Es gibt Fragen, die schmerzen. Maja Pfister wohnt im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, einer Gegend, die bevölkert ist von besserverdienenden jungen Leuten. Maja Pfister ist eine hübsche Frau mit Mann und Tochter, und sie sagt: Im Grunde seien die Leute am Prenzlauer Berg ähnlich wie sie selbst, sie arbeiten, sie gründen eine Familie, sie haben Spaß am Leben. Einen Unterschied allerdings gibt es. Maja Pfister ist die Vorsitzende des Verbandes »Internet« in der FDP, sie engagiert sich für diese Partei und wählt sie natürlich auch. Aber im Kiez tut das kaum einer außer ihr: Keine drei Prozent bekam die FDP im Wahlkreis bei der letzten Bundestagswahl. Mehr als vierzig Prozent holten die Grünen.
Sie verstehe das nicht, sagt Pfister, »ausgerechnet die Grünen, was die oft für einen Unsinn in ihre Programme schreiben. Wir verkörpern doch viel mehr dieses Lebensgefühl.« Sie zündet sich eine Zigarette an und fügt hinzu: »Eigentlich.« Und dann stellt sie die Frage: Was macht die FDP falsch, dass sie die Menschen, die sie ohne Probleme erreichen müsste, eben nicht erreicht?
Liegt es am Denken? Michael Kauch kam 2003 als Nachrücker für Jürgen Möllemann in den Bundestag. Er ist heute einer der wichtigen Leute in der Bundestagsfraktion mit gleich mehreren Aufgabenfeldern: Umweltpolitischer Sprecher, Experte für Transplantationsmedizin und darüber hinaus für alles Soziale. Während eines langen Frühstücks sagt er, was ihm manchmal fehle in seiner Partei, sei der intellektuelle Hintergrund, die Bereitschaft, Themenfelder wirklich auch mal tiefer zu durchdenken, »daran müssen wir in Zukunft verstärkt arbeiten«. Die Intellektuellen und die FDP: Was ist die Ursache für diese Distanz?
Konrad Schily ist ein Intellektueller. Mediziner von Beruf, später Gründungspräsident der privaten Universität in Witten/Herdecke. Er ist erst seit ein paar Jahren FDP-Mitglied, seit 2005 sitzt er im Bundestag, der 70-Jährige könnte so etwas wie ein Star sein. Fragt man ihn, ob er Vordenker seiner Partei benennen könne, kluge Berater, Leute, die im Hintergrund die Gehirne der FDP-Größen füttern – zündet er sich erst mal eine Zigarette an und sagt: Die Antwort sei sehr einfach, es gebe niemanden. Und fügt hinzu: Intellektueller Überbau? Nichts sei da, gar nichts.
Der Prenzlauer Berg ist grün statt gelb, die Intellektuellen sind fern, nicht nah. Warum? All die Fragen richten sich natürlich in erster Linie an Guido Westerwelle, als Partei- und Fraktionsvorsitzender der alleinige Herrscher unter den Liberalen. In anderen Parteien verteilen sich sowohl die Außenwahrnehmung als auch die Macht auf mehrere Figuren, auch bei den Oppositionsparteien. Bei den Linken sind es Gysi und Lafontaine, dazu Bisky als Parteichef; bei den Grünen sind es so viele, da kommt man aus dem Aufzählen gar nicht mehr raus. Bei der FDP gibt es nur Westerwelle. Er hat seine Partei ganz auf sich zugeschnitten, er hält den Laden im Griff, es gibt in der FDP kaum öffentliche Auseinandersetzungen. Man könnte auch sagen: eine wirklich geschlossene Partei.
Ist er schuld an dieser merkwürdigen kulturellen Hermetik der FDP? Westerwelle ist zweifellos ein hochintelligenter Mann, der mit Macht umgehen kann. Er ist ein vorzüglicher Rhetoriker. Aber er hat ein massives Imageproblem. Man glaubt ihm nicht recht, viele Menschen finden ihn unsympathisch. Persönlich deprimierende Umfragen begleiten ihn seit Jahren. Mal ist es eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Dimap aus dem Jahr 2005, der zufolge mehr als die Hälfte der FDP-Anhänger es lieber hätten, an der Spitze wäre ein anderer Vorsitzender. Mal eine Handelsblatt- Umfrage unter 800 Topmanagern aus dem Jahr 2007: Westerwelle landet mit Kurt Beck zusammen auf dem letzten Platz. Und in Politbarometern liegt bei der Frage nach der Beliebtheit meist nur Oskar Lafontaine noch ein Stückchen hinter ihm. Was haben die Leute nur gegen ihn?
Fritz Goergen, früher mal Bundesgeschäftsführer der FDP und langjähriger Chef der Naumann-Stiftung sowie Wahlkampfmanager von Möllemann und Westerwelle, hat im Jahr 2004 in einem bösen Buch (Skandal FDP – Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee) mit seiner alten Partei abgerechnet. Darin schreibt Goergen: »Westerwelle ist ganz Kopfmensch. In sein Herz darf keiner hinein. In der Politik und in der Öffentlichkeit haben Gefühle für ihn nichts zu suchen. Im Stress schließt er sich noch mehr ab. Trifft ihn etwas über alle Maßen, geht er auf Tauchstation. Nicht einmal seine engsten Mitarbeiter können ihn dann erreichen.«
Kommentare
Eine Frage
an die junge berliner F.D.P.-Politikerin, die sich über die geringe Popularität ihrer Partei wundert: Würden Sie mit einem Schild auf der Stirn herumlaufen, auf dem "Egoistisches A....loch" steht? (Sorry, aber der Sachverhalt erfordert klare Worte.) Sicher nicht. Nun, für viele Generationsgenossen vermittelt der F.D.P.-Button am Revers dummerweise genau diese Aussage - unabhängig von der wahren Persönlichkeit des Trägers. (Der Grünen-Sticker dagegen kann mit "Altruistisches A....loch" übersetzt werden - das ist vielen Leuten sympathischer; unabhänging davon, ob der behauptete Altruismus eine Lüge ist oder nicht.) Wenn ich mich zurückerinnere an die wenigen Jungliberalen, die ich kenne oder kannte: Die meisten vermittelten einem das Gefühl, das Leben sei eine fortwährende Firmenrestrukturierung, und sie selber seien die McKinsey-Spezialisten, die genau wüßten, wie das alles abzulaufen habe - und zwar OHNE EINEM BLASSEN SCHIMMER von der Praxis zu haben. Würden Sie so jemandem Ihre Stimme geben?
Wackelpudding
Gratulation zu dem gelungen Wahlkampf-Artikel für die FDP - besonders gefällt mir die getürkte (darf man das noch sagen?) Aufmachung als seriöser Bericht.
Auf die Jünger des Glauben an den neoliberalen Manchesterkapitalismus, die schon in der Schule mit dem Handelsblatt unterm Arm herumliefen und niemals Süssigkeiten bei hatten von denen sie Ihren Mitschülern evt. hätten etwas abgeben können und die sich in der Partei namens FDP kondensieren kommen wohl harte Zeiten zu. Das ist gut so, denn das zeigt das die Menschen in Deutschland langsam begreifen was vor sich geht. Das sie um den Lohn ihrer Arbeit gebracht und von den großen Parteien täglich aufs neue belogen und betrogen werden. Guido Westerwelle ist einer der größten Populisten im alltäglichen "Affentheater-Berlin" spielt er jedoch nur eine Nebenrolle. Die Menschen haben längst begriffen was "unbegrenzte Freiheit" für Ältere, Arbeitslose und an den Rand der Gesellschaft gedrängte Mitbürger bedeutet: offener Strafvollzug, bei Hunger und Kälte (ALG2 und Hungerrenten).
Ja die FDP steht fürwahr für die unbegrenzte Freiheit:
Man hat die Freiheit sich die Brücke auszusuchen unter der man als ALG2-Empfänger schlafen möchte. Und fragt man die FDP was man tuen müsse wenn immer mehr Menschen unter den Brücken schlafen, wird sie sicher antworten: mehr Brücken bauen.
Wer die FDP wählt um die sozialen Zustände in unserer Gesellschaft zu verbessern versucht sozusagen den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben. Wie schon richtig bemerkt fehlt es der FDP an allem. Mich wundert das sie es überhaupt noch in den Bundestag schafft und das beruhigt mich allerdings in einer anderen Weise: Es gibt trotz herunterfahren der medizinischen Versorgung der Bevölkerung anscheindend immer noch viele Ärzte in diesem Land.
Zum Thema politischer Verrat an der SPD:
Wenn es bei uns Wackelpudding gibt, sag ich zu meiner Tochter immer:
Heute gibt es eine liberale Nachspeise. Dann lacht sie jedesmal laut auf und sagt: dann bitte mit Zitronengeschmack - und gelb muss er sein!
Wen wunderts?
Der allgemeinen öffentlichen Perzeption nach ist die FDP nichts weiter als ein geschickt getarnter Lobbyverein für den Bund deutscher Unternehmer. Und so lange die Weisheit "Der Markt wird's schon richten" die erste Maxime der FDP bleibt ist dies auch nicht von der Hand zu weisen. Denn dem Markt ist nicht an so komischen Sachen wie Menschenwürde, Umweltschutz oder Gemeinwohl gelegen, sondern an dem größtmöglichen Gewinn bei geringstmöglichem Aufwand. Insofern fehlt der FDP der Wille, die Freiheit des Einzelnen mit der Freiheit aller Menschen zu verbinden - und damit endlich einmal über den Tellerrand des Individualismus hinauszublicken und den Rest der Welt wahrzunehmen.Eine Partei, die allen Ernstes heutzutage noch Schwierigkeiten hat mit dem so brandneuen Konzept des Umweltschutzes umzugehen, hat das glücklicherweise miserable öffentliche Bild ihrer selbst mehr als verdient!
DDR ?
Vielleicht ist Dirk Niebel ganz einfach nur näher dran am Geschehen als wie verständlicherweise mancher andere. Daß gewisse Vorgehensweisen staatlicher Art, die offensichtlich von hoher Stelle aus mindestens geduldet werden, stasi-, oder man könnte auch - das bleibt sich in diesem Falle so ziemlich gleich -nazigestrickt sind, das steht für mich zumindest fest.
Und solche Äußerungen von Frau Merkel, daß Koch das Jugendstafrecht nicht für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert, sind doch sehr dem Politikstil der DDR entlehnt, wo über Offensichtlichkeiten der Mantel des Absurden gelegt wurde. So was brauchen wir heute genau nicht.