Im Sommer 2009 traf ich mich regelmäßig mit sechs, sieben Freunden zum gemeinsamen Grillen auf einem alten, heruntergekommenen Bauernhof etwas außerhalb Berlins . Eines Abends tauchte Sophie, die sonst immer mit ihrem Freund Nico kam, alleine auf. Während ich am Grill stand, verschwanden die Frauen der Runde verschwörerisch ins Haus. Minuten später – die ersten Zucchinischeiben waren bereits beunruhigend dunkel geworden – kamen sie alle zurück in den Garten. Sophie weinte.
Wie sich herausstellte, hatte Sophie sich von Nico getrennt. Der Grund: Sie (damals Mitte 30) wollte Kinder, Nico nicht, er war einfach noch nicht so weit.
Jetzt hatte sie die Schnauze voll. So bitter es sei, sie könne nicht weiter "ihre Zeit verschwenden".
Die Diskussion, die daraufhin entflammte, war sonderbar: Da saßen wir, ein Grüppchen relativ privilegierter Stadtneurotiker, das über die Zumutungen des modernen Lebens lamentierte. Darüber, wie schwierig es heutzutage war, Arbeit und Liebe unter einen Hut zu bekommen. Einer in der Runde erzählte von einem Bekannten, der seit Monaten aufgrund eines Burn-outs krankgeschrieben war und nicht mehr ohne Antidepressiva auskam. Andere klagten über das Gefühl, "nie genug getan zu haben, egal, wie viel man auch tut". Als meine Freundin und ich in der Nacht nach Hause fuhren und zu guter Letzt auch noch auf unsere Probleme zu sprechen kamen (meine Freundin "musste" gerade arbeitstechnisch für längere Zeit nach Holland , hatte aber wenig Lust, mich, ihre Familie und Berlin zu verlassen), platzte es plötzlich aus ihr heraus: "Eigentlich haben wir doch alle Möglichkeiten, eigentlich müssten wir doch ganz zufrieden sein – wieso sind wir es nicht?"
Es war eine einfache Frage. Ich hatte keine Antwort.
Ein paar Tage später. Ich überlegte, ob die Sache nicht eine Recherche wert wäre und fing an, mich in die Frage meiner Freundin zu vertiefen – zunächst skeptisch, in der Erwartung, dass sich das Ganze als klarer Fall von Anstelleritis herausstellen würde. Die Einschätzung, dass gerade "meine" Generation, oder, allgemeiner: wir Menschen in den freien, wohlhabenden Industrienationen, unter chronischer Unzufriedenheit leiden sollten, mutete mich, angesichts unserer – im historischen wie globalen Vergleich – geradezu luxuriösen Lage fast ein bisschen peinlich an.
Was ist eigentlich los mit uns?
Je tiefer ich aber in die Materie vorstieß, desto nachhaltiger wurde ich eines Besseren belehrt.
Spätestens seit den 1970er Jahren, entdeckte ich, befragen Meinungsforscher große Teile der Bevölkerung in der reichen, entwickelten Welt nach ihrer Lebenszufriedenheit. Die Resultate dieser Erhebungen sind, gelinde gesagt, oft ziemlich ernüchternd. Dazu zwei Beispiele.
Erstens. Obwohl unsere Freiheit und unser Wohlstand in den letzten 35 Jahren praktisch ungebrochen gestiegen sind, hat die
Lebenszufriedenheit in Deutschland
nachgelassen (auch der Fall der Mauer hat uns keinen Deut glücklicher gemacht, weder im Westen noch im Osten des Landes).
Zweitens. Ein besonders rätselhaftes Beispiel betrifft die Situation der Frauen in der westlichen Welt. Zwei US-Ökonomen, davon eine Frau, haben das Glück der Frauen in zahlreichen Industrienationen seit den 1970er Jahren minutiös verfolgt. Über ihren Befund grübeln die Forscher bis heute selbst: Frauen sind – teils absolut, teils "lediglich" relativ zu den Männern – im Laufe der letzten Jahrzehnte (während sich ihre Freiheit und Möglichkeiten bekanntlich stetig erweiterten) immer unzufriedener geworden.
Dieser verblüffende Trend zeigt sich nicht nur in den USA , nein, das Phänomen taucht in allen untersuchten Nationen auf: in Belgien , Dänemark , Frankreich , Großbritannien , Griechenland , Irland, Italien , Luxemburg , Spanien , Portugal und den Niederlanden . Einzige Ausnahme ist Deutschland, was daran liegt, dass bei uns sowohl Frauen als auch Männer unzufriedener werden!
Man stutzt. Man fragt sich, was eigentlich los ist mit uns. Wieso genießen wir unseren privilegierten Lebensstil nicht etwas mehr, als wir es den empirischen Erhebungen zufolge tun? Sind wir einfach nur undankbar? Was fehlt uns denn noch in der Überflussgesellschaft?
Wenn ich meinen Freunden von dem Frauenbeispiel erzähle, entgegnen sie mir meist prompt: Ist doch klar, Frauen haben ja heutzutage auch zwei Jobs an der Backe – Kind und Karriere! Die Frau von heute sei eben total überlastet, sie wisse vor lauter Jonglieren zwischen Kita und Geschäftstermin gar nicht, wo ihr der Kopf steht.
Kommentare
Entfernt. Tragen Sie mit sachlichen Argumenten zum Thema bei. Die Redaktion/mak
Reale und virtuelle Freiheit
Der moderne Mensch hat doch nicht nur Freiheiten sondern auch Zwänge. Wenn man eine Entscheidung trifft mögen sich neue Türe öffnen aber andere Türen schliessen sich.
Ein Kind bedeutet Verantwortung für Vater und Mutter. Nur, dass das Ansehen des Vaters steigt, wenn er Überstunden macht, der Wert der Mutter dagegen sinkt "Muttertier", kann es dem Kind nicht recht machen, da eine 24h Bespielung und Bespaßung gewünscht wird, kann es dem Partner nicht recht machen, "Du hast keine Zeit mehr für mich", ist schwer vermittelbar, schlieeslich muss sie pünktlich weg und wenn das Kind krank ist, ...
Bleibt er zu Hause und sie geht arbeiten wird die Sache auch nicht besser, denn nun ist alles falsch, sie soll doch bitte beim Kind bleiben, er kann das ja nicht, er ist bestimmt schwul oder was auch immer.
Das die Zufriedenheit seit den 70er Jahren abnimmt verwundert doch nicht, denn in den 70ern ging es den Menschen am besten, Vollbeschäftigung, Wünsche konnten realisiert werden, keine Generation hatte mehr reale Freiheit wie die sogenannten 68er. Es ging allen gut. Dann kam die sogenannte Globalisierung, nun ging es immer mehr schlechter und einer immer kleiner werdenen Elite weiter besser. Die einen haben keine Arbeit und keine Chancen und die anderen wissen nicht wohin mit ihrem Geld und die dazwischen haben Angst nach unten durchzufallen. Jeden kann es schon morgen treffen.
Soziale Sicherheit und Absicherung wurden einer vermeintlichen Freiheit geopfert, die keinen glücklich macht.
Menschen aus Entwicklungsländern sind glücklicher.
Wieso wurde die soziale Absicherung geopfert? Kriegt doch heute jeder Alg II, wenn er komplett scheitert. Das bedeutet, er lebt in einem gewissen Wohlstand, den 99% der Menschen, die je auf Erden gelebt haben, nie hatten.
Im Übrigen müsste Ihrer These nach die Menschen in Entwicklungsländer noch viel unglücklicher sein... sind sie aber nicht. Die Menschen in den reichsten Industrieländern sind oftmals unglücklicher als die Menschen, die nicht wissen, ob sie morgen noch was zu Essen bekommen.
Von daher scheint an der These von Bas Kast mehr dran zu sein als an Ihrer.
Das ist die Frage
Unzählige Sachbücher übers Glück sind zu kaufen, aber eine Antwort auf diese Frage gibt keins davon. Erich Fromm hat es in "Die Frucht vor der Freiheit" auf den Punkt gebracht. Die Aufklärung hat uns von allen beengenden Rahmen befreit und die Individuation ist weit vorangeschritten. Frei sind wir tatsächlich geworden. Wir haben uns frei gemacht von Autoritäten die über unser Leben bestimmt haben. Wir waren lange damit beschäftigt uns Freiheit zu erkämpfen, aber keiner hat sich Gedanken gemacht, was wir mit ihr machen. Frei von... sind wir, nur frei zu... sind wir nicht. Und die negative Freiheit wird uns alle irre machen, es sei denn wir finden positive Freiheit. Bejahende Freiheit und nicht verneinende.
Freiheit
"Freedom is just another word for nothing left to loose". Je weniger man manchmal hat, desto groesser das Gefuehl der Freiheit. Oder auch, weniger Ego und mehr Herz, desto gluecklicher der Mensch, ein Dasein ohne Vergangenheit und Zukunft, das beruehmte "Hier und Jetzt". My 5 Bob worth of Thought for the day!
"nothing left to lose"
Ja , genau das denke ich mir auch. Was könnte ich machen mit meiner Zeit, wenn ich nicht ständig im fremden Auftrag arbeiten müsste.