Der Flachbau an der Hunts Point Avenue, einem abgelegenen
Industriegebiet in der Bronx, gibt nicht viel preis. Die dunkelgraue Fassade taugte als Kulisse eines düsteren Spionagefilms. Jalousien versperren den
Blick, über den beiden Eingängen verfolgen Sicherheitskameras die
Bewegungen der Besucher. Nur durch eine Glastür ist ein Blick ins Innere zu erhaschen: eine Rezeption, daneben ein paar Stühle, der Raum ist in ein Limettengrün getaucht und erinnert an eine Arztpraxis.
Ganz falsch ist das nicht: Bei PharmaCannis gibt es Cannabis auf
Rezept, es ist die einzige "Marihuana-Apotheke" in New York City. Ohne ärztliche Bescheinigung ist hier nichts zu holen – und nichts zu erfahren. Ein Sicherheitsbeamter verweist freundlich aber bestimmt auf eine Telefonnummer. Die Anrufer werden von einer Frauenstimme vertröstet: Man könne zwar eine Nachricht hinterlassen, aber die Anfragen würden wegen des hohen Aufkommens wohl leider nicht beantwortet.
Der Marihuana-Boom, den die USA in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist auch Barack Obama zu verdanken. Als Präsident hatte er 2013 die Bundesbehörden angewiesen, in Staaten, in denen der Konsum erlaubt ist, ein Auge zuzudrücken. Zwar blieb Cannabis nach nationalem Recht illegal. Doch Hersteller und Konsumenten, die sich an die Gesetze ihrer Bundesstaaten hielten, waren weitgehend vor einer Verfolgung sicher. Der Markt wuchs rasant. Heute ist der Konsum in acht Bundesstaaten generell legal, 29 Staaten und Washington, D.C., erlauben ihn zu medizinischen Zwecken. Bis Ende des Jahres könnte die Branche in den USA nach Schätzungen neun Milliarden Dollar umsetzen.
"Gute Menschen rauchen kein Marihuana"
Doch plötzlich herrscht Unruhe. Justizminister Jeff Sessions hatte in der vergangenen Woche die Anweisung der Vorgängerregierung aufgehoben – nur wenige Tage nachdem Kalifornien als größter Bundesstaat den Konsum legalisiert hatte. Die Behörden sollen nun alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, "um das wachsende Drogenproblem im Land unter Kontrolle zu bekommen", sagt Sessions. Die Beamten sind schon jetzt überlastet. Dass sie tatsächlich in großem Stil durchgreifen, ist unwahrscheinlich. Doch Hersteller wie Konsumenten fürchten, das Ministerium könne an einzelnen Fällen ein Exempel statuieren wollen. "Die Leute machen sich Sorgen", sagt Morgan Fox vom Marijuana Policy Project, das sich für die Legalisierung von Cannabis einsetzt. Ein Fonds, der mehrere Unternehmen aus dem Branchenumfeld bündelt, brach noch am selben Nachmittag um neun Prozent ein.
"Gute Menschen rauchen kein Marihuana", hatte Sessions noch als Senator von Alabama während eines Auftritts gesagt. Bei einer anderen Gelegenheit stellte er fest: Die Mitglieder des Ku-Klux-Klans habe er immer für ordentliche Leute gehalten – bis er erfahren habe, "dass sie kiffen". Sessions habe sein Leben lang einen
regelrechten Kreuzzug gegen Drogen geführt, und nun leite er das
Justizministerium, als sei es 1988, schrieb die New York Times.
Damals hatte die US-Regierung mit ihrem War on Drugs hart gegen Cannabis durchgegriffen und Tausende – vor allem
afroamerikanische – Amerikaner wegen Drogendelikten eingesperrt.
Sessions stamme aus einer Zeit, die Marihuana verteufelt habe und sei
blind gegenüber wissenschaftlichen Tatsachen, sagt Jeffrey Zucker von
Green Lion Partners, einer Holding, die eine Reihe eigener Unternehmen
in der Branche betreibt und andere Firmen berät.
Der Markt für Marihuana ist schon lange eine komplizierte Grauzone. Nach Bundesrecht sind Konsum und Herstellung weiterhin verboten. Die Branche habe sich in den vergangenen Jahren auf ein Stück Papier gestützt, das jederzeit außer Kraft gesetzt werden konnte, sagt Jonathan Caulkins, Drogenexperte an der Carnegie Mellon University: "Es hat nie wirklich Sicherheit gegeben." Obamas Richtlinie hatte ohnehin nicht alle Fragen beantwortet. Der Verkauf über Staatsgrenzen hinweg etwa, den er hatte eindämmen wollen, floriert. Ein Großteil des Marktes arbeitet noch immer mit Bargeld, weil Banken und Versicherungen keine Geschäfte mit den Herstellern machen dürfen. Fürsprecher argumentieren, der semi-legale Zustand mache den Handel unnötig gefährlich.
"Die Öffentlichkeit ist den Gesetzgebern in Washington weit voraus"
Dabei ist die Stimmung im Land längst gekippt.
Mehr als sechs von zehn Bürgern sprechen sich inzwischen für die
Legalisierung von Cannabis aus, doppelt so viele wie noch 2000. Bei den unter
30-Jährigen sind es sieben von zehn. Drei Viertel der Öffentlichkeit
sind der Meinung, die Regierung solle den Konsum und Verkauf in
Bundesstaaten, in denen das Gras legal ist, gar nicht mehr verfolgen. Auch Donald Trump hatte noch als Präsidentschaftskandidat versprochen, das
Thema den Bundesstaaten zu überlassen, um nicht den Zorn der Befürworter
auf sich zu ziehen. Hinzu kommt: Für die Bundesstaaten ist die
Industrie in den vergangenen Jahren zur wichtigen Einnahmequelle
geworden. "Die Öffentlichkeit ist den Gesetzgebern in Washington weit
voraus", sagt Jeffrey Zucker. Der Vorstoß von Sessions sei vor
allem ein Versuch, der Branche einen Schrecken einzujagen.
Selbst in der eigenen Partei wenden sich deshalb viele gegen Sessions. Der republikanische Senator Cory Gardner aus Colorado – einem
der ersten Bundesstaaten, die 2014 den Konsum von Cannabis erlaubt hatten – drohte bereits damit, sämtliche Kandidaten für Posten im
Justizministerium zu blockieren, solange die neue Richtlinie in Kraft
ist. Auch sein Parteifreund Matt Gaetz aus Florida, eigentlich ein
Hardliner im Sinne Sessions', stellte sich gegen die neue Linie: Sie zeige vor allem das Bedürfnis des Ministers, ein "antiquiertes und widerlegtes Dogma
durchzusetzen, anstatt sich dem Willen der Amerikaner zu beugen". Viele
Konservative fürchten, die Wähler könnten die Partei bei den anstehenden
Kongresswahlen für die Politik ihres Justizministers abstrafen.
Nicht nur Demokraten machen Druck
Die lautstarken Proteste lassen in der Branche derweil die Hoffnung aufkommen, Sessions' Vorstoß könne sogar den gegenteiligen Effekt haben und eine weitere Legalisierung beschleunigen. Nancy Pelosi, die Chefin der Demokraten im Repräsentantenhaus, kündigte vor wenigen Tagen bereits an, die laufenden Verhandlungen über den Bundeshaushalt dafür nutzen zu wollen, den Schutz für die medizinische Nutzung von Marihuana auszubauen – und einem Deal andernfalls nicht zuzustimmen. Es sei unklug, sagte Pelosi, dringend benötigte Ressourcen für die Bekämpfung von Marihuana zu verschwenden, während die Schmerzmittel-Epidemie jährlich Zehntausende im Land das Leben koste.
Ausgerechnet der Republikaner Thomas Garrett aus Virginia hat inzwischen einen Gesetzesvorschlag eingereicht, der Cannabis erstmals von der Betäubungsmittelliste streichen und die Verfolgung in Bundesstaaten unterbinden würde, in denen Marihuana bereits legal ist. 15 Politiker beider Parteien haben sich ihm angeschlossen. Branchenexperte Zucker glaubt angesichts solcher Entwicklungen, dass der Boom vielleicht kurzfristig gebremst werde. Doch mittelfristig habe der Justizminister ein Eigentor geschossen: "Sessions hat die Debatte zurück ins Rampenlicht geholt."
Kommentare
Lasst die armen Amis dich kiffen.
Wie sollen sie Donald denn sonst ertragen.
Das Argument funktioniert aber auch in die Gegenrichtung:
Setzt die Amis auf Entzug, umso eher können sie Trump nicht mehr ertragen und wollen ihn los werden. ;-)
Und mal wieder ist es ein erzkonservativer Politker, der einen progressiven Umgang mit einem Thema verhindern will.
Was haben Konservative in der Weltgeschichte eigentlich erreicht, außer das schöne von gestern zu propagieren und allem Neuen von Anfang an konträr gegenüberzustehen, nur um nicht zugeben zu müssen, dass sie vielleicht falsch lagen?
Kann mich an keine positive Neuerung durch Konservatismus erinnern. Ein Trauerspiel :-)
"Kann mich an keine positive Neuerung durch Konservatismus erinnern."
Wer hat denn seinerzeit das Cannabis verboten?
Verbote bringen nur der Mafia etwas und zwar horende Einnahmen. Das Konsumverhalten wird von einem Verbot nur minimal berüht. Lediglich entgehen dem Staat Mrd. an Steuereinnahmen.
Da passt die Trump/Sessions/Republikaner-Logik Mariuhana zu verbieten, denn Steuern sind böse!
http://www.spiegel.de/pol...
Die Behörden sollen nun alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, "um das wachsende Drogenproblem im Land unter Kontrolle zu bekommen", sagt Sessions
Falscher Sündenbock. Das wachsede Drogenproblem hat eine neoliberale Gesundheitspolitik heraufbeschworen, an der v.a. Politiker der Republikaner wie Sessions kräftig mitwirken, nämlich, dass Pharmakonzernen erlaut wird Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente zu schalten und Gefahren eben jener heruntergespielt werden dürfen.
Das hat zum aktuell größten Drogenproblem der USA geführt. Menschen ließen sich Oxycodon wie Smarties verschreiben, wurden, wie unerwartet, schwerst abhängig und stiegen dann zum illegalen Heroin über, als man ihnen die Opitate nicht mehr verschreiben wollte.
http://www.zeit.de/wissen...
https://de.wikipedia.org/...
Hören Sie doch auf logische Argumenten zu bringen, die Sinn ergeben.
Wo kommen wir denn dahin?!
DROGEN SIND BÖSE!