Seit zehn Jahren wird Deutschland von einer Frau regiert – aber schon ein Blick auf den Arbeitsplatz der Bundeskanzlerin zeigt, dass Frauen in der Welt des Designs offenbar immer noch nicht viel zu melden haben. Als Angela Merkel 2005 ins Kanzleramt einzog, übernahm sie von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder nicht nur das wichtigste Amt des Landes, sondern auch einen monströsen Schreibtisch – gefertigt von einem Tischlermeister in Kreuzberg. Von Dieter Rams entworfen sind die Ledersessel in der sogenannten Kanzlergalerie im ersten Stock. Das Treppenhaus hat Markus Lüpertz farblich gestaltet. Und natürlich ist auch der Arbeitssessel am Kanzlerschreibtisch von Männern erdacht: Er stammt aus der Serie FS, die Klaus Franck und Werner Sauer für Wilkhahn entworfen haben.
In den meisten Büros und Wohnungen ist es genauso: Wir nehmen an Tischen und auf Stühlen Platz, die Männer gestaltet haben; wir benutzen Alltagsgegenstände, die Männer gestaltet haben.
Im Juni, bei der 60. Verleihung eines der wichtigsten Preise für Produktdesign weltweit, des Red Dot Award, war unter den 81 Preisträgern der "Best of the Best"-Auszeichnung genau eine Frau. Von den 38 Designexperten, die die neuesten Produkte – vom Esstisch bis zum kabellosen Staubsauger – auf Funktionalität, Innovationsgrad und ökologische Verträglichkeit sowie Gestaltung untersuchten, waren nur zwei weiblich.
Am mangelnden Interesse der Frauen am Thema kann es nicht liegen. Inzwischen gibt es mehr Designstudentinnen als Designstudenten. An einer der besten Schulen Europas, der Design Academy Eindhoven, sind sogar 65 Prozent der Studierenden weiblich. Und auch auf dem Salone Satellite auf der Mailänder Möbelmesse, der Plattform für junge Talente, sind knapp die Hälfte der dort präsentierten jungen Designer Frauen.
Wie kommt es dann, dass Frauen wie die Architektin Zaha Hadid und die Designerin Hella Jongerius immer noch als Ausnahmeerscheinung gelten – und in der ersten Reihe fast nur Männer stehen?
Natürlich, Wandel braucht Zeit, das ist im Design nicht anders als in anderen Bereichen. Und die Designbranche ist nicht nur eine Welt von Männern. Viele der heutigen Designstars kommen aus einer Zeit, in der ein Riesen-Ego die Voraussetzung für Riesen-Erfolg war. Ihre Entwürfe sollten nicht nur die ultimative Idee verkörpern, sondern auch gleich die Welt neu erklären. Philippe Starck zum Beispiel wurde nicht nur durch seine unverwechselbaren Entwürfe zu einem der bekanntesten Designer unserer Zeit, sondern eben auch durch sein Talent zur Selbstvermarktung.
Eine Frau, die sich in der Machowelt des Designs behauptet hat, ist die Architektin und Designerin Cini Boeri. Sie hat das italienische Sofadesign entscheidend mitgeprägt. Als sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Architekturstudium in Mailand begann, hätte sie beinahe sofort wieder aufgehört, erzählt sie. Sie war eine der wenigen Frauen dort, und ihr Professor habe ihr nahegelegt, ihre Studienwahl doch noch einmal zu überdenken. Zum Glück ließ sie sich nicht beirren. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie bei Gio Ponti und Marco Zanuso. Die große Zeit des italienischen Industriedesigns begann, und Boeri war mittendrin, im Büro von zwei der bedeutendsten Architekten Italiens.
Und auch wenn Boeri, wie sie selbst sagt, von Ponti und Zanuso ihr Handwerk gelernt hat, bekam sie den wohl wertvollsten Rat ihres Lebens von einer Frau, nämlich Anna Castelli Ferrieri. Die Architektin und frühere Art-Direktorin von Kartell sagte ihr: "Solange wir Frauen nicht unter eigenem Namen entwerfen, werden wir immer im Schatten der Männer bleiben."
In der Tat steht heute hinter jedem großen Designer ein großes Designteam – und oft sind die Frauen in diesen Teams in der Überzahl. Aber egal, wie viele es sind: Die Objekte, die sie entwerfen, tragen nur selten ihre Namen.
Viele Frauen sind gute Teamplayer, aber schlechte Egomanen – es gibt eine Menge wissenschaftliche Studien, die diesen Eindruck bestätigen. Wer aber als Designer herausstechen möchte, muss das Rampenlicht suchen. Denn die großen Firmen, die die Entwürfe produzieren, wollen nicht nur ein gutes Produkt haben, sondern dazu auch gleich die große Vision, die packende Geschichte. Wer sich da als Designer nicht extrem selbstbewusst präsentiert, hat das Nachsehen. Und so gibt es zwar so viele Designerinnen wie nie zuvor, aber offenbar drängen sie sich noch nicht in die erste Reihe.
Uta Brandes, Professorin für Gender und Design an der Köln International School of Design, hat beobachtet, dass viele Designerinnen nicht mehr in ihren Beruf zurückkehren, nachdem sie ein Kind bekommen haben. "Schon bei einem Kind glauben viele, sie könnten diesen Beruf nicht mehr machen", sagt sie.
Die Designwelt ist eine besonders schnelllebige Branche, beim Entwerfen neuer Produkte spielen Innovationen in Technik und Materialien eine entscheidende Rolle. "Ist man da fünf Jahre raus, kann man nicht mehr mithalten", sagt Brandes. "Ich kann die Frauen daher nur ermutigen: Macht weiter! Findet Strukturen, in denen sich auch andere um euer Kind kümmern."
Sähe die Welt anders aus, wenn Frauen sie gestaltet hätten? Uta Brandes sagt: "Ja." In ihren Seminaren könne sie beobachten, wie unterschiedlich Studenten und Studentinnen an Problemlösungen herangingen. Während Männer dem Trial-and-Error-Prinzip folgten, also experimentierten, wegschmissen und wieder neu anfingen, würden Frauen das Projekt zunächst gründlich durchdenken und erst dann loslegen. Ihre Leitfrage sei: "Wie benutze ich das Ding?" Darin ähnelten sie den Käuferinnen von Designobjekten.
Und eigentlich müsste der Markt viel stärker auf sie reagieren, denn tatsächlich sind es meistens die Frauen, die die Wohnungen einrichten. Das wissen zwar auch die Hersteller, aber anstatt die weibliche Herangehensweise stärker in ihre Designprozesse einzubeziehen, folgen sie bei dem Versuch, Frauen als Kunden zu gewinnen, allzu oft dem Prinzip shrink it and pink it: Als "weibliches Design" gelten dann rund geformte, pinkfarbene Rasierer und Sofas in Pastelltönen – Objekte für eine rosarote Welt.
Dass sich jedoch inzwischen auch in der Designwelt etwas ändert, zeigen die diesem Text beigestelltem Fotos, auf denen die Illustratorin Sarah Illenberger Abbildungen von Designobjekten mit dem Rohmaterial kombiniert hat, aus dem die Gegenstände gemacht sind. Zu sehen sind neueste Möbel – und alle wurden von Designerinnen entworfen.
Die derzeit wohl erfolgreichste von ihnen ist Patricia Urquiola. Seit Jahren entwirft die spanische Architektin für alle großen Möbelfirmen. Eine der ältesten, die italienische Firma Cassina, hat sie gerade als Art-Direktorin engagiert. Ihre Entwürfe reichen von filigranen Lampenschirmen aus Holz bis zu raumfüllenden Objekten wie etwa einer frei stehenden Badewanne. Urquiola versteht es stets, die neuesten technischen Möglichkeiten mit Form und Haptik in Einklang zu bringen.
Als Meisterin der Farben gilt Hella Jongerius. Seit zwei Jahren entwickelt sie als Art-Direktorin die Farbenwelt des Schweizer Unternehmens Vitra, schenkte dem Haus aber auch schon einen weiteren Klassiker: das "Polder Sofa".
Dass sich Poesie und Minimalismus nicht widersprechen müssen, zeigen die Designs der Französin Ionna Vautrin. Nachdem sie mehrere Jahre für Ronan und Erwan Bouroullec in Paris gearbeitet hatte, gründete sie im Jahr 2011 ihr eigenes Studio. Seitdem gestaltete sie unter anderem Lampen für Foscarini und ein Radio für Lexon – stets unter Verwendung organischer, minimalistischer Formen.
Eine, die sich erst gar nicht auf eine bestimmte Designdisziplin festlegen möchte, ist India Mahdavi. Die aus dem Iran stammende und in Paris arbeitende Innenarchitektin gestaltet nicht nur die Einrichtung diverser Luxushotels und Cafés, sondern entwirft auch farbenfrohe Einrichtungsgegenstände.
Vor ein paar Jahren hat übrigens Patricia Urquiola den "Husk Chair" für B&B Italia entworfen. Als Angela Merkel im vergangenen Juni zum G-7-Gipfel ins Schloss Elmau einlud, nahmen dort die mächtigsten Männer der Welt auf genau diesem Stuhlmodell Platz – ein Zeichen, dass es auch eine Designerin bis ins Zentrum der Macht schaffen kann.