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Am Tag, an dem der Computer nach Mullosayyoo kommt, stehen die Kinder am Straßenrand und winken mit großen Sträußen gelber Blumen. Frauen tragen riesige Bündel mit frisch geschnittenem Gras nach Hause, um damit die Böden ihrer Hütten auszulegen. Sie bereiteten das Masqalfest vor, einen der wichtigsten christlich-orthodoxen Feiertage in Äthiopien, der mit großen Feuern im ganzen Land begangen wird. Der Masqaltag markiert das Ende der Regenzeit, er ist auch ein ausgelassenes Frühlingsfest, an dem die Menschen das Ergrünen der Landschaft feiern und die Hoffnung auf eine gute Ernte. Mullosayyoo liegt eineinhalb Autostunden nördlich von Addis Abeba, die letzten 30 Kilometer führen über holprige Sandpisten. Die Siedlung hat keinen Dorfplatz, keine Lichtmasten, kein Geschäft, nur eine Schule. In den Lehmhütten leben Kleinbauern, die mit mageren Ochsen vor dem Pflug Teff anbauen, eine Hirsesorte, aus der das Sauerteigfladenbrot Injera gebacken wird, das wichtige Grundnahrungsmittel in Äthiopien. Auf einen Computer hat hier niemand gewartet.
»Ich habe das Gefühl, unsere Kinder sind heute zum zweiten Mal auf die Welt gekommen«, sagt Deriba, ein kleiner, sehniger Mann mit Falten wie Ackerfurchen im gegerbten Bauerngesicht. An diesem Morgen war er in seine ausgelatschten Gummistiefel gestiegen und hat etwas getan, was er sonst nie tut: Er begleitete seine Tochter, das fünfte Kind von acht, in die Schule. Er reihte sich in die Schlange vor dem Minibüro des Schuldirektors ein, nahm mit anderen Vätern und Müttern auf einer schmalen Holzbank Platz und beobachtete, wie junge Frauen in städtischer Kleidung mit angefeuchteten Fingern in roten Kladden blätterten. Sie glichen handgeschriebene Listen ab und setzten mit wichtigen Mienen Häkchen hinter Namen. Der stickige Raum war erfüllt von der Atmosphäre großer Bedeutsamkeit, als würde eine Präsidentenwahl abgehalten oder eine wichtige Landreform feierlich besiegelt. Nur im Flüsterton sprachen die Erwachsenen untereinander. Am Ende wurde jedem Bauern von Mullosayyoo ein flacher Plastikkasten in Froschgrün und Weiß in die Hand gedrückt.
»Kommen Sie«, sagt Deriba, »kommen Sie mit in mein Haus, dann können Sie sehen, wo das neue Ding seinen Platz haben wird. Meine Tochter ist schon vorausgelaufen.« Deribas Tochter Almas ist ein schmächtiges Mädchen von elf Jahren. Ihr Ringel-T-Shirt hat Löcher, und in ihrem rechten Ohrläppchen steckt ein kleines Hölzchen, von dem man nicht weiß, ob es der Schmuck selbst ist oder nur der Platzhalter für einen Ohrring, den sie gerne besäße. Sie führt uns in die Hütte ihres Vaters: ein fensterloser Raum mit einem Wellblechdach darüber. Das Mobiliar besteht aus einem Tisch, einer Bank und einer Holztruhe. In diesem Haus gibt es von nun an einen Computer, wie in 1000 weiteren Hütten rund um die Schule von Mullosayyoo.
Es ist ein Laptop mit einer leistungsstarken, umweltfreundlichen Batterie und einem brillanten Bildschirm, auf dem Buchstaben und Bilder sogar im grellsten Sonnenlicht zu erkennen sind. Aber die einzigen Steckdosen von Mullosayyoo befinden sich in der Schule, genau zwei an der Zahl. Theoretisch könnte man mit dem Laptop drahtlos ins Internet gehen. Aber in Mullosayyoo gibt es nur einen einzigen Telefonanschluss. Der Computer hat eine eingebaute Webcam, mit der man Fotos machen und Videos drehen kann. Einfache Spiele sind installiert, ein Textverarbeitungsprogramm, eine Musiksoftware samt elektronischer Instrumentensammlung, und die äthiopischen Schulbücher in sämtlichen Fächern sind darauf gespeichert. Was nichts daran ändert, dass die Kinder weiterhin viel körperliche Arbeit verrichten müssen, morgens vor der Schule schleppen sie schwere Kanister von der Wasserstelle nach Hause, am Nachmittag hüten sie die Kühe und Ziegen. Das Laptop in Deribas Haus ist wie ein Versprechen, das sich kaum einlösen lässt.
Almas drückt den Startknopf. Der Bildschirm zuckt auf und taucht ihr Gesicht in ein bleiches Licht. Erst jetzt ist zu erkennen, dass die Lehmwände in dem Raum wasserblau getüncht sind. Keiner im Raum spricht. Für den Vater, man kann es an seinem Blick erkennen, geht von dem Leuchten eine prometheische Kraft aus: Endlich ist die verheißungsvolle Moderne in seinem Haus angekommen! Der Reporter hingegen, in der Computerwelt zu Hause, mit dem Flugzeug angereist, mit dem Jeep ins Dorf gefahren, ist gebannt von der Dunkelheit jenseits des Monitorlichts, von der archaischen Naturnähe der Lehmhütte, von dem fortschrittsfernen Gleichmut, den sie abstrahlt, von den Geschichten und Traditionen, die der Raum zu bergen scheint. Der Vater sieht seine Tochter womöglich schon als junge Frau in Großstadtkleidung vor sich, wie sie in einem Büro gegen familiensichernde Bezahlung bedeutende Dinge in eine Tastatur tippt. Der Reporter möchte dem Mädchen gleich raten, nicht zu viel Pac-Man zu spielen, den Erzählungen der Großmutter auch weiterhin zu lauschen und sich lieber aus Holz, Fell und Draht selbst ein Musikinstrument zu basteln, als auf die vorgefertigten Klänge im Computer zu klicken.
Almas hat ein Programm geöffnet. In kleinen Quadraten zeigt es eine Vielzahl fröhlicher Kindergesichter verschiedenster Ethnien. Sie klickt auf einen der Köpfe. Der öffnet den Mund und ruft mit synthetischer Stimme »Hallo!«. Es klingt, als ob ein Teletubby »AO« sagt.
Kommentare
Ich weiss nicht ob Computer das beste sind
dass fuer aethiopische Kinder getan werden kann. Wenn ich dann noch lese dass ein Lehrer dort oft 100 Kinder in nur einer Klasse hat dann denke ich vielleicht waere es besser mehr Lehrer auszubilden,Schulen fuer die Kinder zu bauen und moeglicher Weise die Gehaelter fuer Lehrer zu subventinonieren. Dazu kommt noch dass in afrikanischen Laendern Elektrizitaet nicht wie in D aus der Wand kommt sondern eher nur durch Aggegrate die teuren Diesel brauchen dann weiss ich nicht ob es eine gute Entscheidung war diese Rechner zu verteilen.Man kann nur hoffen dass die nicht irgendwann die die grossen,teuren Fernseher irgendwo in der Ecke verstauben.
Informationsträger
Eine gute Freundin hat ihre Mutter in Sri Lanka besucht und erzählte mir davon, wie es ihre Mutter kaum möglich ist, in diesem Klima dort ihre Bücher in einem lesbaren Zustand zu halten. So gut wie jedes Buch ist aufgequollen, täglich muss das Bücherregal belüftet werden, notfalls mit einem (elektr.) Ventilator. Wie meine Freundin bemerkte, verbietet es sich von selbst, in diesem Klima Dinge zu horten.
Uns erscheint es als offensichtlicher Widerspruch, in technisch nicht entwickelten Ländern in den Schulen Laptops zu verwenden.
Offensichtlich werden wir das Opfer unserer eigenen Sichweise, die wir gerne mit dieser Technik verbinden (Zitat: "Der Reporter möchte dem Mädchen gleich raten, nicht zu viel Pac-Man zu spielen")
Wesentlich ist der Aspekt, der oft in den Berichterstattungen über das OLPC "vergessen wird", das auf diesem Gerät alle Schulbücher verfügbar gemacht werden, was der Autor Hr. Spahn dankenswerterweise ausführlich erwähnt.
Insbesondere das Fehlen von Büchern, Papier und Stiften ist mit ein Grund für den im Artikel erwähnten "Frontalunterricht", den ich gerne als "memorisierenden Frontalunterricht" konkretisieren möchte. Vergessen wir nicht, das auch wir in Deutschland nach wie vor den "tradierten Frontalunterricht" bevorzugen (Tradition?).
Uns erscheint ein elektrisches Gerät in einem Land als anachronsitisch, in dem der Strom nicht aus der Wand kommt - und wie der Autor in seinem Artikel sehr schön die Dunkelheit der Hütte beschreibt, es gibt so gut wie kein Licht (v.wg. ein Buch lesen...). Und wir übersehen, das was für uns als "luxuriöser" Hi-Tech gilt, wie z. Bspl. das Mobiltelefon erst diesen Ländern eine Telefon Kommunikation ermöglicht hat, komplett die Ära der verkabelten Telefonkommunikation übersrpungen wurde.
Das der Umgang mit Strom dort ein anderer ist und sich schwieriger gestaltet als bei uns, mag uns erscheinen, als würde ein Pferd von hinten aufgezäumt. Dieser Umstand wurde versucht im OLPC Konzept zu berücksichtigen, leider ist aus dem oft belächelten Kurbelgenerator nichts geworden, Konsequenz ist, das die Kinder meist nur in der Schule das Akku laden können - doch welches Kind soll länger als 3 Stunden Hausaufgaben am Computer machen?
Ein weiteres "Bildungsvoruteil" dem wir zum Opfer fallen, ist die Aussage, es ginge darum "den Umgang mit dem Computer zu lernen", es ist lediglich, um nicht zu sagen, banale Vorraussetzung, um auf Informationen (Schulbücher) zugreifen zu können, und schlußendlich geht es darum, diese zu bearbeiten und auszutauschen. (da kann ich Herrn Negroponte nur zu gut verstehen!)
Austauschen - der an sich schöne Artikel von Herr Spahn unterschlägt das bemerkenswerte (technische) Detail, das die OLPC Laptops sich über ein eingebautes Mesh Netzwerk selbstständig verbinden und strenggenommen nur eine "Telefondose" genügt, um ggf. allen Laptops einen Zugang zum WWW zu ermöglichen.
Ich befürchte, eine Möglichkeit, bei dem hiesigen Lehrern ähnlich schwindelig wird, wie den Äthiopischen Lehrkräften beim Anblick einer Tastatur.
Natürlich kann auch dieses OLPC eine Technikruine werden, wie die angesprochenen Plasmafernseher (auch ich war in den 80'er Jahren Opfer von deut. Fernsehunterricht) doch das OLPC kann aus anderen Gründen eine 'Technikruine' werden, wenn nicht verstanden wird, es aktiv als Werkzeug einzusetzen - und dieses Problem im Umgang mit Computern kennen wir hier auch, wenn gleich es für uns nicht diesen existentiellen Charakter hat,bei uns vergammeln Bücher nicht so leicht und einen Kugelschreiber bekommen wir notfalls als Werbegeschenk - da bleibt tatsächlich oft nur das reduzierte Bildungziel übrig "den Umgang mit dem Computer zu lernen".
Für diejenigen, die daran glauben: Nur Bildung führt weg vom Reisfeld. (siehe Das vietnamesische Wunder )
hat der Einsatz nur wenig mit dem Verlust kultureller Identität zu tun (was wir gerne mit digitaler Technik implizieren), für diese Regionen kann es zu einem Werkzeug werden, ähnlich wie die Mobiltelefonie, das - so obskur es in unseren Ohren klingen mag - adhoc nicht vorhandene Bibliothek, Schreibblock und Kommunikationsinfrastruktur zur Verfügung stellt. Und letztlich fordern wir im Westen von diesen Regionen, trotz aller "kultur-Romantik" Bedenkenträgerei, ihrer Bevölkerung Schulbildung zu ermöglichen (was ja nun auch eine emanzipatorische Komponente beinhaltet, ein kulturelles Selbstbewusstsein bzgl. eigener kulturellen Werte im Kontext anderer Kulturen).
Wie heisst es so schön "Es kommt darauf an, was man daraus macht" - ich freue mich für die Kinder in Äthopien und drücke ihnen und ihren Lehrern die Daumen!
brody
Heute erfuhr ich in den Nachrichten
dass Indien einem PC bauen will oder schon tut der nur 40 Dollar kosten soll. Wenn das klappt das waere gut und wenn die Leute dann noch solarpower benutzen koennen macht das viel sinn.