Nun steht man also vor dieser Eisenklappe, das war nicht vorgesehen. Die Eisenklappe öffnet sich und schließt sich, sie gehört zu einer eisernen Tür. Hinter ihr liegt das zentrale Arresthaus, und dort sitzen fünf verhaftete Journalisten – die Herausgeber malischer Zeitungen. Das war nicht vorgesehen, nicht in dieser Geschichte, die von der Demokratie in Mali handeln soll, einer der wenigen Demokratien in Afrika.
Jedes Mal, wenn sich die Eisenklappe öffnet, drängt eine Schar Frauen gegen die Luke. Sie versuchen ihre Schüsseln hindurchzuschieben, Schüsseln aus Plastik und Blech, sorgsam abgedeckt mit Tüchern. Das Essen für die Angehörigen da drinnen; dort scheint es nichts zu geben, Mali ist ein armes Land. Welch ein Kontrast zwischen der Banalität dieser eisernen Gefängnisklappe und dem hohen pathetischen Ton, den Malis Zeitungen anschlugen, bevor sie in wütendem Protest verstummten. Es sind dünne Blättchen, französischsprachig, für die Elite der Gebildeten in einem Land, in dem nur jeder Vierte lesen kann. Sämtlich sind sie nun in Streik getreten, eine Phalanx empörter Schlagzeilen zurücklassend gegen den »Dolchstoß« in den Rücken der Freiheit.
Was ist geschehen?
Pathos und Bitterkeit der Zeitungen haben einen Adressaten, der Vorwurf des Verrats richtet sich gegen jenen Mann, der doch als Held der malischen Demokratie gilt: Staatspräsident Amadou Toumani Touré, gewöhnlich ATT genannt. Weil sie ihn beleidigt haben sollen, sitzen die fünf Journalisten nun ein.
Bamako-Blues. Vor 16 Jahren war ATT der Geburtshelfer des neuen Mali: der gute Putschist, der Offizier an der Spitze der Präsidentengarde, der auf die Seite des demokratischen Aufstands wechselte, das Land erlöste vom Diktator – und es einer zivilen Regierung überließ. Ganz Afrika staunte.
Die Malier nennen ihn »den Mann des 26. März«. An diesem Tag ließ die alte Regierung eine Demonstration zusammenschießen, Schüler verbluteten auf der Straße, und ATT riss das Ruder herum. Das neue Mali, so hat es also begonnen. ATT, der Held in Uniform, zog sich aus der Politik zurück, kam erst zwei Amtsperioden später wieder, als gewählter Präsident. Die Zeitungen, auch sie sind Zweige vom selben Baum, Sprösslinge des Neubeginns, Kinder der Demokratie. Und nun sitzen Journalisten hinter der eisernen Klappe.
Der Anlass wirkt bizarr und heillos unnötig. Ein Lehrer hat seinen Gymnasiasten als Aufsatzthema eine selbst verfasste Parabel gegeben. Darin wird eine junge Gelegenheitsprostituierte von einem Staatspräsidenten geschwängert. Sie macht einen Skandal, bringt ihn schließlich dazu, sie zu heiraten. Zweifellos brach die Story einige Tabus – aber sie nannte keinen Namen, kein Land. Ohne Not sah die Justiz den malischen Präsidenten beleidigt, willkürlich belangte sie Journalisten, die über den Fall berichteten.
Kommentare
Mali
Danke für diesen interessanten Einblick in eine fremde Welt!
Dezentralisierung
"Dezentralisierung, sagt er, sei überhaupt die einzige Chance für Mali, sich zu entwickeln. »Auf nationaler Ebene ist der Staat schlicht verdorben.»"
In diesem Satz könnte statt Mali genausogut Deutschland stehen.
Mali - bei uns in Bayern
Ich bin gerührt und fasziniert von der Schilderung des Lebens und der Demokratieprobleme in Mali. Was können wir also alles lernen aus so einem "Entwicklungsland"? Eine ganze Menge.
Nehme ich nur einmal zwei Passagen aus dem Artikel von Charlotte Wiedemann heraus und versuche eine Übersetzung auf Verhältnisse in einem sogenannten Demokratie-Musterland wie Bayern, dann könnte das etwas so ausehen:
Mali(Original)
Die meisten der 14 Millionen Malier fühlen sich in dieser Demokratie allerdings wie bloße Statisten. Viele tragen T-Shirts mit dem Slogan einer Partei oder nähen sich Gewänder, die in ihrem Muster eine politische Botschaft zeigen; die Stoffe werden zu bestimmten Anlässen billig auf den Markt geworfen. Spricht man jemanden an auf eine solche Kleidung, dann schaut er verwundert an sich herunter: Oh, was steht denn da?!
Die Wahlen sind formal korrekt; die Japaner haben dafür viel Geld gegeben und die Deutschen ihre Expertise. Korrekt ausgefüllte Wahlzettel fallen in korrekt versiegelte Urnen aus korrekt transparentem Plastik. Bloß das Bewusstsein der Wähler, das ist nicht so korrekt. Manche verkaufen ihre Stimme, sie verkaufen sie billig, ohne Gefühl für ihren Wert. Vor den Wahllokalen bauen Kandidaten einen Tisch mit Essen auf, dazu verteilen sie zerknitterte blassrote Scheine, nicht einmal zwei Euro wert, und dafür gibt ihnen der Wähler seine Stimme. Für einen Moment war er kein Statist, er hat partizipiert, auf seine Art. Das ist der Blues der Demokratie, der Bamako-Blues.
Bayern (Übersetzung)
Die meisten der 12 Millionen Bayern fühlen sich in dieser Demokratie allerdings wie bloße Statisten. Viele tragen T-Shirts mit dem Slogan der Partei, die seit einem halben Jahrhundert die Regierung stellt oder tragen Lederhosen und versammeln sich in großen Hallen oder Bierzelten, um das Diffamieren der Träger anderer Meinungen konsumieren zu müssen oder ganz offen politische und gesellschaftliche Halbwahrheiten in demagogischer Form billig auf den (Partei-)Markt hingeworfen zu erhalten. Spricht man jemanden auf eine solche Kleidung bzw. ein solches Verhalten an, dann schaut er verwundert an sich herunter: Oh, was steht denn da – bzw. was tun wir denn da?
(Anmerkung: Ein Regensburger (Noch-)Landtagsabgeordneter musste einmal kleinlaut eingestehen, aus Versehen bei einer Veranstaltung der Republikaner mitgeklatscht zu haben. Man könne da in so einem Moment ja gar nicht anders…!)
Die Wahlen sind formal korrekt; die großen Sponsorfirmen haben dafür viel Geld gegeben und die Prüforgane und Verbände wie Oberster Rechnungshof oder Bund der Steuerzahler ihre Expertisen und loyalen Meinungsbekundungen. Korrekt ausgefüllte Wahlzettel fallen in korrekt versiegelte Urnen aus korrekt transparentem Plastik. Bloß das Bewusstsein der Wähler, das ist nicht so korrekt. Manche verkaufen ihre Stimme, sie verkaufen sie billig, ohne Gefühl für ihren Wert. Vor den Wahllokalen bauen Kandidaten einen Tisch mit Essen auf, dazu verteilen sie Kugelschreiber oder Luftballone, nicht einmal einen Euro wert, und dafür gibt ihnen der Wähler seine Stimme. Für einen Moment war er kein Statist, er hat partizipiert, auf seine Art. Das ist der Blues der Demokratie, der Bayern-Einheitspartei-Blues.
Bemerken wir irgendeinen Unterschied? Ich meine schon: Nämlich den des ehrlichen Bemühens um die Weiterentwicklung der Demokratie. Die besten Beispiele für intensive Gedanken und Ideen zur praktischen Demokratie-Entwicklung finden wir mittlerweile in diesen Ländern, zum Beipiel das Modell des Bürgerhaushaltes in Porto Allegre oder die anderen aktivierenden Bürgerbeteilungsmethoden aus der Alphabetisierungskapagne in Südamerika.
Helfen wir also! Aber bitte nicht mehr mit der oft so belehrenden Haltung unserer "Entwicklungshilfe", sondern in gegenseitigem Respekt und mit dem Willen, in partnerschaftlichem Verhalten voneinander zu lernen. Ich denke, es gibt auch in unserer Gesellschaft genügend zu tun. Demokratieentwicklung ist eine sehr lohnende Aufgabe der Globalisierung. Holen wir uns einige Malier als Helfer!
HerbertN