Am Fahrradständer an der Turnhalle findet der Wettkampf meist montags statt – nach einfachen Regeln: Das Pausenläuten ist der Start. Dann treffen sich dort die Schüler mit den Bürstenschnitten und auch die mit den Gelfrisuren, rauchen die Zigaretten bis zum Filter herunter und versuchen, mit Erlebnissen vom Wochenende zu punkten. Frederiks Gartenparty. Oder der Sprung von der Brücke in den Kanal, mit Arschbombe. Seltsam wirkt es, wenn dann der einzige Pfadfinder in der Runde erzählt, weil zwischen "Party" und "Arschbombe" das Wort "Pfadfinder" so verloren klingt wie Pfeifen im Wald.
Es sind Schüler der Hauptschule Westerfilde, und Westerfilde im Norden Dortmunds ist zwar kein sozialer Brennpunkt, aber auch nicht gerade der Stadtteil, in dem man Pfadfinder vermuten würde. Aus Mehrfamilienhäusern fällt der Blick auf Mehrfamilienhäuser, dazwischen liegen leere Straßen. Ein Ort, an dem Erlebnisse nicht selten zweidimensional sind und mit "Highscore" enden und die Welt auf Plateausohlen steht. Wo "nach draußen gehen" ein Synonym für "Trinkhalle" sein kann und im Schaukasten an der Endhaltestelle der U-Bahn ein Zeitungsausschnitt hängt, demzufolge "ein Ausflug ins Grüne viele positive Effekte auf den Körper hat". So ist Westerfilde.
Sebastian Ebendorff ist hier aufgewachsen, ein 15-Jähriger mit federndem Gang, bei dem Größe und Gewicht schon immer ein wenig miteinander im Clinch lagen. Pfadfinder ist er, seit Mitglieder des Stammes Vagabunden des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) zur Werbung in seine ehemalige Grundschule kamen und er nachher dachte: "Krass, Feuermachen und Zelten, das ist genau was für mich!"
Acht Jahre ist das her. Seitdem tauscht er regelmäßig das Polo-Shirt gegen die "Kluft" genannte Kombination aus blauem Hemd und Halstuch, die er anfangs oft unter der Jacke versteckt hielt. Weil es ein bisschen peinlich war, Pfadfinder zu sein. An die Kluft und selbst an den Spitznamen "Klößchen" hat er sich inzwischen gewöhnt, genau wie an die Kommentare der Mitschüler: "Pfadfinder knutschen Bäume" oder: "Iiiih, eklig, anderes Thema!" Was wissen die schon?
Und wer weiß überhaupt was?
Eine eigentümliche Welt scheint die der Pfadfinder für Uneingeweihte zu sein, mutmaßlich bevölkert von pummeligen Außenseitern oder kauzigen Jugend-forscht-Typen, die sekundenschnell ein Feuer entzünden und aus zwei Kaffeetassen ein Nachtsichtgerät basteln können. Ein Geheimbund mit codierter Sprache, in dem Ortsgruppen "Stämme" heißen und Kleingruppen "Sippen". Ein altmodischer Jugendkosmos aus ewigem Lagerfeuer, Volksliedern und kalten Nudeln.
Der "Scout" war ursprünglich ein Nebenprodukt des Krieges
Etwa 300 Millionen Menschen sollen in ihrem Leben dieser Organisation angehört haben. Auch John F. Kennedy, Hillary Clinton, Harald Schmidt. Und Neil Armstrong trug bei seinem Mondgang, das wird von den Mitgliedern der Bewegung gern erzählt, unter seinem Anzug das Abzeichen des Weltpfadfinderverbandes WOSM.
Eine globale Marke ist das Unternehmen Pfadfinder geworden, nur noch ohne Filialen in Andorra, China, Kuba, Laos, Myanmar und Nordkorea. 38 Millionen Mitglieder auf fünf Kontinenten, rund 220000 in Deutschland, verteilt auf über 100 große christliche und interkonfessionelle Verbände, kleine Organisationen und "VW-Bus-Bünde" – das sind die, die zum Transport ihrer Mitglieder nicht mehr als einen Bulli benötigen.
Robert Stephenson Smyth Baden-Powell, der Gründer der Bewegung, war zunächst Soldat. Schon während seiner Dienstzeit in Indien war er für die Ausbildung junger Rekruten verantwortlich. Auch bei der Verteidigung der südafrikanischen Stadt Mafeking Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Buren praktizierte er Jugendarbeit eher zwischen Stacheldrahtverhauen und Schützengräben. Drei sechsköpfige Gruppen waren es dort, die Nachrichten überbringen, Verletzte bergen, Munition schleppen mussten.
So entstand die Idee der Pfadfinderei – als Nebenprodukt des Krieges. Zurück in England, stellte Baden-Powell fest, dass Jugendliche ihre Freizeit hier längst mit seinem Militärhandbuch Aids to Scouting verbrachten.
Kommentare
Fähnlein Unverzagt
Mit großem Vergnügen las ich den Artikel über die Pfadfinder. Seit einem Dreivierteljahr gehört mein Sohn dazu (bis auf das Alter-er ist schon 14 Jahre- passt er in das geschilderte Profil des Musterpfadfinders)und seit dieser Zeit verfolge ich mit gemischten Gefühlen seine Aktivitäten. Mein Mann und ich wuchsen in der DDR auf und wir verbinden mit Uniformen, Parolen und organisiertem Tagesablauf eher Unfreiheit statt Abenteuer. Trotz intensiver Gespräche ließ sich unser Sohn nicht davon abbringen, den Pfadfindern beizutreten und versucht, sein höheres Lebensalter durch intensive Bemühungen um Beförderungen in der Hierachie der Gruppe auszugleichen.
Am letzten Donnerstag kam er aus einem dreiwöchigen Sommerlager in der Fränkischen Schweiz unheimlich verdreckt, aber glücklich und ausgeglichen, wieder. Als eines der tollsten Erlebnisse schilderte er einen Tag, an dem er für die Essenszubereitung der Gruppe, die aus 25 Personen bestand, verantwortlich war. Er rechnete aus, wieviel Milch zur Zubereitung des Kartoffelbreies nötig ist, briet 25 Fleischklopse gleichzeitig und allen hat es auch noch geschmeckt. Was für eine Aufgabe für mein Kind, der in unserer Küche nur die Bedienung des Kühlschrankes kennt. Ich war sprachlos. Es gibt wirklich noch echte Abenteuer für unsere Kids zu bestehen!
Schöner Artikel!
Mit viel Freude habe ich den Artikel über die Pfadis gelesen (obwohl ich eigentlich dringend ein Papier vorbereiten muss *aaarggh*). Ich passe absolut nicht in das Profil: Ich war Schulsprecherin, in vier Schulmannschaften, Klassenbeste und hatte nie Probleme mit dem Selbstbewusstsein. Und ein Mädchen! Mir ist von damals auch kaum jemand bekannt, auf den das Profil trifft. So ist das halt mit dem statistischen Durchschnitt... Die Pfadfinderzeiten waren super, ich profitiere noch Heute davon: Man lernt Disziplin, sich der Gruppe unterzuordnen zum Wohl aller, Verantwortung zu übernehmen, auch immer wieder an seine Grenzen zu gehen. Das prägt fürs Leben. Ich habe meine internationalen Erfahrungen durch die Pfandfinder schon vor dem Abitur durch Jugendarbeit bei der UNO ergänzt. Ich habe ein internationales Studium absolviert, in mehreren Ländern gelebt, und ich bin sicher, dass ein großer Teil dieser Weltoffenheit und auch des Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten aus der Zeit beim PBN stammen. Mein Ältester ist erst fünf Jahre alt, aber schon auf Warteliste für die hiesige Gruppe...
Pfadfinder
Unterordnung habe ich in meine Pfadfinderzeit nicht gelernt, eher Individualismus, Achtung vor dem anderen und das ganze in einer Waage zu halten. Man muss dazu sagen, dass "Straffheit" und Führungsart von Verband zu Verband, oft sogar zwischen den Stämmen merklich unterschiedlich sind. Der protestantische VCP ist bis heute in weiten Teilen von der 68er-Bewegung geprägt (Leitungsprinzipien, basisdemokratische Organisation) und dementsprechend offen. Ich persönlich würde die Zeit dort als überaus wichtig für meine Persönlichkeitsentfaltung einstufen, allerdings weniger in karriererelevante key skill-Begrifflichkeiten.
Zwei Dinge zum Artikel möchte ich ergänzen. Meines Erachtens ist der "Aufbau Ost" im VCP durchaus weiter fortgeschritten. Insbesondere der Landesverband Berlin-Brandenburg profitierte da freilich von engagierten Leuten, die aus bspw. Niedersachsen kamen. Immerhin ist es gelungen, das Pfadfinderzentrum in Großzerlang aufzubauen, ein Bundeszeltplatz an der Grenze Brandenburgs zu Mecklenburg-Vorpommern, dass gut frequentiert wird und in der Gegend sicher auch ein ökonomischer Faktor ist.
Zum anderen sollte erwähnt werden, dass es auch "schwarze Schafe" unter den Verbänden gibt. Gerade die bündischen Gruppen sind oft nicht in größerem Rahmen organisiert und kochen ihre eigenen Süppchen, was Mitspracherecht/ Unterordnung angeht. Das kann tatsächlich schon mal zu militärischem Drill tendieren. Interessierte sollten daher darauf achten, dass die Gruppe Teil eines Verbandes ist, der im RdP (Ring deutsche Pfadfinderverbände) organisiert ist. Das sind der protestantische VCP (siehe Video im Artikel), die katholische DPSG (bzw. die PSG nur für Mädchen) und der konfessionslose BdP. Im VCP, den ich aus eigener Erfahrung kenne, ist diese Religiösität jedoch nie ein aufdringlicher Faktor gewesen, der Verband steht allen offen.
Ansonsten: Ein schöner Artikel, vielen Dank dafür.
in ordnung
Hallo!
Auch ich habe den Artikel "Fähnlein unverzagt" gelesen und muss zugeben, dass ich mich den anderen Meinungen nicht anschliessen kann. Ich selbst bin seit 11 Jahren bei der DPSG (Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg), 19 Jahre und Gymnasiast. Viele Dinge stimmen sicherlich, wie zum Beispiel, dass es eine gute Alternative ist zu der modernen "High-Tech-Welt", in der man nur noch vor dem Bildschirm hängt.Allerdings hätte man grade die Problematik mit der Uniform und den daraus entstehenden rechtsextremistischen Vourteilen besser erötern können. Ein weiterer Gedanke, der aktuellen Satzung der DPSG, sowie der Weltpfadfinderorganisation ist schliesslich die Gleichheit und Kontaktknüpfung unterschiedlicher Länder und Rassen. Desweiteren hilft die DPSG auch bei der Entwicklung in Ländern wie Rwanda weiter, wie die Jahresaktion 2005 "Kira Rwanda- Liebe das Leben" gezeigt hat. Übrigens: Die DPSG ist keine Untergruppierung sondern die katholische Variante der BdP.
www.luchse.eu
Sehr schöner Beitrag.
Wer gerne ein paar aktuelle Fahrtenberichte lesen möchte, schau mal auf unser Internetseite vorbei. Wir freuen uns...www.luchse.eu
Horridoh