"Flüchtlingsflut", "Flüchtlingswelle" oder gar "Lawinen" – die Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten, aus Armut und Perspektivlosigkeit nach Deutschland fliehen, werden in Bildern von Naturkatastrophen beschrieben. Flüchtlingsforscher wollen solche Klischees durchbrechen. Sie erkunden Ursachen, Folgen und Muster von Flüchtlingsbewegungen – und treten der Vorstellung einer uniformen Identität der Geflohenen entgegen.
"Flüchtlinge werden häufig als hilfsbedürftige, passive Opfer ohne Entscheidungsmacht dargestellt", sagt Ulrike Krause, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg. "Tatsächlich aber geht es um Millionen von Einzelschicksalen, um Menschen, die wirtschaftliche, soziale, kulturelle, bürgerliche und politische Rechte haben."
Gemeinsam mit rund 100 weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist Krause im "Netzwerk Flüchtlingsforschung" aktiv, betreibt darin unter anderem einen Blog zu aktuellen Forschungsfragen. Die Themen dort und in den Arbeitsgruppen des 2013 gegründeten Netzwerks reichen vom Umgang der Mittelmeerländer mit Flüchtlingen über die Analyse lokaler Flüchtlingspolitik in deutschen Kommunen bis zur Frage, was Ehrenamtliche motiviert, Geflüchteten zu helfen.
In Großbritannien sind Refugee Studies lange etabliert
"Flüchtlingsforschung ist inter- und multidisziplinär", sagt Krause. In der historischen Perspektive zeige etwa die Völkerwanderung, dass Fluchtbewegungen zur Menschheitsgeschichte gehören. Juristische Studien könnten darüber aufklären, inwiefern nationales Asylrecht mit internationalen Standards beim Schutz von Verfolgten vereinbar ist. Die Wirtschaftswissenschaft könne zeigen, dass Flüchtlinge weder ihre Asylländer übermäßig belasteten noch ökonomisch isoliert seien.
In Deutschland ist die Flüchtlingsforschung ein relativ neues Gebiet. Während die Refugee Studies in Großbritannien und den USA seit den 1980er Jahren mit eigenen Forschungszentren und wissenschaftlichen Zeitschriften als etabliert gelten, entwickelt sich die Forschungsrichtung im deutschsprachigen Raum erst seit der Jahrtausendwende. Angesichts wachsender Flüchtlingsbewegungen in Richtung Deutschland und Europa sei spätestens jetzt auch hierzulande die Flüchtlingsforschung in all ihren Facetten massiv gefordert, sagt Jochen Oltmer, Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück.
Wie hängen Gewaltmigration und die Suche nach Chancen zusammen?
"Wir haben zu wenige Informationen darüber, warum Flucht und Vertreibung aktuell stattfinden. Wir wissen zu wenig über die Balkanroute oder die Wege von Eritrea nach Deutschland oder über den Zusammenhang zwischen Gewaltmigration und der Suche nach neuen Lebensperspektiven."
"Tatsächlich sind mehr Kolleginnen und Kollegen in der Flüchtlingsforschung aktiv, als wir gedacht haben", sagt Oltmer, einer der Mitbegründer des Netzwerks. Man habe wenig voneinander gewusst, das ändere sich jetzt. Neben dem Blog, der dem Austausch dient, wird auch ein Verzeichnis laufender Forschungsprojekte aufgebaut. Innerhalb des großen Verbunds fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit April dieses Jahres ein Forschernetzwerk zu "Grundlagen der Flüchtlingsforschung" mit überschaubaren 75.000 Euro für drei Jahre. Damit können 14 Wissenschaftler sechs Workshops veranstalten und Gäste einladen.
Sichtbarkeit ist ein wichtiges Thema für die junge Forschungsrichtung. Bislang hatte sie einen geringen Stellenwert in der staatlichen Forschungsförderung. Abgesehen vom Osnabrücker IMIS und dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Uni ist die Flüchtlingsforschung nicht institutionalisiert. Es gibt kaum ausgewiesene Professuren. Der Osnabrücker Masterstudiengang zu Internationaler Migration ist deutschlandweit der einzige. "Dieser Zustand entspricht dem langen Beschweigen des Themas in Deutschland", sagt Oltmer.
Kommentare
Refugeestudies und Forschung zu sexueller Gewalt in Flüchtlingslagern.
Ich kann mich dich Eindrucks nicht erwehren, dass hier wieder bestimmte Teile unserer Gesellschaft eifrig dabei sind, Probleme zu verwursten, die sie selbst geschaffen haben.
Alles schon mal da gewesen, die „libanesischen“ Flüchtlinge mit all ihren „Integrationsproblemchen“ sind schon ausführlich beschrieben und alles deutet darauf hin, dass es mit diesen Flüchtlingen ähnlich verläuft.
Dr. Ralph Ghadban
„Die Libanon-Flüchtlinge in Berlin: Zur Integration ethnischer Minderheiten.“
Hört sich für mich nach Postmodernisierung der Forschung an. Flucht wird ja schon eigentlich gründlich erfoscht, von Seiten der Ökonomen, Historiker, Soziologen, Politikwissenschaftler und Anthropologen. Hier geht es mehr an der HU um ideologische Zusammenführung der verschiedenen "critical studies". Aber seis gegönnt. Ich könnte einen Vortrag über die Wirkung der australischen Spezifika halten.
Entfernt. Bitte üben Sie konstruktiv Kritik. Die Redaktion/lh
"Wir haben zu wenige Informationen darüber, warum Flucht und Vertreibung aktuell stattfinden.
Sehr interessanter Satz. Das ahnt man doch schon die ganze Zeit über. Keiner weiß was, aber alle zünden Kerzen an und kommen zum Bahnhof.
So wie sich der Prof. Psychologe darüber aufregte, dass verschiedene Zahlen und Gerüchte über sogenannte Scheinsyrer kursieren würden. Übelst verwerflich sei das und sehr pöse, denn wir wüssten ja gar nicht wer überhaupt zu uns komme, so der Professor. Sehr scharfe Analyse des Professors. :D
Man nent das Versuchskaninchen: Man lasse jemand leiden und stelle jemand anderen daneben, der dsamit Geld verdient, dass er das (unbezahlte) Leiden beforscht ("beforschen"gebildet analog zu "bewirtschaften").
Langsam klärt sich die Frage, warum Frau Alternativlos die Flüchtlinge über die sinnlose Balkanroute schickt, statt sie gleich einfliegen zu lassen. Ich sehe im Augenblick drei ineinander übergehende Gründe:
1. Die Balkanroute sichert eine Auswahl nach dem Motto "Survival of the fittest". Nur diejenigen werden ankommen, die sich gegenüber den bereits Daseienden auch behaupten können und mit ihrer Tatkraft Deutschland neuen Elan geben werden. Welchen Elan und in welche Rrichtung er gehen soll, werden künftige Historker den Geheimplänen von Frau Alternativos entnehmen können. Unsereins erfährt ja nicht einmal das "das", das wir schaffen sollen. Nur dass die Untertanen zu langsam arbeiten, erfährt man mittlerweile von der MP von Rheinland-Pfalz.
2. Die Beobachtiug der Balkanroute ist ein wissenschaftlich interessantes Menschenexperiment. Seine Auswertung und insbesondere seine spätere Nutzanwendung kann sehr viele Menschen betreffen.
3. Außenpolitisch bringt de Balkanroute erhebliche Bewegung in alle davon betroffenen europäischen Länder. Noch sehe ich nicht ganz das Ziel dieses Manövers, aber dass Europa sich zu verändern begonnen hat, ist jetzt schon klar. Interessant wäre nur noch, das taktische Ziel von Frau Alternativlos zu kennen.