Die chinesische Regierung hat die wirtschaftliche Lage im Land nicht mehr im Griff. Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man sich die Entwicklung an den chinesischen Aktien- und Devisenmärkten in den vergangenen Wochen anschaut. An den Börsen haben die staatlichen Eingriffe – wie die Einführung einer inzwischen wieder abgeschafften Notbremse – das Gegenteil ihrer beabsichtigten Wirkung erzielt und die Panik unter Investoren verstärkt. Und in der Wechselkurspolitik könnten sich die Intransparenz und die mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Zentralbank zu einer Gefahr für die globale Finanzstabilität entwickeln.
Die Regierung in Peking verspielt so ihre Glaubwürdigkeit. Für die sich verschärfenden ökonomischen Probleme des Landes ist das ein verheerendes Signal. Schon jetzt wächst die Wirtschaft immer langsamer, während die Verschuldung des Landes rasant steigt. Kredite gehen vor allem an unrentable Staatsunternehmen, während viele innovative Privatunternehmen erfolglos nach Finanzierungsquellen suchen.
Und so investiert China weniger in seine wirtschaftliche Zukunft als vielmehr in die Aufrechterhaltung staatlicher Zombie-Firmen. Die sitzen bereits seit Jahren auf gigantischen Überkapazitäten und gefährden aufgrund ihrer hohen Verschuldung die Stabilität des Finanzsystems. Gleichzeitig leidet China unter einer schwachen globalen Nachfrage, die die Exportwirtschaft empfindlich trifft. Aufstrebende Branchen wie die Internetwirtschaft sind bislang nicht in der Lage, die Probleme in den traditionellen Industrien auszugleichen. Eine Folge: Der fiskalische Spielraum schrumpft, Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft sind immer schwerer zu finanzieren.
Was das Land in dieser Situation braucht, ist eine geschlossene Führung, die tiefgreifende Strukturreformen umsetzt. Ringt sich Chinas Regierung dazu durch, das Finanzsystem zu entpolitisieren, mehr Raum für Privatunternehmen zuzulassen und ein neues, die Kreativität des Einzelnen förderndes Bildungssystem zu schaffen, kann der Übergang zu einem neuen Wachstumsmodell gelingen.
Nur: Solche Reformen würden unweigerlich die Macht der Kommunistischen Partei über Wirtschaft und Gesellschaft einschränken. Entsprechend groß ist der Widerstand in Peking. Und so wundert der Eindruck nicht, dass der Widerspruch zwischen dem Kontrollanspruch der Partei und dem notwendigen Abbau politischer Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen zunehmend zu innerparteilichen Konflikten und Reformblockaden führt.
Die Ironie dabei ist, dass die Angst vor dem Kontrollverlust genau diesen zur Folge haben könnte. Gelingt es der Regierung nicht, die Fundamente für ein neues Wachstumsmodell zu legen, wird sich die wirtschaftliche Krise unweigerlich verschärfen und die Arbeitslosigkeit im Land wird weiter steigen. Das aber wäre politisch extrem brisant. Denn die Legitimität der Partei beruht seit Jahrzehnten darauf, dass sie für einen wachsenden Wohlstand der Bevölkerung sorgt.
Wirklich aussagekräftige Statistiken zur Arbeitslosigkeit in China gibt es nicht. Trotzdem mehren sich die Anzeichen, dass die Zahl der Chinesen ohne Job steigt. So wächst seit dem vergangenen Sommer vor allem in Südchina die Zahl der Proteste von entlassenen Wanderarbeitern, die verbesserte Sozialleistungen fordern. Dass Arbeitsrechtler in den vergangenen Monaten Opfer verstärkter Repression wurden, zeigt allzu deutlich, wie empfindlich die Partei auf diese Entwicklungen reagiert. Größtenteils bleibt die wachsende Arbeitslosigkeit bislang jedoch verdeckt. Denn in vielen Staatsunternehmen werden Arbeiter weiterbeschäftigt, obwohl sie aufgrund der sich abkühlenden Wirtschaft keiner sinnvollen Tätigkeit mehr nachgehen können.
Droht eine Systemkrise?
Der ungeschriebene Vertrag zwischen Partei und Bevölkerung wird allerdings nicht nur durch Probleme auf dem Arbeitsmarkt bedroht. Vielmehr gefährden auch Instabilitäten auf den Finanzmärkten den sozialen Frieden. Dubiose Finanzierungsarrangements im Schattenbanksektor brechen reihenweise zusammen und vernichten das Vermögen zahlloser Sparer, die auf einen schnellen Geldsegen gehofft haben. Nicht zuletzt bergen auch die Kursstürze an den Börsen das Potenzial für soziale Verwerfungen.
Spitzen sich die wirtschaftlichen Probleme weiter zu, ist es wahrscheinlich, dass Massenarbeitslosigkeit und Vermögensverluste zu sozialen Unruhen in völlig neuen Größenordnungen führen. Sollten sich die Proteste dabei von der Peripherie auf das Zentrum der Macht ausweiten und sich Wanderarbeiter mit der städtischen Mittelschicht, Studenten und demobilisierten Soldaten solidarisieren, geriete die Regierung in große Bedrängnis.
In einer solchen Situation wäre die Gefahr groß, dass die schwelenden innerparteilichen Konflikte offen ausbrechen und in eine Systemkrise münden würden. Noch aber hat die Partei die Chance, ein solches Worst-Case-Szenario zu verhindern. Überwindet sie sich dazu, ihre Eingriffe in die Wirtschaft zu reduzieren und die notwendigen Strukturreformen umzusetzen, kann das Land auf einen neuen Wachstumskurs geführt werden. Es wäre daher voreilig, bereits heute einen Abgesang auf das KP-Regime anzustimmen. Doch liegt es auf der Hand, dass die Partei ihre wirtschaftspolitischen Zügel lockern muss, wenn sie im Sattel bleiben will.
Kommentare
Das Problem ist, die Regierung versucht alles, die Kontrolle zu behalten.
Dafür setzt sie die Marktkräfte außer Kraft und will in alter Zentralbüromanier den Markt zentral steuern. Da dies noch nie funktioniert hat, wird es auch dieses mal schiefgehen. Man kann nur hoffen, dass die chinesische Führung zurück zu Deng Xiaoping
findet, der die Korrektur der chinesischen Staatswirtschaft eingeläutet hat. Sein wichtigster Satz lautete damals: "Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache, sie fängt Mäuse."
Was wäre denn ihre Lösung?
Das übliche Paket der Chicagoer Schule? Wirtschaftsfaschismus a la Friedman? Völlige Deregulierung, Marktöffnung und das ganze Zeug?
Was soll denn dann passieren, außer daß der gerade erst entstandene chinesische Mittelstand wieder breitflächig in die Armut abrutscht?
Die reichen und superreichen Chinesen werden dann kurzfristig noch reicher - siehe Rest der kapitalistischen Welt. Bis es dann*Puff* macht und der ganze herbeihalluzinierte Wohlstand aus Aktienkursen und Papiergeld sich in Nichts auflöst.
Ich höre immer nur dieses Rumgeweine "Chinas Regierung greift zu stark in die Marktmechanismen ein". Alles MiMiMi. Wie sieht ihr konkreter Vorschlag aus und wo war der schon mal erfolgreich auf diesem Planeten?
Es kommt mir so vor als ob in vielen Ländern dieser Erde jetzt Entscheidungen getroffen werden müssen, die die Macht der politischen Kasten infrage stellt. Die Flexibilität und Komplexität der Entscheidungsfindungen in heutiger Zeit, fest eingebunden in moralischen Grundsätzen, überfordert demokratisch, wie auch zentral geführte Regierungen.
"Und in der Wechselkurspolitik könnten sich die Intransparenz und die mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Zentralbank zu einer Gefahr für die globale Finanzstabilität entwickeln."
Und das kann natürlich nicht daran liegen, dass das globale Finanzsystem per se zu Asymmetrie auf den Finanzmärkten, somit also zu Instabilität, neigt...
"Die Regierung in Peking verspielt so ihre Glaubwürdigkeit."
Wenn eine Regierung also nicht direkt springt, wenn es die Finanzmärkte von ihr fordern, dann ist sie also unglaubwürdig. Dann muss unsere Regierung ja sehr glaubwürdig sein...
"Schon jetzt wächst die Wirtschaft immer langsamer, während die Verschuldung des Landes rasant steigt."
Also wie bei uns...
"Kredite gehen vor allem an unrentable Staatsunternehmen, während viele innovative Privatunternehmen erfolglos nach Finanzierungsquellen suchen."
Klar, es sind natürlich ausschließlich die Privatunternehmen, welche innovativ sind...
"Wirklich aussagekräftige Statistiken zur Arbeitslosigkeit in China gibt es nicht."
Bei uns auch nicht. Propaganda funktioniert halt überall gleich...
"Spitzen sich die wirtschaftlichen Probleme weiter zu, ist es wahrscheinlich, dass Massenarbeitslosigkeit und Vermögensverluste zu sozialen Unruhen in völlig neuen Größenordnungen führen."
Endlich mal ein Unterschied zu Deutschland! Zu sozialen Unruhen wird es bei uns nie kommen...
Was für ein neoliberaler Hardcore-Artikel...
Sie können eben nicht den Markt aus und anschalten, wann Sie wollen. Das hätte der Regierung auch klar sein müssen.
Vor allem, wenn was schief geht ist das Finanzsystem schuld, die Wirtschaft Schuld, der Neoliberalismus Schuld, etc. Lassen Sie sich mal was neues einfallen.
Die Regierung in Peking ist da größtenteils selbst schuld. Man hat ein staatlich gelenktes kapitalistisches System geschaffen und nun wo die Negativseiten durchkommen will man es wieder abschaffen? Das alles war vorhersehbar.
Sie sollten sich auch mal vor allem in DE anschauen wie innovativ die staatlichen Unternehmen waren. Die meisten Innovationen kommen halt aus den privaten Unternehmen.
Was für ein linker hardcore Kommentar. Nur weil es Kommunisten sind, müssen Sie nicht gleich vor Solidarität sprühen.
"Krise", "verheerend", "worst-case-scenario" ...
An die ZEIT: das ist substanzlos und ermüdend.
Hiess es nicht noch gestern: hilfe, der Ölpreis steigt, und heute: hilfe, der Ölpreis sinkt.
Und nun: hilfe, die Chinas KP fällt das Ruder aus der Hand.