukunft sehen. Was ich aber sagen kann: In Zukunft wird es mehr arme Alte geben. Ob die allerdings dann wirklich Grundsicherung vom Sozialamt bekommen? Es gibt auch viele Niedrigverdiener, die ein Häuschen erben. Der Steuerzahler wird den Armen helfen. Aber er hat natürlich auch das Recht zu überprüfen, ob dieser Arme wirklich bedürftig ist. In Deutschland gibt es wahrscheinlich auch in Zukunft keine überproportionale Altersarmut."
Wenn morgen vom BDI oder der Bertelsmann-Stiftung eine Prognose kommt wie "Wenn wir jetzt nicht deutlich an den Löhnen sparen, kommt der Chinese bis 2045" oder so wird das ja auch gerne akzeptiert und als Argument verwendet. Ich bezweifle allerdings auch, dass die Gruppe der Niedrigverdiener die ein Haus erbt so groß ist, dass sie relevant ist.
"Tatsächlich treibt der Mindestlohn die Menschen in Armut. Viele, die im Moment über den Niedriglohnsektor in die normale Arbeitswelt einsteigen, sind für den Mindestlohn schlicht nicht produktiv genug. Sie bleiben in Hartz IV. Die Schätzungen gehen von 500.000 bis zu einer Million Menschen."
Also sind Schätzungen jetzt doch in Ordnung? Aha, und Herr Winterkorn produziert jährlich alleinen einen Gewinn von 16 Mio oder mehr? Wer ist produktiv? Der, der das Erz aus der Mine holt, der der es transportiert, der es verarbeitet oder wirksam bewirbt?
Ja, das ist die Frage...
Wer ist produktiv? Wer bringt die Menschheit weiter.
John Ball (* 1335; † 15. Juli 1381) sagte dazu:
„Als Adam grub und Eva spann, wer war da der Edelmann?“
Da verläuft die grosse Grenze: zwischen den edlen Finanzeliten oben und den arbeitenden Menschen unter, die um den Lohn betrogen werden.
Ökonom?????? Lobbyvertreter!!!!!
In der Tradition der Freiburger Schule stehend, vertritt Raffelhüschen eine liberale Auffassung, auch bezüglich der Reform des deutschen Rentensystems. Die Entwicklung eines Modells führte zur Berufung in die Rürup-Kommission.
Die Nebentätigkeiten Raffelhüschens in der Versicherungswirtschaft haben wiederholt zu Kritik geführt, da er als Wissenschaftler die kapitalgedeckte private Altersvorsorge propagiert. So ist Raffelhüschen Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe sowie der Volksbank Freiburg. Des Weiteren ist er als wissenschaftlicher Berater für die Victoria Versicherung AG in Düsseldorf tätig.
Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, wo er seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz herausbringt. Darüber hinaus ist er als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig. Raffelhüschen ist Beiratsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.
Raffelhüschen betätigt sich auch als Vortragsreisender für die private Versicherungswirtschaft, beispielsweise mit 40 Veranstaltungen der Heidelberger MLP AG im Jahre 2004 und weiteren im Jahre 2005.[1]
Seit August 2007 ist Raffelhüschen Mitglied des Kuratoriums der Augustinum Gruppe, welche dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche angehört.
Raffelhüschen ist Mitglied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.
Diese enge Verflechtung mit der Versicherungswirtschaft
des Herrn Raffelhüschen habe ich auch gerade gelesen und wollte hier darauf hinweisen.
Danke, dass Sie es so ausführlich getan haben!
Hin und wieder lese ich Artikel der INSM, für die Herr Raffelhüschen wirbt, und muss meinem Eindruck Ausdruck verleihen, dass es sich dabei größtenteils um neoliberale Plattituden im Gewand eines Glaubensbekenntnisses handelt.
Im Übrigen, liebe Zeit, ist Frau Wagenknecht nicht nur Linkenpolitikerin, sondern ebenfalls wie Herr Raffelhüschen promovierte Volkswirtschaftlerin.
In Ihrer Überschrift wird der Eindruck vermittelt, als handle es sich bei dem Dialog um einen zwischen einem ausgewiesenen Wissenschaftler, natürlich mit den entsprechenden Kompetenzen, und einer einfachen Ideologin. Das ist nicht fair.
Also Herr R. meint, auch Niedriglöhner seien nicht arm, weil sie evtl. auch mal ein Häuschen erben könnten. Mon Dieu !
Ja, auch Flaschensammler sind nicht wirklich arm, sie könnten doch in einer Flasche mal Geld finden.
Wenn ein Niedriglöhner in Hartz4 abrutscht, ist er das Häuschen auch ganz schnell wieder los, sofern dieses einen gewissen Wert übersteigt oder die Wohnfläche zu groß ist für die darin lebende Personenzahl.
Frau Wagenknecht argumentiert hier eher als Wissenschaftlerin, Herr Raffelhüschen als Lobbyist.
Ökonom Teil 2
Neben der Kritik an Raffelhüschens Nebentätigkeiten für die private Versicherungswirtschaft wird auch die Kofinanzierung seines Institutes kritisch betrachtet. Zu den Sponsoren zählen u. a. die HDI-Gerling Pensionsmanagement AG, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die Süddeutsche Krankenversicherung a.G., die Union Asset Management Holding AG sowie der Verband der privaten Krankenversicherung e. V.[2]. Als weiterer Kritikpunkt gilt sein mediales Auftreten als unabhängiger Experte, ohne dass er seine berufliche Verknüpfung mit den Versicherungsunternehmen kenntlich macht.[3].
DANKE! Sehr geehrter Mit- Forist
für Ihre Ausführungen.
Ich möchte daran den Wunsch auch an die Redaktionen anschliessen dass - wie bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen - die jeweiligen Verbindungen von Interviewpartnern immer mit angegeben werden.
Ich selber kann da nur bei Wikipedia googlen…..oder halt auf fachkundige Mit- Forsten wie toskana2012 hoffen.
Nochmals:
merci vielmals
Bei in etwa 43% Wohneigentumsquote
"Es gibt auch viele Niedrigverdiener, die ein Häuschen erben."
..... würde ich diese Möglichkeit doch eher ausschließen um der Altersarmut vorzubeugen. http://de.wikipedia.org/w...
Außerdem sind gerade alte Häuser nicht gerade kostengünstig was den Verbrauch von Energie angeht und die Grundsteuern sind gerade auf einem Allzeithoch.