Es beginnt Normalität zu werden: Wenn die Bundesländer neue Lehrer einstellen wollen, fehlen ihnen für einzelne Schulformen und insbesondere für sogenannte Mangelfächer wie Physik oder Mathematik Bewerber. In ihrer Not scheuen sie dann nicht davor zurück, in anderen Ländern Lehrpersonal abzuwerben. Im vergangenen Jahr glänzte Hessen mit einer Abwerbekampagne, in diesen Tagen geht unter anderem Baden-Württemberg diesen Weg. Dabei kümmert es die Werber wenig, dass die bessere Versorgung der eigenen zulasten der Schüler anderer Länder erzielt wird. Die jüngste Beteuerung der Kultusministerkonferenz (KMK), den Wettbewerb der Länder um Lehrer künftig fairer zu gestalten, lässt kaum eine Umkehr erwarten.
Beklagen dürfen sich die Kultusminister betroffener Länder darüber allerdings nicht, haben sie doch mit der Föderalismusreform den Weg zu dieser Konkurrenz geebnet und als Fortschritt propagiert. Die Instrumente, mit denen Länder die Arbeitsplätze für Lehrer attraktiv machen können, sind seither vielfältiger geworden. Seit eh und je ermöglichen sie, die Altersgrenze für Verbeamtungen flexibel zu handhaben und – im Vergleich zu anderen Ländern – die wöchentlichen Unterrichtsverpflichtungen geringer zu halten. Hinzugekommen ist mit der Föderalismusreform das Instrument der Besoldung, da das Recht, deren Höhe festzusetzen, seither ausschließlich bei den Ländern liegt. Mit der länderspezifischen Ausdifferenzierung der Arbeitsbedingungen, der Einstellungsmodalitäten und der Besoldung ist ein Umfeld entstanden, in dem die wirtschaftlich stärkeren Bundesländer dominieren werden.
Dies alles vollzieht sich in einem Arbeitsmarkt für Lehrer, dessen Entwicklung überaus unübersichtlich ist. Zum letzten Mal hat die KMK 2003 eine Aussage über die erwartete Nachfrage nach neuen Lehrern gewagt – und dazu, ob dieser Nachfrage ein bedarfsdeckendes Angebot gegenüberstehen werde. Seither gibt es für die Gesamtheit der Bundesländer keine derartigen Schätzungen mehr. Abiturienten, die ihre Studienentscheidungen treffen, finden keine bundesweiten Informationen dazu, wie ihre Einstellungschancen sein werden, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Mehr noch als bisher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Studienwahlentscheidungen hinsichtlich der Schulformen und der Unterrichtsfächer blind und am Arbeitsmarkt vorbei gefällt werden. Dies geschieht in einer Zeit, in der von jetzt bis 2015 etwa 250000 Lehrende aus den Schulen ausscheiden und – je nach finanzpolitischen Entscheidungen – komplett oder im großen Umfang ersetzt werden müssen.
Bildungspolitische Entscheidungen der letzten Jahre haben zu dieser Unübersichtlichkeit beigetragen. Nicht nur, dass die personell geschwächte KMK keine aktuellen Schätzungen zu Einstellungschancen künftiger Absolventen der Lehramtsstudiengänge vorlegt, sondern sie hat solchen Prognosen mit Einführung der Bachelor-/Masterstruktur des Studiums auch die Grundlage entzogen. So sehen sich zum Beispiel die nordrhein-westfälischen Landesstatistiker seit 2006 außerstande, die Zahl der Studienanfänger in Lehramtsstudiengängen mitzuteilen: An den Hochschulen, das sind bisher fünf im Land, an denen schon die neue Studienstruktur gilt, sei bei den neu eingeschriebenen Bachelorstudierenden, so teilt das zuständige Statistikamt mit, "nicht abzusehen, wie viele dieser Studenten letztlich ein Lehramt anstreben". Daher konnte Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Zahl seiner Studienanfänger mit dem Berufsziel Lehramt für 2006 nur angeben, dass sie irgendwo zwischen 8241 und 15955 liegt. Für Prognosen ist das etwas ungenau!
Die Folgen sind evident: Ungleichgewichten auf dem Arbeitsmarkt Schule kann nicht entgegengewirkt werden. Mangelsituationen, die daher nahezu unvermeidbar immer wieder entstehen werden, öffnen ein weites Feld für Länderkonkurrenz. Die Instrumente dazu stehen bereit. In weite Ferne rückt die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet", wie sie Artikel 72 des Grundgesetzes vorschreibt.
Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und Professor emeritus an der Universität Duisburg-Essen
Kommentare
Was haben deutsche Mathematik- und Physiklehrer falsch gemacht,
dass so Wenige Lust bekommen, diese Fächer zu studieren. Die Lust auf diese Fächer wird nämlich in der Schule geweckt. Für Schüler in anderen Ländern sind naturwissenschaftliche Fächer kein Schreckgespenst.
Vermutung:
Meiner Erfahrung nach haben die Lehrer nicht viel falsch gemacht. Vielmehr ist es so, dass diejenigen Schulabgänger, die sich vorstellen können, ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium zu absolvieren, von den schwierigen Arbeitsbedingungen und der schlechten Besoldung abgeschreckt werden. Viele dieser Kandidaten, zu denen ich auch einst gehörte, entscheiden sich ob dieser Beobachtungen eher, so wie ich da tat, diese Fächer explizit nicht auf Lehramt zu studieren.
"Planwirtschaftlicher" Irrsinn
Zunächst einmal wäre zu konstatieren, dass ein Übereinstimmen von Angebot und Nachfrage auf jedem Arbeitsmarkt allenfalls punktuell und rein zufällig auftreten kann. Um im Bildungsbereich Lehrermangel zu verhindern, müsste nach meiner Einschätzung deshalb dauerhaft ein erheblicher Überschuss an einsetzbarem Personal vorgehalten werden. Da stellt sich dann allerdings die Frage nach Kosten und Akzeptanz.
Was im Bildungsbereich allerdings zum vollkommenen Irrsinn führt, ist der Versuch der Schulverwaltungen, den Lehrerbedarf mit sogenannten "planwirtschaftlichen" Instrumenten in den Griff zu bekommen. Im Bereich der Finanzierung kann man da vielleicht einiges machen - was allerdings auch nicht geschieht-, die Geburtenrate aber wird sich nicht nur in einer Demokratie nicht zur Planbarkeit verstetigen lassen.
Dass der Bedarf dann aber nicht zentral, sondern föderal ermittelt wird, enthält bereits den Keim für das Chaos, das im Artikel beschrieben wird. Dass vor Ort nicht die Schulen selbst, sondern übergeordnete Instanzen die Verteilung des Personals vornehmen, führt zwar theoretisch zu einer gerechten Verteilung des Mangels, aber nicht unbedingt dazu, dass das richtige Personal zur richtigen Zeit am richtigen Ort landet. Dass das Lehramtsstudium (jedenfalls in der Vergangenheit) fast keine beruflichen Alternativen zulässt, wirkt besonders auf solche jungen Menschen abschreckend, die sich Alternativen zum Lehrerberuf zutrauen und vorstellen können. Beamtenstatus und Unkündbarkeit kompletieren den Irrsinn.
Das Resultat ist bekannt. In Zeiten von Lehrermangel und Bildungseuphorie in den 60er bis 70er-Jahren wurde unter großzügiger Auslegung der jeweiligen Kompetenz eingestellt, was der Markt hergab. Genug war das zwar immer noch nicht und die Qualität war nicht in jedem Fall ausreichend. Dann aber wurde auch noch plötzlich gespart, anstatt für eine kontinuierliche Einstellung weiterer Lehrkräfte zu sorgen und damit eine Verstetigung in den Prozeß zu bringen.
Und dann kam der Geburtenrückgang. Und in Kombination mit dem Beamtenstatus kann das zu teuren Personalüberschüssen führen. Also wurde einfach bei den eingestellten Lehrkräften draufgesattelt, ein sinnloser "Reform"-Zirkus in Gang gesetzt, weggemobbed, frühpensioniert und öffentlich diffamiert. Und während man absehbar auf eine massive Pensionierungswelle zusteuerte, schreckte man noch mehr Studentehn von ohnnehin wenig versprechenden Lehramtsstudiengängen ab.
Ein Beispiel für den realen Irrsinn gefällig? Bittesehr. Während Baden-Württemberg bundesweit Lehrer abzuwerben versucht und Frau Schavan durch intellekuelle Bauchlandungen im Bereich Technik und Naturwissenschaften auf sich aufmerksam macht, wird an einem Stuttgarter Gymnasium eine bei Schülern und Eltern beliebte und als ausgesprochen fähig eingeschätzte 58jährige Mathematklehrerin nach den Weihnachtsferien unvermittelt in den Ruhestand versetzt. Abiturienten stehen plötzlich ohne Lehrerin da. In unteren Klassen kann der Unterricht unter anderem nur durch Einsatz eines Abiturienten aufrecht erhalten werden.
58 Schüler und 22 Eltern schicken Briefe, Unterschriftslisten und ein Protestschreiben an das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart und fordern, dass die "beliebteste Lehrerin der Schule" zurükkommen darf. Die Behörde verspricht, die Briefe zu beantworten, ist auch gesprächsbereit, sieht im Einsatz des Abiturienten kein Problem. Arbeiten lassen will man die Lehrerin allerdings nicht und "aus datenschutzrechtlichen Gründen" gibt es zu den Gründen keine Auskunft. Meine persönliche Erfahrung allerdings sagt mir, dass bei dieser Behörde Beliebtheit schon mal eine günstige Voraussetzung für vorzeitiges Entfernen sein kann (Stuttgarter Zeitung vom 14.02.2009).
Es geht aber noch dicker. Die Lehrerin klagt vor dem Verwaltungsgericht, das in einer Eilentscheidung befindet, die Lehrerin dürfe wieder unterrichten. Das RP geht in die nächste Instanz und bekommt - nicht ungewöhnlich für Baden-Württemberg - nun doch "Recht". Bis zur Entscheidung im Hauptverfahren darf die Lehrerin nicht unterrichten. Und das kann dauern (Stuttgarter Zeitung vom 17.3.2009).
Ist das nun eine im Interesse der Bürger arbeitende Behörde oder eine Aussenstelle einer psychiatrischen Verwahranstalt? Ich frage nur....
Als ob das alles noch nicht genug wäre, qualifiziert das Lehramtstudium bislang nicht nur nicht für mehrere alternative Berufe. Es qualifiziert im gymnasialen Bereich noch nicht einmal für den Lehrerberuf...
Dabei gäbe es zumindest einen kleinen Ausweg, denn es gibt einen Überhang an Lehrpersonal. Und der wäre überdies sehr kostengünstig und schnell zu haben. Ich meine all die "jungen" Frühpensionierten, von denen keiner kontrolliert, geschweige denn weiß, ob sie vielleicht nicht doch gesundheitlich wieder einsetzbar wären. Und all die rüstigen Pensionäre, die, mangels anderweitiger intellektueller Auslastung, vermutlich Foren wie dieses bevölkern.
Resüme: Dieses System ist zutiefst krank, und wäre es eine Einrichtung des Bundes, wäre es von den Wählern schon längst hinweggefegt worden. Vielleicht ist das denn auch der wahre Grund, warum die Provinzfürsten auf ihrer Bildungshoheit beharren.
Was brauch denn ein Physiklehrer?
Brauch der unbedingt Physikdiplomwissen, um 10t-Klässlern Realitvitätstheoriegrundlagen bei zu bringen? Ich selbst war in der Sek2 nie unter 12 NP in dem Fach, habe vieles verstanden und kann mit Kindern super umgehen, bin ich doch beliebtester Schwimmlehrer bei uns im Verein. xP Achja, ich versuchte, Physik zu studieren... Die enormen Sachen, die man da bringen musste und man nach der Klausur wieder vergessen hat (wenn man denn überhaupt vorher ausreichend Wissen in sich hinein schaufeln konnte in dieser Leistungsdruckgesellschaft), wenn die jeder Lehrer durchmachen muss, na dann gute Nacht. Ich wäre gerne Physiklehrer an einem Gymnasium für 2/3 des Normalgehalts, aber ohne Examen. Nur leider ist man ohne irgendeinen Zettelwisch, für den manche nur auswendig lernen oder betrügen oder auch Sex anbieten, nichts wert. Ähm ja, dieses System ist krank.
Das Schlimmste vergisst der Autor...
Wenn extremer Lehrermangel herrscht, dann wird jede Pfeife mit einem Staatsexamen von 3,9 eingestellt. Es werden nicht nur zu wenig Lehrer sein, sondern die Qualität wird immer miserabler werden. Nicht nur auf die Quantitäten schielen. Die Folgen sind sowieso klar, das Bildungssystem wird immer schlechter und der Teufelskreis von immer schlechteren Schülern und Lehrern wird uns in die geistige Verwahrlosung treiben.
By the way, wer kennt den Film "Idiocraty"...
Staatsexamen gut = Lehrer gut?
Wir brauchen in unseren Klassenzimmern keine autistischen Fachidioten sondern PÄDAGOGEN. Darauf muss das Hauptaugenmerk liegen.
Abitur haben die alle selbst, im Studium kommt nur noch massig Wissen dazu was in keinem Lehrplan vorkommt und daher im Unterricht nie von Belang ist.
Viel wichtiger ist dass ein Lehrer das Wissen gut vermitteln kann - eventuelle Wissenslücken die sich dann in der Unterrichtsvorbereitung auftun kann er durch simples Nachschauen füllen. Wie jeder normale Mensch.
Ich wurde als Schüler oft genug von Mathelehrern gequält die Tafeln mit Beweisen vollgeschrieben haben und wie ein Computer Funktionen im Kopf lösen konnten - nur erklären wie und was konnten die uns nicht. Die Note im Staatsexamen dieser Lehrkraft mag gut gewesen sein - meine Zensuren dafür nicht gerade.