Es summt und surrt in Zeytinburnu. Das Arbeiterviertel im Westen Istanbuls beherbergt mehrere Hundert Textilwerkstätten, doch nur dieses Geräusch weist darauf hin: Es gibt keine Schilder, keine Verzeichnisse, keine Stellenausschreibungen. Will man hier Arbeit finden, folgt man dem Rattern der Nähmaschinen zu Kellern scheinbar unbewohnter Häuser und klopft.
So hat auch Luai Arbeit gefunden. Eigentlich hatte sich der 23-jährige Syrer seine Zukunft anders vorgestellt: In Damaskus studierte er Energietechnik. Jetzt näht er von früh bis spät pinke Schleifchen auf Babyschlafanzüge, zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, für nicht einmal 300 Euro im Monat.
An den Stränden Griechenlands häufen sich Geschichten wie die Luais. Fragt man Flüchtlinge, warum sie nicht in der Türkei geblieben sind, ist die Antwort oft: "No future", keine Zukunft. Nur 6.800 der zweieinhalb Millionen Syrer dürfen legal in der Türkei arbeiten. Vielen bleibt nichts anderes übrig, als für Hungerlöhne niederen Tätigkeiten nachzugehen, um über die Runden zu kommen — oder die Flucht nach Europa zu wagen.
Das soll sich jetzt ändern. Im Januar führte die Türkei das Arbeitsrecht für syrische Flüchtlinge ein. Mit der Erlaubnis können Syrer nicht nur legal arbeiten, sondern haben auch Anspruch auf die gesetzliche Krankenversicherung und den türkischen Mindestlohn von 1.300 Lira (knapp 400 Euro) im Monat.
Die neue Regelung kam zwei Monate nachdem die Europäische Union der Türkei drei Milliarden Euro versprach, um den Flüchtlingsstrom aufzuhalten. Legale Arbeitsmöglichkeiten, so hofft die EU, werde zu besseren Lebensbedingungen führen — und somit zu weniger Booten nach Griechenland.
Realität ist das Arbeitsrecht allerdings immer noch nur für wenige. Sowohl Flüchtlinge als auch Experten bezweifeln, dass es die Bedingungen für Syrer bedeutsam verändern werde. Vor allem illegale Arbeiter wie Luai würden kaum davon profitieren, glaubt Murat Erdoğan, Migrationsforscher an Ankaras Hacettepe-Universität. Illegale Werkstätten, wo Arbeiter meist ohne Papiere arbeiten, werden sich nicht bei den Behörden melden.
Fast jede der unterirdischen Nähereien Zeytinburnus stellt Flüchtlinge ein. Oft werden sie schlechter bezahlt als ihre türkischen Kollegen. Die türkische Frau an der Maschine hinter ihm, flüstert Luai auf Arabisch, verdiene umgerechnet 450 Euro. Eine Wohnung kann er sich mit seinen 300 Euro nicht leisten; er teilt sich mit 13 Mitbewohnern ein Zimmer in einem Hostel.
"Die Flüchtlinge sind gut für solche Arbeitgeber, weil sie so billig sind," sagt Erdoğan. Mit Papieren und Versicherung müsse ein Arbeitgeber pro Mitarbeiter mindestens 2.500 Lira im Monat ausgeben. "Kein einziger von denen wird das machen, also werden die Flüchtlinge weiter illegal arbeiten."
Ein Bericht des türkischen Arbeitgeberverbands TISK spricht von mindestens 300.000 Syrern, die in der Türkei arbeiten, die meisten davon auf dem Schwarzmarkt. Die Hälfte der syrischen Arbeiter verdient gerade einmal 220 Euro im Monat — viel zu wenig, um sich selbst, geschweige denn eine Familie zu ernähren. Oft müssen dann auch die Kinder arbeiten, um das Haushaltseinkommen zu unterstützen.
Kommentare
"Vielen bleibt nichts anderes übrig, als für Hungerlöhne niederen Tätigkeiten nachzugehen, um über die Runden zu kommen "
Das war vor dem "Arabischen Frühling" in Syrien ganz ähnlich und dürfte der wesentliche Grund für die Unzufriedenheit damals gewesen sein - und weniger der Wunsch nach Freiheit und Demokratie. Das Problem ist, dass ein Großteil dieser Flüchtlinge auch in Deutschland allenfalls eine Anstellung im Niedriglohnsektor finden wird, d.h. die Unzufriedenheit wird bleiben, nur dass wir uns dann in Deutschland mit den Folgen herumplagen dürfen.
Erst kommt das Fressen (=Arbeit), dann die Moral (=Freiheit und Demokratie). Das ist bei Syrern nicht anders als bei uns oder irgendwo anders auf der Welt. Soviel zum Offensichtlichen.
"Das Problem ist, dass ein Großteil dieser Flüchtlinge auch in Deutschland allenfalls eine Anstellung im Niedriglohnsektor finden wird"
Nur das in unserem "Niedriglohnsektor" deutlich über 220€/Monat gezahlt werden. Auch unter Berücksichtigung der höheren Lebenserhaltungskosten kommt am Ende deutlich mehr raus (Istanbul ist auch sehr teuer).
Entfernt. Die Redaktion/
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
Keine Sorge, denen wird es bald besser gehen. Wir überweisen doch Milliarden an die Türkei für die Flüchtlinge. Merkel macht das schon. Das ist der moralische Imperativ.
Türkei reicht nicht!
Wir müssen in jedes Land, in dem es ein erhebliche Wohlstandsgefälle zu uns gibt, Milliarden überweisen.!
Wenn die Kohle nicht stimmt ist das nämlich ein legitimer Fluchtgrund nach überwiegender Meinung der tonangebenden Kreise hier.
Diese Ansicht war zwar zwischen 1949 und 2015 hier nicht maßgeblich, aber – the times they are a-changing.
Jetzt wo wir so stinkreich auf Kosten derer geworden sind mit denen wir Handel treiben heißt es: teilen.
Würde ich auch gerne, nur habe ich leider nichts. Hätte nicht mal 5000 $ um irgendwohin zu flüchten.
Wer glaubt, dass es in Deutschland anders wird, der irrt sich gewaltig! Rumänische Migranten sind ein gutes Beispiel dafür.
Hast Du da konkrete Beispiele. Nach meiner Kenntnis haben Rumänen (zumal welche mit fundierter Ausbildung) gute Gründe in Deutschland zu arbeiten, siehe
http://www.zeit.de/gesell...