Je kleiner desto besser. Mithilfe von Mikro- und Nanotechnik dringt die Medizin von morgen nicht nur bis in kleinste Blutgefäße ein, sondern übermittelt den Zellen sogar Botschaften, zerstört Tumoren und regt die Synthese von Proteinen an. Auf dem ZEIT-Forum während der Medica in Düsseldorf kamen heute vier Experten unter der Moderation von Andreas Sentker (Redaktion "Wissen", DIE ZEIT) zu einer Podiumsdiskussion zusammen und berichteten von den Entwicklungen auf diesem Gebiet:
Prof. Dr. Claus-Michael Lehr, Biopharmakologe der
Universität des Saarlandes, entwickelt eine neue Platform für die
Gentherapie. Er experimentiert mit Nano-Partikeln, die heilende
Genabschnitte in den Zellkern schleusen sollen. "Wir nutzen dafür
ganz profane Silika-Partikel, auf die sich das Erbmaterial DNA wie
Spaghetti aufrollen lässt", sagt Lehr. In Tierversuchen gelangte
dieses so genannte DNA-Taxi erfolgreich mit seiner Fracht ins
Innere der Zellen.
Bei ähnlichen Versuchen, wo jedoch mithilfe von Viren die
genetischen Informationen in den Zellkern manövriert wurden,
verstarb ein an einer Erbkrankheit leidender Patient. Deshalb sind
gerade die neuen Ansätze vielversprechend, wenngleich Lehr betont,
dass er mögliche Risiken seiner Technik einfach noch nicht kenne.
Zur Behandlung chronischer Darmkrankheiten probierte Lehr dieses
innovative Transportsystem auch für die Verabreichung besonderer
entzündungshemmender Medikamente aus. Immerhin konnte bei Ratten
eine deutliche Verbesserung der Wirkungsdauer des Medikamentes
erzielt werden - bei gleicher Dosis.
Prof. Dr. Klaus Maier-Hauff, Neurochirurg vom
Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, bekämpft mit der Nanotechnologie
bösartige Hirntumoren. Meist kommen die gefürchteten Rückfälle aus
den Randgebieten des Tumors - wo das Skalpell die malignen Zellen
nicht vollkommen entfernt hat. Maier-Hauff spritzt jetzt
experimentell eisenbeladene Partikel in dieses kritische Randgebiet
während einer Hirnoperation oder vom Computer geleitet durch den
Schädel in den Tumor selbst. Hinterher setzt er den Kopf des
Patienten einem Magnetfeld aus, wodurch die Temperatur in den Eisen
markierten Zellen auf 42 bis 47 Grad ansteigt - eine so genannte
Hyperthermie-Behandlung. "Das zerstört zwar nicht den Krebs, doch
die bösartigen Zellen werden empfindlicher für die anschließende
Chemo- oder Radiotherapie", sagt Maier-Hauff. Bis Ende nächsten
Jahres soll dieses Behandlungskonzept in die klinische Erprobung
gehen. Möglicherweise könnte das Beladen der Krebszellen mit
Eisen-Partikeln künftig beim Aufspüren von Metastasen helfen. Denn
die Tumoren geben auch bei ihrer Teilung das Metall an die
Tochter-Zellen weiter - alle weiteren Generationen sind dann
markiert.
Prof. Dr. Uwe Hartmann, Experimentalphysiker von der
Universität des Saarlandes, beschäftigt sich mit der Produktion von
Nanomaschinen, wobei seine Werkzeuge Atome und Moleküle
zusammenfügen müssen. Hartmann glaubt, dass sich künftig die
Wissenschaft einiges bei der Biotechnologie abgucken wird, denn
"immerhin" - sagt er - "hat ein Gramm DANN mehr Informationen als
jede Papierbibliothek." Der Professor, der große Erfolge der neuen
Technologien erst in 30 Jahren erwartet, setzt auf systematische
Grundlagenforschung - "und da ist Deutschland gut gerüstet", sagt
der Physiker. Dabei wird die Nanotechnologie mit nur 20 Millionen
Mark pro Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eher
zurückhaltend gefördert. Im Vergleich: Die USA geben allein in
diesem Jahr für diese Technologieentwicklung 422 Millionen Dollar
aus. Trotzdem bekommt die Nanotechnologie hierzulande mehr Geld als
viele andere Fächer. "Die Nanotechnologie ist das Feigenblatt zur
Förderung des eigenen Forschungsvorhabens", sagt Hartmann. Viele
würden sich zu ihr einfach aus finanziellen Gründen bekennen.
Dipl. Ing. Reiner Götzen, Geschäftsführender
Gesellschafter der micro-TEC, sucht nach mechanischen
Behandlungsmöglichkeiten für kranke Körper. Seine Lösungen sind
zwar klein, aber nicht im Nano- sondern im Mikro-Bereich. Seine
Firma stellt winzige Kunststoffteile her, die für
Cochlea-Implantate von Kindern mit angeborenen Hörschädigungen
benötigt werden. Berühmt wurde Götzen als Erfinder des
"Micro-U-Boots", das einen Durchmesser von nur einem halben
Millimeter hat. Bei den Fischen schaut er sich derzeit den
Flossen-Antriebsschub ab, mit dem die "Micro-U-Boote" demnächst auf
Erkundungsreise in den Körper geschickt werden sollen. Doch das
wird voraussichtlich noch ein paar Jahre dauern. Schneller könnte
es mit den Micro-Pillen gehen. "Kleine Sensoren merken, wann das
Medikament abgegeben werden soll", erklärt Götzen. Das Problem:
Nach Ende der Mission im Darm muss die High-Tech-Pille aus dem
Stuhl herausgefischt werden.