Zum Beispiel das Bahnhofsklo in Siegburg. Gegen Geld öffnet sich die Schranke. Der Gast findet sein Plätzchen, verrichtet, wozu er gekommen, will spülen – und stutzt. Nirgends ein Knopf. Keine Kette. Nicht einmal ein Gummidrücker am Boden. Wenn er schließlich peinlich berührt durch die Tür enteilt, hört er das ersehnte Rauschen in der Toilette. Ein Sensor im Türrahmen macht’s möglich. Aber dem Besucher hat es keiner gesagt, und ein Schild gibt es auch nicht. BILD
56 Prozent aller Menschen, die mit Computerprogrammen zu tun haben, erhalten nicht die notwendigen Bedienungshinweise. So stellte es die Standish Group fest, ein amerikanisches IT-Beratungsunternehmen. Dabei sind diese Hinweise durchaus vorhanden, nur findet sie der Benutzer nicht und steht belämmert da.
Macht nichts, könnte man sagen, der Mensch lernt. Mancher allerdings langsamer als der andere. Was auf dem Klo in Siegburg verzeihlich erscheint, kostet an anderen Orten millionenfach Zeit, Geld und Kunden. Es schädigt die Wirtschaft und behindert öffentliche Verwaltungen.
Wenn Mitarbeiter der Agentur für Arbeit das Arbeitslosengeld II berechnen wollen, müssen sie in jedem fünften Fall ein Zusatzprogramm nutzen. Die eigentliche Software schafft das nämlich nicht. Jedes Mal kostet das etwa 15 Minuten zusätzlich, und durch Gesetzesänderungen kommen laufend weitere »Umwege« hinzu.
27 Prozent aller Kaufversuche im Internet werden abgebrochen, weil die Käufer nicht finden, was sie suchen, obwohl der Anbieter das Produkt im Sortiment führt. So fand es das amerikanische Beratungsunternehmen Cymfony heraus. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft berichtet, dass 40 Prozent den Kaufprozess vorzeitig beenden, weil die Bestellabwicklung zu kompliziert ist oder die Technik ausfällt.
Am Anfang aller Katastrophen steht ein Mangel an Nachdenken
Ähnliches gilt wohl beim Online-Banking oder beim Buchen von Reisen, aber auch bei vielen Geschäfts- und Verwaltungsprogrammen. Verlässliche Zahlen darüber, wie hoch die resultierenden Ausfälle und Mehrkosten in Euro und Cent zu beziffern sind, gibt es nicht. Doch die Summen müssen enorm sein, sagt Heidi Krömker, Professorin für Medienproduktion an der Technischen Universität Ilmenau. »Wenn tausend Mitarbeiter Tag für Tag fünf Minuten vertun, weil die Telefonanlage Gespräche verliert, kommen schnell Millionenbeträge zusammen.« Zahlen gibt es wenige. Zuletzt hatte die Standish Group im Jahr 1998 geschätzt, dass Unternehmen und Behörden weltweit bis zu 75 Milliarden Dollar für gescheiterte Entwicklungen ausgegeben hatten.
Am Anfang solch finanzieller Katastrophen steht ein Mangel an Nachdenken. Mensch und Maschine passen nicht so einfach zueinander, wie manche Entwickler glauben. Für Menschen bedeutet eine Handlung, eine Geste, ein Wort je nach Situation etwas anderes. Computer denken hingegen vollkommen digital. Ja/nein, an/aus, schwarz/weiß. Wer mehr will, muss großen technischen Aufwand treiben. Das Problem ist so alt wie die Informatik selbst, wird aber umso größer, je mehr Computer in unseren Alltag einziehen – inzwischen eben sogar bis ins Klo.
Eine Sitzecke mit weißen Sesseln. Bilder von Franz Marc. Ein Spiegel, durch den man vom Nebenraum hereinsehen kann, ein Schreibtisch mit einem Rechner. Die Probanden sollen sich wohlfühlen. Schließlich werden nicht sie geprüft, sondern die Software. Neben der Testperson sitzt Britta Hofmann. Sie leitet das Usability-Kompetenzzentrum des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik in Bonn. Dort untersuchen Spezialisten neue Computerprogramme, Handys oder Fahrtkartenautomaten darauf, wie leicht oder schwer sie zu bedienen sind.
»Siehst dus nicht, oder verstehst dus nicht?«
Der Tester soll auf einer Internet-Seite ein Produkt suchen und spricht seine einzelnen Gedankenschritte laut aus. Die Psychologin beobachtet ihn und stellt Fragen, wenn er zögert. »Siehst du’s nicht, oder verstehst du’s nicht?«, darauf laufe es meistens hinaus, sagt Hofmann. Eine Kamera zeichnet alles auf, ein Rechner dokumentiert jeden Klick. Die Ergebnisse sind so verblüffend, dass die Programmierer, die das Experiment im Nachbarraum beobachten, vor Aufregung am liebsten gegen die Scheibe trommeln würden. »Was ihnen total logisch erscheint, können Benutzer manchmal überhaupt nicht verstehen«, sagt Hofmann.
Woher rührt diese Kluft? Beim Entwurf eines neuen Programms rede niemand mit den Menschen, die es betreffe, so Hofmann. Projektmanager und Chefs schreiben Pflichtenhefte, die aus Workflow-Plänen, Organigrammen und Arbeitsbeschreibungen schöpfen, aber nicht aus den alltäglichen Erfahrungen ihrer Mitarbeiter. Entwickler fragen nach Funktionen, die eine Software erfüllen soll, aber nicht nach der Art und Weise, wie sie im laufenden Betrieb umgesetzt werden. Einkäufer lassen sich von neuen Funktionen beeindrucken, die im Arbeitsalltag keiner braucht.
Lange versuchten Informatiker, dieses Problem mit schierer Masse zu erschlagen. Wenn man einem Programm nur genug beibrächte, müsste es irgendwann ideal funktionieren. Ein Irrtum. Als Folge wurde die Software immer komplexer. Die lästigen Folgen sind allen Anwendern des Büroprogramms Microsoft Word bekannt. Man gibt ein Datum ein und drückt die Enter-Taste. Plötzlich verwandelt sich das geschriebene »22. August 2006« in »2006-08-22«. Das Programm denkt zwar mit und will das Datumsetzen vereinfachen – tut es aber leider nach einer ungeliebten internationalen Norm. Geübte Nutzer wissen die Funktion auszuschalten oder richtig zu nutzen. Doch die Mehrheit ärgert sich und muss die »Vereinfachung« von Hand wieder korrigieren. Sie verliert bei jedem Brief ein paar Sekunden.
Wer sich mit dem Auto im Straßenverkehr bewegt, müsse doch auch in die Fahrschule, argumentieren Programmierer gegen diesen Einwand. Warum dann nicht auch das Bedienen von Programmen lernen? Britta Hofmann geht bei solchen Reden der Hut hoch. Natürlich seien Schulungen wichtig, »nur braucht man in der Fahrschule wenigstens keine Erklärung, wo man in das Auto einsteigen kann. Auf dieser Ebene bewegten sich aber immer noch die meisten Usability-Probleme bei Computern.«
Die Soziologin Christiane Funken von der Technischen Universität Berlin kennt den Fall einer Firma, die ein neues Lager gebaut und die gesamte Lagerhaltung digitalisiert hatte. Doch schon zwei Wochen nach Eröffnung meldeten sich so viele Arbeiter krank, dass die eingegangenen Aufträge nicht mehr bedient werden konnten. Warum? Früher wusste jeder Lagerarbeiter, wo welches Produkt stand, und ordnete eine Ware einem Kunden zu. Im neuen, digital verwalteten Lager waren alle Produkte mit einem Zahlencode ausgestattet. Je nach Code sollten sie auf bestimmte Lieferwagen gepackt werden – ohne dass der Arbeiter wusste, was in den Paketen steckte. »Weil die Leute sich nicht mehr mit ihrer Arbeit identifizierten, trödelten sie oder wurden krank«, sagt Funken.
Auch der größte deutsche Geschäftssoftware-Entwickler SAP kennt solche Probleme. Deshalb schauen SAP-Mitarbeiter ihren Kunden vor der Entwicklung neuer Programme erst mal zu. »Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob eine Buchhalterin täglich Beträge ein- und ausbuchen muss oder der Abteilungsleiter einmal im Monat eine Übersicht über die gesamte Bilanz braucht«, sagt Matthias Harbusch, bei SAP zuständig für Usability. Nach der Beobachtung entwerfen die SAP-Leute zunächst auf dem Papier einen Plan, wie das Programm aussehen könnte. Der wird diskutiert, bis die Nutzer zufrieden sind, und erst danach wird die erste Programmzeile geschrieben. Was SAP macht, ist freilich längst nicht die Regel.
Entwickler müssten sich an Regeln halten, fordert Britta Hofmann. »Alle Handlungen müssen außerdem der Systematik entsprechen, die ich auch im normalen Leben kenne«, nennt sie als Beispiel. Sprich: Niemand schreibt zuerst die Straße und dann den Namen, wenn er seine Adresse in ein Formular einträgt.
Dass immerhin das Bewusstsein für solche Probleme wächst, lässt sich am Markt für Beratungsunternehmen ablesen. Deren Umsätze sind stetig gestiegen – in Deutschland auf 6,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Der IT-Marktforscher Thomas Lünendonk sagt: »Früher gab es eine Schlacht darum, welches Programm am meisten kann.« Inzwischen sollten Programme auch leichter zu handhaben sein.
Weitere Informationen im Internet:
Mehr darüber, wie Computerprogramme nutzerfreundlich gestaltet werden können, lesen Sie auf den Seiten des Fraunhofer-Institut FIT
Zum Thema
Meckern - Wie nutzerfreundlich ist ZEIT online? Eine Kritik »
Computernutzer geraten oft außer Rand und Band, beschimpfen oder zerstören ihre Rechner. Der Schaden ist immens (ZEIT 39/2004) »
Virtuelles und Reales: Analysen und Neuigkeiten auf der Computer-Seite von ZEIT online »
Kommentare
Benutzerfreundliche Computer sind bereits Wirklichkeit
Ich bin vor 6 Jahren auf die Produkte des netten Herstellers mit dem Obst im Logo umgestiegen und habe den Schritt NIE bereut. Jahrelanger Ärger und Frust mit Hardware und Software hatten endlich ein Ende. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wieso sich die überwältigende Mehrheit der Menschen noch immer den Stress mit PC und Windows antut. Irgendwie muss es da einen Hang zum Masochismus geben ... oder ist es schlicht und einfach die "Geiz-ist-geil"-Mentalität, welche zum jeweils günstigsten Angebot greifen lässt? Dabei zeigt der Artikel sehr schön auf, dass benutzerunfreundliche Geräte und Software sehr wohl Kosten in Form von verlorener Arbeitszeit verursachen können, die eine evtl. Ersparnis beim Anschaffungspreis sehr schnell zunichte machen.
Lesebereitschaft
Mag sein, dass ich mit modernen Medien aufgewachsen und im Familienkreis eher zur technik-erklärenden Personengruppe gehöre. Doch oftmals, wenn ich meinen Eltern zum wiederholten Mal ihr Handy erkläre (ich entschuldige mich bei beiden, sie hier als Beipiel heranzuziehen), laufen die Dialoge ähnlich und enden meistens nach kurzer Zeit mit etwa..
"Ja genau, mach doch einfach, was da steht! Wenn Du die geschriebene SMS senden möchtest, dann drück doch einfach mal versuchsweise auf den Knopf, wo 'Senden' dransteht."
Zugegeben, bis die Technik irgendwann die Zauberei erfinden wird, kann auch das neue Handy meiner Mutter den Wunsch nicht von den Augen ablesen, aber die Menüführung ist denkbar einfach und auch ohne Lesen der Anleitung in Minuten zu bewältigen. Auch das zitierte Microsoft Word bemüht sich ja nun wirklich redlich, dem Anwender so übersichtlich wie möglich die paar elementaren Funktionen zur Verfügung zu stellen.
Oftmals machen sich die Entwickler viele Gedanken, die Funktionen moderner Technik genau dort einzubauen, wo man sie braucht und intuitiv suchen würde. Es mangelt manchmal nur an etwas Lesebereitschaft.
Schonungslos
Computer sind beim Offenlegen von Fehlern schonungslos. Abkürzungen oder Umwege, die man sich für die Arbeit geschaffen hat, funktionieren nicht mehr. Man wird geleitet, manchmal gezwungen, standardisierten Prozeduren zu folgen und muß dabei oft erkennen, daß das eigene Wissen doch nicht so vollständig und fehlerfrei war. Das ist kein "Fehler" des Computers und es ist auch nicht vermeidbar, da man typischerweise eben nicht mehr alleine mit Daten arbeitet. Es sorgt beim Anwender dennoch für Frust.
Ein Beispiel aus dem Artikel?
Zitat: "Plötzlich verwandelt sich das geschriebene »22. August 2006« in »2006-08-22«. Das Programm denkt zwar mit und will das Datumsetzen vereinfachen – tut es aber leider auf Amerikanisch."
Bei der letztgenannten Schreibweise handelt es sich mitnichten um die US-amerikanische Schreibweise des Datums (das wäre "8/22/2006", "Monat/Tag/Jahr"), sondern um das ISO-standardisierte und verwechslungsfreie Schema "Jahr-Monat-Tag", das auch vom Duden für Datumsangaben in Briefen empfohlen wird...
Komplexität wird unterschätzt
Es gibt sicherlich viele Beispiele für gelungene wie für schlechte Software, genauso wie in allen anderen Bereichen auch. Auch unter Softwareentwicklern gibt es sowohl sehr talentierte als auch eher schludrige Exemplare. Was jedoch oft völlig unterschätzt wird, ist die Komplexität heutiger Software, von der der normale Benutzer keine Vorstellung hat.
Ein kleines Beispiel: Die Firma, für die ich arbeite, entwickelt Softwarelösungen für die Reiseindustrie. Das Hauptprodukt bietet im Prinzip folgende Funktionen: Flüge suchen, Hotels suchen und das Ganze buchen - im Prinzip ganz einfach. Schaut man sich aber den Quellcode (also das geschrieben Programm) an, dann bekommt man einen anderen Eindruck. Um den gesamten Code auszudrucken, bräuchte man (bei 30 Zeilen pro Seite und beidseitigem Druck) ca. 35.000 Blatt Papier. Das sind 70 Packungen à 500 Blatt, oder ein Stapel von über 3 Metern Höhe. Dabei handelt es sich nur um die von uns entwickelte Software. Es wird auch Software von Drittanbietern benötigt. Zählt man diese dazu, wird der Stapel bedeutend höher, nämlich ca. 10 bis 20 Meter. Dann muss man noch berücksichtigen, dass die Software auf Rechnern läuft, die ihrerseits noch andere Software benötigen, etwa ein Betriebssystem, das eine Wissenschaft für sich darstellt.
Es lässt sich darüber streiten, ob Software unbedingt so komplex sein muss. Durch geschicktere Lösungen ließe sich sicherlich einiges einsparen, aber an den Größenordnungen ändert das nichts. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Pflege einer solch komplexen Software schwierig sein kann. Meldet der Kunde einen Fehler, kann es mitunter Wochen dauern, bis die Ursache gefunden ist. Zwar wurden in den verganenen Jahrzehnten Methoden und Werkzeuge entwickelt, um dieses Prolems Herr zu werden, aber in der Praxis hat man damit zu kämpfen, dass kleine Änderungen an einem Ende völlig unvorhergesehene Folgen an einem anderen Ende haben können, was angesichts der enormen Komplexität kaum verwunderlich ist.
Hier liegt meiner Ansicht nach ein weiteres Problem. Software ist ständigen Änderungen unterworfen, es gibt immer wieder Patches, verbesserte Versionen mit neuen Funktionen oder ganze neue Anwendungen, die auf alter Software basierend entwickelt werden. In den meisten Fällen sind Funktionen, die in der nächsten oder übernächsten Version eines Programms auftauchen, anfangs überhaupt nicht abzusehen und daher auch nicht im Grundgerüst, der Softwarearchitektur, berücksichtigt. Man muss also nachträglich an der Architektur viel herumbasteln. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, kann man eine Parellele zu echten Architekten ziehen, die Häuer bauen. Soll z.B. ein Einfamilienhaus gebaut werden, muss der Bauplatz geeignet gewählt und ein ausreichend solides Fundament gelegt werden. Steht das Haus einmal, sind nur noch marginale Änderungen möglich, die zudem auf ihre Folgen hin untersucht werden müssen. Soll etwa eine Wand eingerissen werden, muss der Architekt, nachdem er ob der mangelnden Voraussicht des Bauherrn den Kopf geschüttelt hat, zunächst aufwändige Berechnungen durchführen. Niemand würde auf die Idee kommen, ein bestehendes Einfamilienhaus um ein Stockwerk zu vergrößern. Genau das passiert aber mit Software. Neue Funktionen stellen neue Stockwerke dar, irgendwann muss an der Architektur herumgeschraubt werden, was der Verlegung des Treppenhauses gleichkommt, am Schluss hat man es mit einem regelrechten Wolkenkratzer zu tun, dem man nachträglich ein solideres Fundament verpassen muss. Will man dann noch verschiedene Softwaresysteme miteinander vernetzen, müssen in schwindelerregender Höhe zwischen den Wolkenkratzern Brücken gebaut werden. Jeder Stararchitekt vergangener Tage würde sich bei dem Gedanken im Grabe umdrehen.
Fazit: Mit fehlerhafter Software müssen wir leben (sofern wir nicht bereit sind, dafür viel mehr Geld auszugeben als bisher).