Eine kleine Gasse im Herzen von Paris. Rechts lugen die Türme von Notre-Dame über die Dächer, links wölbt sich die Kuppel des Pantheons, in dem Frankreichs Nationalhelden liegen. Dazwischen wohnt ein Mann, der das Denken darüber, was zu Erfolg führt, maßgeblich verändert hat. Und der nebenbei dem Krümelmonster aus der "Sesamstraße" beibrachte, zu essen wie ein Gourmet. Der österreichische Psychologe Walter Mischel, der in Paris und New York lebt.
ZEIT Wissen: Herr Mischel, ich komme in großer Sorge zu Ihnen: Meine Tochter kann Marshmallows nicht widerstehen. Hat sie eine schwierige Zukunft vor sich?
Walter Mischel: Nein, so einfach kann man das nicht sagen.
ZEIT Wissen: Aber Sie haben doch herausgefunden: Kleine Kinder, die sich bei Süßigkeiten nicht zurückhalten können, versagen auch später im Leben, oder?
Mischel: Es gibt tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten eines Kindes, das vor einem Marshmallow sitzt, und dem weiteren Erfolg im Leben. Das zeigt sich Jahrzehnte später bei den Schulabschlüssen, bei den Uni-Noten oder sogar darin, dass man stabilere Beziehungen hat. Ich und meine Kollegen waren selbst überrascht, welche Zusammenhänge wir zehn, zwanzig und sogar dreißig Jahre nach unserem Experiment feststellten. Inzwischen verfolgen wir das Leben unserer Versuchsteilnehmer ja schon seit mehr als vierzig Jahren.
ZEIT Wissen: Ihr Experiment ist als sogenannter Marshmallow-Test weltberühmt geworden. Wie genau lief dieser Versuch ab? Und wie kamen Sie auf die Idee?
Mischel: Ich war damals, Mitte der sechziger Jahre, ein junger Professor an der Stanford University in Kalifornien. Meine Töchter waren drei, vier und fünf Jahre alt, und ich beobachtete das Wunder ihrer Verwandlung: Kurz zuvor waren sie noch hilflose Babys, unkontrollierte Opfer ihrer augenblicklichen biologischen Bedürfnisse – mal war ihnen kalt, mal hatten sie Hunger –, Kreaturen, wie Freud sie beschrieben hat. Und nun konnten sie auf einmal sprechen, zuhören, sich sogar selbst instruieren. Ich wollte herausfinden, was sich in ihren Köpfen tat. Zu meinem Glück waren im Uni-Kindergarten von Stanford damals gerade Beobachtungsräume mit Glaswänden eingebaut worden.
ZEIT Wissen: Ein Kinderversuchslabor?
Mischel: Ja. Dort haben wir Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren zu einem Spiel eingeladen, immer einzeln. Wir stellten sie vor die Wahl: Willst du jetzt ein Marshmallow essen, oder willst du warten und als Belohnung dafür noch einen zweiten bekommen? Wer sich für das Warten entschied, musste allein in einem leeren Raum sitzen, das Marshmallow oder eine andere Süßigkeit vor sich auf dem Tisch. Daneben lag eine Glocke, mit der die Kinder ihren Betreuer herbeiklingeln konnten, wenn sie es nicht mehr aushielten. Dann gab es aber keine Belohnung. Durch die Glasscheibe konnten wir beobachten, was bis dahin geschah. Wir hatten damals keine Kamera, aber von einem ähnlichen Versuch in Chile gibt es ein Video. Ich zeige Ihnen das mal ...
Auf Mischels Schreibtisch liegt schon ein aufgeklappter Laptop bereit. Der Professor drückt einen Knopf, und auf dem Bildschirm erscheint ein etwa vier Jahre altes Mädchen. Vor ihm ein Marshmallow, es windet sich und dreht sich auf seinem Stuhl um, damit es das weiße Ding nicht sehen muss. Dann wird ein Junge eingeblendet, der die Süßigkeit mit versteinerter Miene anstarrt und gleichzeitig wie ein Wahnsinniger mit den Füßen wippt. Zum Schluss folgt ein Junge vor einem Oreo-Keks. Der Knirps schaut sich kurz um, dann hebt er den Deckel vom Keks, schleckt die weiße Creme darunter ab und klebt den Deckel sorgfältig wieder drauf. Danach tut er, als sei nichts geschehen.
Kommentare
Analyse this!
Ich mochte schon als Kind keine Marshmallows und würde mich auch heute nicht 15 min langweilen wollen, um einen mehr zu bekommen.
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Da gibt es gar nicht so viel zu analysieren - es wird einfach eine Süßigkeit genommen, die Sie auch mögen. ;)
Man sollte diesen Artikel mal den Ü-Ei-Machern zeigen, vielleicht verschwindet dann ja die bescheuerte aktuelle Werbung von denen. Die verläuft ja genau wie dieser Marshmallow-Test ab ...^^
Bravo, seit Ebbinghaus
ist die Psychologie bemüht Wissenschaft zu werden und hat mit unrealistisch-klinischen Experimentszenarien wie denen S. Freuds, R.A. Spitz, u.a. den Status der Hellseherei nicht verlassen. Kein Kind, welches mit den Impulsen realer Umgebungen konfontiert wäre, würde sich derart verhalten, man möge dies Experiment auf einem Spielplatz oder gar mit Erwachsenen in anderem Umfeld nachholen! Selbst Experimente und deren Konklusionen wie Milgram funktuionieren nur, da die Probanten getäuscht und über die eigentliche Fragestellung mit extrinsischen Mittel (Geld, Marschmallows, etc.) im unklaren gelassen werden. Derart ist keine fundamentale Erkenntnis im Sinne des griechischen Eidenai zu entwickeln!
Seltsam
Warum stresst eigentlich alle der Artikel so sehr? Ich fand ihn sehr interessant und nachvollziehbar (bei mir hätte es halt kein Marshmallow sein dürfen, aber die Art der Süßigkeit ist ja nun wirklich nicht das Ausschlaggebende).
"Schrödingers Kinder"
Am Ende Hat man das Leben der Kinder erst durch diesen Test/Messung auf eine bestimmt Bahn gezwungen und so ruiniert. ;-)
noch ne Frage ...
Wobei hier vielleicht noch eine andere Sache interessant wäre - als Kind war ich wahnsinnig spitz auf Süßigkeiten, lag daran, ich bekam von meinen Eltern kaum welche und wenn, sehr rationiert. Also wurde jedes 10 oder 50 Pfennigstück sofort beim Bäcker in Brausebonbons und Pfennigguutsjen investiert und recht gierig verschlungen. Bei diesem Test wären die Marshmallows aber sofort von mir vernichtet worden.
Bei meinen Kindern habe ich das anders gehandhabt, es gab Süßes, es war auch immer was da - und diese Gier war bei meinen Jungs nicht da. Bei beiden konnte Schoki oder was auch immer tagelang rumliegen, hat sie nicht interessiert.
Wird so etwas auch bei den kindlichen Probanten bedacht?
Ja.
Die Forschung von Walter Mischel zur Selbstkontrolle, also der besseren Steuerung des "kalten Systems" und das Vermeiden, dass das "heisse System" anspringt,
hat vor 50 Jahren begonnen.
In seinem Buch zu diesen Forschungen werden viele der Testkonfigurationen vorgestellt.
Es wird aufgezeigt wie die beiden Systeme sich beeinflussen
und welche Möglichkeiten man hat, um sich selbst vor unerwünschten Reaktionen zu schützen. Lesenswert. Wie auch dieser Artikel. Dankeschön an Die Zeit.