Die Zahlen zeichnen ein klares Bild. In kaum einem anderen Land wird so viel Vermögen vererbt wie in Deutschland: Fast ein Drittel des gesamten Privatvermögens von elf Billionen Euro wurde nicht von den Eigentümern selbst erwirtschaftet, sondern ererbt. Die Erbschaften sind eine der wichtigsten Gründe dafür, dass die Privatvermögen in Deutschland so ungleich verteilt sind wie in kaum einem anderen Industrieland. Die Aufgabe der Politik muss es sein, diesen Trend der steigenden Ungleichheit zu stoppen – aber nicht, indem sie die Erben bestraft, sondern indem sie sicherstellt, dass alle jungen Menschen die gleichen Startchancen bekommen.
Mein Kollege Markus Grabka und Anita Tiefensee schätzen in ihrer neuen Studie, dass in den kommenden zehn Jahren jedes Jahr in Deutschland knapp 400 Milliarden Euro vererbt werden. Das entspricht 13 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – und ist deutlich mehr als bisher angenommen, da der wirkliche Wert der Vermögen meist unterschätzt wird. Jedoch erbt nur knapp die Hälfte aller Deutschen, die andere Hälfte geht leer aus. Dazu kommt, dass die Erben meist einkommensstarke, vermögende und gut ausgebildete Kinder sind. Die Erbschaften vergrößern die sozialen Unterschiede also noch.
Die starke Konzentration von Erbschaften spiegelt die relativ geringe soziale Mobilität in Deutschland wider: Kinder aus einkommensstarken Familien schaffen es deutlich häufiger, einen guten Bildungsabschluss zu erlangen, selbst ein hohes Einkommen zu haben und eigenes Vermögen aufzubauen. Es sind dann auch diese Kinder, die sehr viel häufiger zusätzlich Vermögen erben. Hinzu kommt, dass Vermögen in Deutschland im internationalen Vergleich ungewöhnlich niedrig besteuert werden – der deutsche Staat nimmt an vermögensbezogenen Steuern nur knapp ein Viertel des Aufkommens von Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA ein.
Diese Kombination von hohen und konzentrierten Erbschaften und vergleichsweise geringen Vermögensteuern trägt dazu bei, dass die Ungleichheit der privaten Vermögen in Deutschland die höchste in der Eurozone ist. Die oberen zehn Prozent der Bürger besitzen hierzulande knapp zwei Drittel des gesamten privaten Nettovermögens.
Scheitern der Sozialen Marktwirtschaft
Das größte Problem, das Deutschland heute in Bezug auf Vermögen hat, ist aber nicht der Reichtum der oberen zehn Prozent. Viel schwerer wiegt, dass 40 Prozent der Deutschen praktisch kein Nettovermögen haben und auch keines aufbauen können. Fast 35 Millionen Deutsche leben in Haushalten, die ihr monatliches Einkommen komplett für ihren Lebensunterhalt ausgeben. Sie können nicht sparen, um eine zusätzliche Absicherung im Alter zu haben oder Rücklagen für Bildung, Qualifizierung oder andere Wünsche zu bilden.
Es ist kein Erfolg des Sozialstaats, wenn 40 Prozent der Menschen von seinen Leistungen stark abhängig sind und geringe finanzielle und wirtschaftliche Autonomie haben. Der Anspruch der Sozialen Marktwirtschaft ist, allen Bürgern ein eigenverantwortliches Leben zu ermöglichen. Kann sie das für so viele nicht mehr einlösen, ist sie gescheitert.
Die große Sorge ist: Unser Gesellschaftsvertrag, der eine so große Ungleichheit bei privaten Vermögen erlaubt, wird womöglich nicht mehr lange funktionieren. Der deutsche Sozialstaat wurde in einer Zeit geschaffen, in der das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum hoch waren und lediglich ein einziges Familienmodell – Ehepaar mit Kindern – gültig und respektiert war. All dies gilt heute nicht mehr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das gegenwärtige, umlagebasierte Rentensystem nicht mehr funktioniert.
Immer weniger junge Menschen müssen für immer mehr Ältere sorgen. Das kann unmöglich so weitergehen, ohne dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und damit der Wohlstand aller Schaden nimmt. Bereits jetzt wird der Sozialstaat nicht den Bedürfnissen derer gerecht, die aus dem Rahmen des traditionellen Familienmodells fallen, wie beispielsweise die Alleinerziehenden und viele Kinder und Jugendliche in Deutschland.
Kommentare
den schwarzen peter auf die erben und vermögensverteilung zu schieben ist falsch. dies befeuert lediglich niedere instinkte und führt zu sehr unsachlichen auseinandersetzungen, die viel von gefühlten wahrheiten und wenig von wirtschaftlichem verständnis und wirtschaftlicher vernuft haben.
neben bester bildung und vor allem das ausschöpfen ungenutzter potentiale bleibt festzustellen, dass die heutigen 5 bis 40 jährigen die versäumnisse großzügiger sozialpolitik der 70er und 80er jahre und das legislaturdenken der politiker mit voller härter zu spüren bekommen.
für diese versäumnisse jetzt erben und vermögende (also jene, die arbeitsplätze schaffen und damit den kreislauf am leben erhalten) als schuldige heranziehen zu wollen ist der falsche weg.
Genau - lieber Einkommensteuer und Sozialabgaben weiter erhöhen (geht ja gar nicht, wenn man durch Arbeit nicht nur leben, sondern vll. auch ein bisschen Wohlstand generieren möchte) und leistungsloses Einkommen nicht antasten..so geht Gerechtigkeit..
Im Prinzip gebe ich Herrn Fratzscher recht, jeder sollte die gleichen Chancen habe. Aber, er bleibt sehr vage bei der Umsetzung, das bestehende Problem aufzeigen ist eine Sache, die Lösung desselben die andere. Ein Lebenschancenkredit, was soll der bringen? Jemand der weit abgeschlagen ist, nur eine begrenzte Bildung erworben hat, evt. noch ein Kind in jungen Jahren, dem bringt ein solcher Kredit wenig.
Das Gleiche bei der Besteuerung von Unternehmen. Ja, ungerecht, Erben von Unternehmen zahlen nur 1%. Würden sie aber 10% zahlen müssen, könnten sie das Unternehmen oft nur dicht machen, weil das Unternehmen diesen Betrag nicht bezahlen kann. Trotzdem fließt natürlich ein Wert dem Erben zu, den er später einmal ganz einfach zu Geld machen kann.
Ich stimme auch zu, dass es wenig bringt die Menschen zu strafen die erben, nur wie will man dann die Gerechtigkeit erlangen. Will man die Menschen bestrafen die konsequent ihre Kinder von Anfang an fördern? Man kann ja schlecht hingehen und sagen, Du, aus bildungsferner und einkommensschwacher Familie bekommst diesen Job, obwohl du schlechter qualifiziert bist.
Zudem stelle ich mal eine andere Gerechtigkeitsfrage, wenn ich eine Stunde für etwas arbeite, ein anderer Mensch arbeitet bewusst die Stunde nicht, warum sollte ich dann ihm von meinem Lohn für die eine Stunde abgeben? Ist in der Realität natürlich komplizierter, aber umgekehrt immer nur nach wegnehmen schreien ist auch keine Lösung.
"Zudem stelle ich mal eine andere Gerechtigkeitsfrage, wenn ich eine Stunde für etwas arbeite, ein anderer Mensch arbeitet bewusst die Stunde nicht, warum sollte ich dann ihm von meinem Lohn für die eine Stunde abgeben?"
Das ist ja beim Erben gerade nicht passiert. Passt also hier nicht wirklich.
Vorneweg: ich bin kein Freund der Enteignung und halte die Weitergabe von Vermögen von einer an die nächste Generation durchaus für sinnvoll. Warum soll das Häuschen der Oma nich an die Kinder und Enkelkinder weitergegeben werden. Und auch die Weitergabe von Betriebsvermögen halte ich für sinnvoll, wobei hier die Weitergabe gesellschaftlicher Verantwortung im Vordergrund stehen sollte (mit entsprechender gesetzlicher Regelung! Hier sehe ich bei den Erben eine Bringschuld !).
Was ich nicht ausstehen kann:
Wenn Erben meinen, die Tatsache des Erbens anderen als eigene Leistung verkaufen zu müssen. Um zu Erben muss man keinen Handschlag tun ! Erben ist ein Rechtsvorgang, keine Arbeitsleistung! Daran ändern auch die Streitigkeiten vor Gericht nichts.
Es ist vor allem ein westdeutsches Phänomen, dass Erben und zukünftige Erben meinen, sie müssten die Nase hoch tragen, weil sie Vermögen ihrer Vorfahren erworben für das sie keinen Tag gearbeitet haben.
In meiner badischen Schule sind einige schon mit 15 wie die Fürstprinzen und Durchlauchten durch die Schule spaziert, weil Papi und Mami und Omi Geld hatten. Heute, mit 50 haben sie dieses Geld in vielen Fällen geerbt und verkaufen das dem Rest der Menscheit als hart erarbeitetes Gut !
Der schwäbische Jungunternehmer der mit mit Sätzen wie "I hab auch mit nix anfange müsse, als i den Betrieb ibernomme hab, hatte mir grad e mo 200 Mitarbeiter" kann mit mir seiner Litanei vom Leistungsträger gestohlen bleiben. !
> Warum soll das Häuschen der Oma nich an die Kinder und Enkelkinder weitergegeben werden.
Genau das war mein erster Gedanke zum Artikel. Viel zu viele Menschen wohnen jetzt schon lebenslang zur Miete.
"Wer eine kleinere Erbschaft – in der Regel aus Privatvermögen – erhält, zahlt hingegen im Durchschnitt über zehn Prozent. Das Zehnfache."
Interessante Definition von kleinen Vermögen. Der Freibetrag liegt für Kinder bei 400.000€, für Ehegatten bei 500.000€.
Derzeit zahlt fast niemand in Deutschland Erbschaftsteuer, weder die Erben von großen Vermögen, noch "kleine" Erben.
"Derzeit zahlt fast niemand in Deutschland Erbschaftsteuer, weder die Erben von großen Vermögen, noch "kleine" Erben."
Es könnte sicher mehr sein, aber: Die kassenmäßigen Steuereinnahmen der Länder aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer erhöhten sich im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um 15,4 % auf 6,3 Milliarden Euro.
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