Hinter dem Steuer seines Dienstwagens, eines VW Bus, fallen dem Polizisten Stephan Waldner manchmal die besonders hässlichen Szenen aus seinen neun Dienstjahren wieder ein. Dann sieht er sich noch einmal, die Waffe im Anschlag, in den Wohnblock rennen, mit erhöhtem Puls, in die kleine Wohnung. Doch er kommt zu spät. Da ist ein Gebrüll gewesen, Nachbarn haben es gehört. Aber als der Zivilfahnder eintritt, sitzen vier junge Männer aus Russland ganz friedlich im Wohnzimmer, schweigend, in ihrer Mitte ein lebloser Körper. Einer beatmet den Toten mit dem Mund. Die vier wanken, geröteten Auges suchen sie Waldner zu fixieren. Der stolpert über eine Wodkaflasche auf dem Teppichboden, hält sich an der Wand fest.
Das Beatmen war ein sinnloser Akt. Es sollte wie ein Unfall aussehen, sagt Waldner, wie eine Tat im Affekt, erst vor wenigen Minuten verübt, darum auch das inszenierte Gebrüll. Doch das Blut, das von der Stirn des Opfers über das blasse Gesicht den Hals hinabgeflossen war, glitzerte bereits verkrustet im Lampenlicht. Eine kalte Leiche, ein Junge, keine 20 Jahre alt, erschlagen. Und die Schläger bei der Tat zu betrunken, um sich später zu erinnern, weshalb sie zu Totschlägern geworden waren – zwei Tage schon, bevor der Polizist Stephan Waldner in ihre Wohnung stürmte.
Als Zivilfahnder ist Waldner darauf bedacht, unerkannt zu bleiben. Seine schusssichere Weste trägt er verborgen unterm weiten Pullover, seinen wahren Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Es ist zwei Uhr nachts. Hier in Berlin-Marzahn, wo die Hauptstadt endet, türmt sie sich noch einmal wie verzweifelt in die Höhe. »Im Moment ist es ruhig«, sagt er zufrieden, schaltet in den dritten Gang, zündet sich eine neue Zigarette an, passiert menschenleere Gehwege zwischen den Plattenbauriegeln. Mitte der neunziger Jahre sei die Gewalt auf den Straßen entbrannt, Schlägereien der russlanddeutschen Jugendlichen tagein, tagaus, doch die Polizei, sagt Waldner, habe darauf reagiert: die Operative Gruppe Jugendgewalt der Berliner Polizei unterstütze ihn seither bei der Arbeit in seinem Bezirk. Ihre Beamten könne er bei Bedarf hinzuziehen. Aber womöglich habe man mit dem verstärkten Polizeieinsatz die Kriminalität nur hinter die Gardinen der Hochhäuser verbannt, wer wisse das schon so genau. Waldner blickt aus dem Auto, vereinzelt brennt noch Licht hinter den Fenstern, helle Punkte im Beton. Ein Film über die Probleme von Russlanddeutschen, durch Klicken auf das Bild zu sehen BILD
Man schätzt, dass rund 25000 Russlanddeutsche in Marzahn-Hellersdorf wohnen, einem der letzten riesigen Wohnungsbauprojekte der DDR. Die Russlanddeutschen zogen ein, als viele Ostberliner nach der Wende in den Westen zogen und die Mieten sanken. Wohnungsleerstand! Da kamen die Spätaussiedler den Wohnbaugesellschaften gerade recht. Drei Euro kostet der Quadratmeter, und längst stehen die Blöcke am Rande der Stadt nicht mehr grau, sondern rosa da, Bürgersteige und Spielplätze sind saniert. Nur die Gesichter zeugen von einem Problembezirk: junge Frauen, mit 16 Jahren schon den Kinderwagen schiebend, Dauerwelle tragend und grell geschminkt; Männer, die morgens aus der Kneipe treten.
Dennoch, Marzahn ist keine französische Banlieue, hier haben die Straßen keine Schlaglöcher, hier hängen schwarz-rot-goldene Fahnen aus den Fenstern, Reste der Weltmeisterschaft. Hier wird von der Stadtverwaltung und den Wohnbaugesellschaften der soziale Missstand, die Arbeitslosenquote von rund 20 Prozent, mit Farbeimern und Teer bekämpft. Und in den Einkaufszentren, die in regelmäßigen Abständen in die riesige Siedlung mit ihren Zehngeschossern gesetzt wurden, gibt es nicht nur die üblichen Fast-Food-Restaurants, Bekleidungsgeschäfte und Mobilfunkketten, sondern auch Retro, einen russischen Supermarkt, der tiefgefrorene Pelmeni, russische Plüschbären und ein üppiges Sortiment an Wodka verkauft. Wer hier eintritt und eine der Mitarbeiterinnen, die behände Ware auspacken, auf Deutsch anspricht, erntet ein verschämtes Kopfschütteln und eine russische Antwort. Marzahn heute, das ist so russisch, wie es zu DDR-Zeiten niemals war.
Erst die russlanddeutsche Jugendgewalt, die plötzlich auf allen TV-Kanälen zu besichtigen war, machte die Probleme der Zuwanderung aus dem Osten deutlich. Drei Millionen Menschen sind seit der Wende aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Nun, nach Verschärfung der Einreisebedingungen, ist der Zustrom fast versiegt. Die russlanddeutsche Zuwanderung ist abgeschlossen. Zeit für eine Bilanz. Wie integriert sind sie heute – die Auswanderer, die mit wenigen Koffern in Zügen und Flugzeugen in ein Land kamen, das sie nicht kannten, das ihnen aber Zuflucht gewährte, weil ihre Vorfahren einst Deutsche gewesen waren? Klicken sie auf das Bild, um die Infografik zu sehen: Menge der nach Deutschland eingewanderten Russlanddeutschen BILD
Von Rückkehr in eine – wie auch immer ferne – Heimat konnte kaum die Rede sein. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges hatten die Russlanddeutschen noch lebendige Beziehungen ins Reich gehabt. Ihre Pastoren wurden teilweise in Deutschland ausgebildet, sie selbst pflegten an der Wolga und anderswo ein eigenes geistiges Leben. Es waren schließlich selbstbewusste, zudem fromme Pioniere, Bauern, Handwerker, die die Zaren geholt hatten, keine Knechte. Eine kurze Blüte ihrer Kultur gewährte ihnen noch einmal die Russische Revolution. In den ersten Jahren förderten die Bolschewiki die nationalen Minderheiten, soweit sie politisch auf Kurs waren: Die Deutschen bekamen sogar ihre Wolgarepublik samt Hauptstadt, Zeitschriften, Theater.
Kommentare
Dieser Artikel
erklaert voll und ganz warum es ein Fehler war die sogenannten Russland Deutschen-von denen die meisten ueberhaupt keine Wurzel mehr in Deutschland haben ins Land zu holen.
Schwarzmalerei
Wieso dass die Russlanddeutsche sich integrieren müssen? Diese Menschen haben ihre Kultur mitgebracht und haben das Recht diese auszuleben. Der große Fehler der Integrationspolitik besteht eben darin die Spätaussiedler einzudeutschen.
Die Deutschen an der Wolga dürften (bis Sowjets kamen) ihre Kultur frei ausleben. Jetzt haben die 250 Tausend Russen in Marzahn die gleichen Privilegien. Die Ursache der hohen Kriminalitätsraten liegt genau in der Unterdrückung der russischen Wurzeln dieser Menschen.
Adam Soboczynski - "verliebt in BRD"
Adam Soboczynski Autor des Artikels stammt selbst aus einer polnischer Auswandererfamilie und scheint gut integriert zu sein. Wieso erwartet er das gleiche von den Russen in Marzahn?
Ich glaube, dass die Zukunft der russisch sprechenden Menschen liegt in ihrer Händen. Es sind keine vorbestrafte Banditen und nicht nur schwererziehbare Teenies, sondern auch Ingeneure, Musiker, Friseuren, Fotografen, Köche, Buchhalter, Tanzlehrer, Künstler und eben Bauer.
Sie müssen einfach den Integrationsmythos aufgeben und ihre eigene Geschäfte auf russisch gründen. Nachfrage ist wohl vorhanden.
IRRGARTEN MIT EINGANG ;ABER OHNE AUSGANG
Schönen guten Tag kb!
Ich weiß nicht, obs wirklich allen bekannt ist: das Thema um unsere eingedeutschten Polen und Russen genießt jeden nur erdenklichen Schutz, das Thema ist vollkommen erhaben über jede Form von Kritik und darüber hinaus werden selbst bestehende Gesetzesvorschriften ( kb lies mal drüber weg :) :)Sie kennen es nämlich schon :) ) des SGB II- Paketes auf diese Gruppen nicht angewendet.
Übrigens liege ich deshalb schwer mit einem jungen Chefredakteur eines sehr angesehenen Magazins im Zoff, der der heimischen Oberschicht entstammt,über diese Problematiken schiefer "Integrationen" jedoch nur kümmerlich informierst ist; aber rein aus seinem hohen sozialen Status heraus meint, den anderen vorschreiben zu können, wie gefälligst die WIrklichkeit entlang seiner Wahrnehmung aufzunehmen ist.
Gehört nicht híerher? Oh doch, und wie : So selbstherrlich nämlich verfährt die gesamte " Polit- Elite" mit bei vielen empfindlichen Themen mit dem Normalbürger.
Ein paar in sich paradoxe Anwendungen geltenden Rechts gegenüber Einwanderern schlechthin:
Da stoßen alle lauthals ins gleiche Horn, wenns darum geht, den Türken hier vorzuwerfen, sie würden sich nicht integrieren wollen. Ja man verlangt ihnen sogar ab, sie sollen diese Leistungen gefälligst sofort und auf der Stelle bringen und beweisen.
Gleichzeitg werden zur Legitimation der oft angeblichen deutschen Abkunft etlicher Russen und POlen( der Schub setzte zwischen 1987 und 88 ein, ist schon von allen vergessen), uns stets vor Augen gehalten ( Rita Süssmuth u.a,), diese Menschen hätten ja immerhin "... 200 Jahre dort in Kasachstan oder sonstwo in den Weiten des Landes das Deutschtum redlich aufrecht erhalten - und gepflegt.
Wie bitte?
Stopp mal stopp! Man stelle sich anschaulich vor, wie dies wohl den eingeborenen Russen schwer an den Nerv gegangen sein muss, dass deren Mitbürger und Nachbarn sich 200 Jahre lang stockstur und borniert nicht integrieren lassen WOLLTEN. Und wir verlangen den Türken den Sofortismus ab... Ich bin kein Freund des moslimischen Mackertums. Weißgott nicht. Aber so gehts ja nun nicht´.
Im Frühsommer dieses Jahres wurde einem Schwarzen aus Kenia, Fall vorm BGH, der deutsche Pass entzogen, weil, so die Begründung, er seinerzeit bei der Angabe eines Arbeitsplatzes "..die Unwahrheit" gesagt hätte
Überhaupt, wenn ich die kritschen Artikel der letzten Jahre und selbst der letzten MOnate Revue passieren lasse,
dann entdecke ich keinerlei kritische Hemmungen fast aller Redaktionen, wenn´s darum geht, dass Schwarzafrikaner nach Europa drängen. Hieralso ist Kritik erlaubt, es sind ja scheinbar " nur Schwarze ". Meist bedauernswerte arme Schlucker!
Ich suche´vergeblich nach ebenso kritscher Haltung der vermeintlich " freien Presse", sobald es um Weiße aus Russland oder Osteuropa geht.
Denn eines wissen viele Beamte aus den Botschaften und den KOnsulaten vor Ort: Die Angaben zu Vita und der Herkunft stimmen oft einfach nicht.
Der kleine aber feine Unterschied ist nur der: Einmal ist das Lügen staatlich erlaubt ( siehe u.a. SPIEGEL Nr. 59, 1989) und wird staatlich geschützt, das andere Mal werden Lügen´, eben bei Schwarzen, individuell angelastet mit enstprechenden Konsequenzen.
Das mutet doch schon nach rassistischer Einwanderungspolitik an.
Ferner. Während jedem Deutschen, der während seiner Lebensarbeit die eine oder andere Renteneinzahlungslücke hat, die dann auch - logisch - als Lücke gilt, die die Rente mindert; ging vor zwei Wochen in einer winzig kleinen Meldung aus der " WeltKompakt " hervor, dass laut Beschluß eines Gerichtes in Darmstadt es als "...nicht rechtens anzusehen ist, dem Antragsteller..."( in diesem Fall ein Klagender " Aussiedler aus Kasachstan ") die Lücken als Rentenmindernd anzusehen. Das heißt: Wehe ein Deutscher weist Lücken auf in seinen Beitragszahlungen.
So ist Recht eben wieder mal nicht = Recht.
Bei jenen, die immerhin ja nie in diesen Topf einzahlten, sondern ein paar wertlose Rubel in die Kassen der ehemlaligen UDSSR entrichteten, sind aber Lücken nicht als Lücken anzusehen, na wunderbar .
Was ist ein Rechtssystem wert, dass sich solcherlei unverfrorene Unterschiedsbehandlugen anmaßt.
Kann man alles schön nachlesen.
Ich lasse hier außer acht, dass mir persönlich 5 Einheimische bekannt sind, die amtlicherseits gezwungen worden sind, ihre als Altervorsorge gedachten Lebensversicherungen unter Wert zu verkaufen. Und dass vier von ihnen amtlich angewiesen worden sind, ihre als zu teuer befundenen WOhnungen "...innerhalb von sechs Monaten " aufzugeben.
Und warum soll man sich einfügen, wenn man obendrein noch instinktiv weiß,dass man dies nicht muss, dass man sich unter einer dicken Schutzglocke bestend aus Lobbyismus, Politikund Recht bewegen kann .
Nette Grüße, Jürgen E. Gesang