Dunkel, feindlich und drohend ragt die steile Wand empor, vielleicht zehn Meter ist sie hoch, wie eine Trutzburg erhebt sie sich über den morastigen Hohlweg, den die Einheimischen von jeher Kuhgrund nennen. Hunderte haben an dieser Anhöhe ihr Leben gelassen, jeder Zentimeter Boden muss blutgetränkt gewesen sein. »Für Friedrichs Soldaten war es sicher nicht unmöglich, dort hochzukommen«, sagt Grzegorz Podruczny. »Aber es war wie der letzte Schritt eines toten Mannes.«
Niemand kennt das Schlachtfeld von Kunersdorf, das heute Kunowice heißt, jene Stätte unweit der Oderstadt Frankfurt, an der einst das blutigste Gemetzel des Siebenjährigen Krieges stattfand, besser als Podruczny. Systematisch hat der polnische Kunsthistoriker vom Collegium Polonicum in Słubice Wald und Felder nach Zeugnissen der Schlacht abgesucht. Er fand Bleigeschosse, Kartätschenkugeln, Uniformknöpfe und sogar das Skelett eines russischen Grenadiers, den eine Kugel von vorn ins Schulterblatt getroffen hatte. Und jedes Mal, wenn Podruczny vor der steilen Anhöhe steht, fragt er sich: »Was hat Friedrich den Großen bloß bewogen, seine Soldaten in ein derart sicheres Verderben zu schicken?«
Es ist drückend heiß am 12. August 1759. Seit Stunden versucht die preußische Infanterie, die Höhe am Kuhgrund zu erobern. Die Musketen mit aufgepflanztem Bajonett nach vorn gerichtet, den schweren Tornister auf dem Rücken, in ihren steifen wollenen Uniformjacken der Hitze ausgeliefert und von Mücken und Stechfliegen gequält, stürmen die Preußischblauen immer wieder voran. Doch am Kuhgrund gerät der Angriff ein ums andere Mal ins Stocken. Den Soldaten stürzen tote Kameraden entgegen. Und noch ehe sich die preußischen Soldaten oben neu formiert haben, werden die meisten erschossen. »Das Würgen war auf beiden Seiten entsetzlich«, schreibt der preußische Militärwissenschaftler Georg Friedrich von Tempelhoff, der als Artillerist an der Schlacht teilgenommen hat. »Der König sammelte von den Zurückgewichenen immer wieder brave Leute und ließ sie aufs neue anrücken.«
Die Schlacht von Kunersdorf endete mit der schwersten militärischen Niederlage, die Friedrich der Große als Feldherr hinnehmen musste. Er hatte geplant, eine fast doppelt so starke Übermacht von 60.000 russischen und 19.200 österreichischen Soldaten anzugreifen und niederzumachen. Am Ende sind 6.000 preußische Soldaten tot, darunter viele hohe Offiziere, und auch der König selbst hätte fast sein Leben gelassen. Im letzten Moment rettete ein beherzter Rittmeister ihn vor den Säbeln der russischen Husaren. Friedrich brach zusammen. »Mein Rock ist von Schüssen durchbohrt; zwei Pferde sind mir unter dem Leib gefallen«, schrieb der verzweifelte Feldherr. »Mein Unglück ist, dass ich noch lebe. Ich halte alles für verloren. Adieu für immer.«
Tatsächlich schien Kunersdorf den Untergang Preußens zu besiegeln: Friedrichs Armee, die am besten ausgebildete, disziplinierteste und schussgewaltigste Europas, war zerschmettert worden; ihr Feldherr, Architekt zahlreicher ruhmvoller Siege, war gescheitert. Dabei hatte die preußische Infanterie die feindlichen Stellungen zunächst förmlich überrannt. Hatte Friedrich, für den angesehenen britischen Militärhistoriker Christopher Duffy »Deutschlands größter Soldat«, seinen Zenit überschritten? Oder war er möglicherweise gar nicht der geniale Schlachtenlenker, für den seine Zeitgenossen ihn hielten?
41 Jahre vor Kunersdorf tritt der sechsjährige Friedrich, Sohn des »Soldatenkönigs« Friedrich Wilhelm I., in das eigens für ihn eingerichtete Kadettenkorps ein. Zwei altgediente Offiziere haben die Aufgabe, dem Jungen die Überzeugung seines Vaters zu vermitteln, »dass nichts in der Welt einem Prinzen mehr Ruhm und Ehre zu geben vermag als der Degen«. Doch Friedrich, schreibt Theodor Schieder in seiner Biografie, schien zunächst »kein Organ für das zu haben, was das Werk des Vaters im Innersten zusammenhielt: für seine militärischen Fundamente, denen alles andere untergeordnet war«. Seine Uniform nennt der Prinz abfällig »Sterbekittel«. Schieder vermutet, der Krieg sei Friedrich »ursprünglich wesensfremd« gewesen.
Doch mit der Zeit ändert sich Friedrichs Einstellung zum Militärischen. Schon bevor er König wird, wandelt er sich allmählich zum Bellizisten. »Er hat sich all seine philosophischen Skrupel gegen Waffenruhm und Eroberung vom Herzen schreiben können«, deutet ein Biograf in den 1950er Jahren die Metamorphose Friedrichs. »Jetzt ist er sie los, und bald wird die Welt es erfahren.« Im Dezember 1740, nur sechs Monate nach seiner Thronbesteigung, fällt der junge König mit 27.000 Soldaten in das zu Österreich gehörende Schlesien ein – ohne Kriegserklärung und entgegen früheren Versicherungen.
Kommentare
langweilig
Das Preußenbashing der Hamburger ZEIT nervt allmählich.
Ja, die Zustände in der preußischen Armee waren von Brutalität und Kadavergehorsam geprägt. Aber das war in ALLEN Armeen des 18.Jahrhunderts die Regel.
Die preußische Armee unterschied sich nur insofern von den anderen, als sie dieses grausame Regime in extreme militärische Effizienz umsetzte. Es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet Steuben und seine preußischen Militärmethoden waren, die den jungen USA gegen die britischen Profis "den Arsch retteten".
Friedrich war den meisten seiner monarchischen Kollegen nicht nur intellektuell haushoch überlegen. Auch sein Mut, die Schlachten und Feldzüge selbst zu führen, unterschied ihn grundsätzlich von den dekadenten Prassern auf den anderen Thronen Europas. Welche unglaubliche Motivation für die kämpfenden Truppen ein mitkämpfender König darstellte, können wir heutigen Vernunftsmenschen vermutlich gar nicht mehr ermessen.
Jedenfalls wäre ein Bush, Blair, Cameron und Sarkozy im Kugelhagel auf den Schlachtfeldern unserer Zeit der wirksamste Beitrag zur Befriedung unserer Bellizisten:)
Ganz sicher war die Behauptung Preußens gegen die übermächtige Allianz des 7-jährigen Krieges eine militärische Meisterleistung, auch wenn am Ende mit der russischen Thronfolge auch mächtiges Glück im Spiel war.
Nach diesem verheerenden Krieg hielt Preußen für die nächsten 30 Jahre Frieden - auch wieder ein großer Unterschied zu den meisten seiner Nachbarn.
Von wegen besonders aggressiv...
Der Soldatenkoenig fuehrte keinen Krieg und wurde darum
verspottet. Der liberale aufgeklaerte Sohn fiel 6 Monate
nach der Machtuebernahme ueber Schlesien her und schrieb
dass 50.000 tote preussische Soldaten ein fairer preis
fuer das Steueraufkomme Schlesiens sei. Sein persoenlicher
Mut und sein Scharfsinn stehen fuer mich ausser Frage aber
die Skrupellosigkeit und Menschenverachtung wuerden mich
davon abhalten ihn den "Grossen" zu nennen.
SgH colca
Preussen bashing ist was anderes, aber der von Ihnen so verehrte Fritz II würde in 4 Wochen 300 Jahre alt, da sollte Reflektion wohl erlaubt sein als verkärtes Preussentum und sein schmähliches Ende 1947, oder?
Wenn wir uns darauf einigen können, dass die s.g. Preussischen Tugenden durch Rohrstock und verhärmten Prostestantismus eingeprügelt und vererbt wurden, dann sind wir einen 1. Schritt weiter.
Geist und Borniertheit, Wille und Gewalt waren die Grundlagen des Erfolges des Königs sowie die vom Vater über 35 Jahre trainierte 1740 übernommene Trupppe, die am Ende 193.000 Mann stehendes Heer umfaßte und davon 81.000 ausländischen Söldnern, als er sein Erbe auf dem Sterbebett an den Nachfolger übergab.
Nur 20 Jahre nach seinem Tod stand Napoleon an seinem Sarkopharg in Berlin mit seinen Bayrischen Verbündeten und brachte neben den Bürgerrechten, den Code Civil und die Juden-Emanzipation in die preussischen und deutschen Lande des Feudalismus 1806.
Die von den Fritzen kreierten Tugenden gaben dann die Basis für das Dritte Reich und seinen Führer, der das Führerpinzip von eben diesem Vorbild-Fritz entlehnte und es für die Deutsche Wirtschaft neben der preuss. Bürokratie verbindlich machte.
- was 1849 und 1864-71 schon Erfolge gebracht hatte und sonst nur vom calvinistischen Kapitalismus der Vereinigten Niederlande übertroffen wurde -
Bis heute gelten preuss. Tugenden in der Wirtschaft rudimentär - gerade auch vom mediterranen Europa bewundert, aber ohne adaptiert zu werden -
...naja...
"Die von den Fritzen kreierten Tugenden gaben dann die Basis für das Dritte Reich und seinen Führer, der das Führerpinzip von eben diesem Vorbild-Fritz entlehnte und es für die Deutsche Wirtschaft neben der preuss. Bürokratie verbindlich machte." - so ein Quatsch! Sie sitzen da sehr schön der nationalsozialistischen Propaganda auf, die eine Linie vom alten Fritz über Bismarck bis zum Führer zu ziehen suchte.
Reflektieren kann man gerne über ihn, aber dann bitte auch nach den Maßstäben der damaligen Zeit und vor den gleichen politisch-wirtschaftlichen Hintergrund. Und da bleibt zu sagen, wenn man Bilanz zieht: Er hat sehr viel richtig gemacht - ob man das aus heutiger Perspektive gut oder schlecht finden mag, sein Ziel jedenfalls hat er eindeutig erreicht.
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Es würde Deutschland gerade 300 jahre nach dem tod Friedrich des Grossen nicht schaden sich mal auf die preussischen Tugenden zurück zu besinnen, Dinge wie Sparsamkeit usw. würden uns ganz gut zu Gesicht stehen.
Das schmähliche Ende Preussens 1947 war Resultat der geradezu lächerlich anmutenden Aversionen die die Siegermächte gegen Preussen hatten, hatte aber mit tatsächlich historischem wenig bis gar nichts zu tun.
Die von Friedrich kreierten Tugenden waren nicht die Basis für das deutsche Reich, sonst mögen wir doch bitte die ganze Geschichte Deutschlands als Basis für das Deutsche Reich Hitlers ansehen und sie entsprechend verteufeln.
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Ja wird es langsam wirklich, kaum ein Monat indem nicht gegen Preussen oder das Kaiserreich geschrieben wird, am besten natürlich mit Kausallinien richtung drittes Reich.
Reflektionen?
Preußische Tugenden mussten nicht unbedingt mit dem Rohrstock eingeprügelt werden, viele von ihnen waren einfach einleuchtend. Ein Staatswesen mit funktionierender und effektiver Verwaltung, mit einem loyalen und korruptionsarmen Beamtenapparat, mit religiöser Toleranz, mit grundlegender Bildung für alle, mit Sparsamkeit und Eigenressourcennutzung als Staatsprinzip - das war einfach den meisten Duodezfürstentümern seiner Zeit überlegen, die von mehr oder minder retardierten Fürsten oder Pfaffen regiert wurden.
Das ein solcher Staat auch eine effektive Armee besaß, war dann nur die logische Konsequenz. Gemessen an seinen Möglichkeiten und denen seiner Nachbarn hat Preußen nur sehr zurückhaltend sein Militär eingesetzt, nachdem einmal der Platz am Tisch der Großen erkämpft war.
Zu dem von Ihnen erwähnten "verhärmten Protestantismus" will ich mich nicht äußern. Mir ist jede Art von Religion fremd, besonders fern sind mir aber die drei monotheistischen Kulte.
Das von Ihnen erwähnte "schmähliche Ende" Preußens per alliierten Federstrich ist auch so eine Posse der Geschichte.
Der preußische Sündenbock war sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Siegermächte und die Süd- und Westdeutschen Katholiken und Separatisten einigen konnten. In ihrer Ablehnung von preußischer Staatseffizienz und nationaler Interessen konnten sie dann 1949 unter der Führung Ihres Nickname-Paten eine Neuauflage des Rheinbundes starten - diesmal mit amerikanischem Hegemon.
Nicht kriegerisch?
Nun ja, Friedrich begann in der von Ihnen als friedlich bezeichneten Zeit den Bayerischen Erbfolgekrieg gegen Habsburg, in dem er nach erfolgter Kriegserklärung in Böhmen einmarschierte. Dass Sie dies 'mal eben übersehen, spricht Bände. Außerdem beteiligte er sich an der "friedlichen" Abpressung von polnischen Landesteilen an das Zarenreich, Habsburg und Brandenburg-Preußen. Überhaupt nicht aggressiv, der Mann. Und 1787 marschierte sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. in die Niederlande ein und besetzte Amsterdam, weil seine Schwester von der demokratischen Patriotenpartei behelligt worden war. Er drohte Habsburg 1790 mit Krieg, weil er durch die Erfolge der Russen und Österreicher gegen die Osmanen seinen Status gefährdet sah. Und all dies im Zeitraum zwischen 1763 und 1793.
Im Hin und Her der wechselnden Allianzen ?
Was könnte denn damit gemeint sein? Welche Wechsel?
Es gab EINEN entscheidenden Wechsel, die durch Geheimdiplomatie zustande gebrachte sogenannte "Umkehr der Allianzen".
Preußen stand 1756 plötzlich allein gegen ALLE kontinentalen Großmächte. Verbündet nur mit England, welches ihm anfangs lediglich Geld schickte und das dann irgendwann auch nicht mehr.
Nicht ganz alleine
Es gab noch einige klein Staaten im Westen, die sich Preußen anschlossen. Sie kämpften größtenteils gegen Frankreich und hinderten es daran, Hanover einzunehmen.
Kleingeister
Die „mythogene Kraft“ Friedrich des Großen kann doch nicht durch den Kleingeist der heutigen Zeit niedergeschrieben werden!
Entfernt. Bitte verfassen Sie sachliche Kommentare. Danke. Die Redaktion/mo.