Am Ende des Kalten Krieges, so schien es, war die Macht der Vereinigten Staaten durch nichts zu erschüttern. Amerika stand fest wie ein Fels in der Brandung. Heute ist der (relative) Verfall der amerikanischen Macht nicht mehr zu übersehen. Nicht nur materiell – die Vereinigten Staaten verlieren alle Kriege, die sie anfangen, und ihre Wirtschaft steht erneut am Rande einer großen Depression –, sondern auch psychologisch: Während die überheblichen Neocons um George W. Bush noch davon träumten, ein "neues amerikanisches Jahrhundert" einzuläuten, sieht dessen Nachfolger Barack Obama die Dinge mit einem nüchterneren Realitätssinn. Zu Zeiten seiner Kandidatur zeigte ihn die New York Times mit einem Buch in der Hand: "Das postamerikanische Zeitalter". Allein die Tatsache, dass ein USPräsident Bücher liest, sagt schon viel: Ja, die Dinge werden sich ändern.
China und Indien erwachen. Europa taucht wieder auf. Russland verfeinert seinen Sinn für Expansionismus. Japan rekelt sich, ebenso Iran. Und es bebt die arabische Welt. Die Regie an der Weltbühne lag eine Zeit lang ganz in den Händen einer einzigen militärischen und wirtschaftlichen Supermacht – nun werden die Rollen neu verteilt. Und in diesem neuen Ensemble, das so anders ist als die von George Bush Sr. verkündete "Neue Weltordnung", stellt sich die Frage: Was wird aus Lateinamerika?
Vorweg gesagt: Es behält Gültigkeit, was der mexikanische Diktator Porfirio Díaz um 1900 betrübt ausrief (er meinte sein eigenes Land, doch übertragen lässt es sich auf die ganze Region): "Armes Mexiko, so weit von Gott und so nah an den Vereinigten Staaten!"
Dass dieser Satz ein Jahrhundert später noch gilt, liegt daran, dass die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Lateinamerika – obwohl sich beide sehr verändert haben – praktisch die gleiche geblieben ist: eine Beziehung politischer Unterwerfung und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Länder des Südens gegenüber dem "Koloss des Nordens" – mit zwei Ausnahmen: einer zwar lautstarken, aber winzigen, dem rebellischen Kuba der letzten fünfzig Jahre, und einer jüngeren, fragilen, dem großmäuligen Venezuela des letzten Jahrzehnts unter Oberst Hugo Chávez mit seiner "bolivarischen Revolution", die auch befreundete Länder wie Bolivien, Ecuador und Nicaragua erfasst hat und sich durch die hohen Ölpreise finanziert, die derzeit wieder ins Bodenlose fallen. Es mag vielleicht keinen Gott geben, aber die USA gibt es, zweifellos. Fast einhundert Jahre vor jenem Porfirio Díaz hatte Simón Bolívar, der Befreier von halb Lateinamerika, in einem Brief beiläufig kommentiert: "Die Vereinigten Staaten scheinen vom Schicksal dazu bestimmt, Amerika im Namen der Freiheit mit Unglück zu plagen."
Global betrachtet, nahm die Rolle der USA als Imperialmacht erst im Zweiten Weltkrieg Gestalt an, nach dem Fall der alten Kolonialmächte in Europa und Asien. Auf dem amerikanischen Kontinent hingegen hatte sich das US-Imperium schon während des vorangegangenen Jahrhunderts allmählich durchgesetzt, mit Beginn zur Zeit der Unabhängigkeitskriege gegen Spanien. Die Monroe-Doktrin ("Amerika den Amerikanern") datiert auf das Jahr 1823. Theoretisch hatte sie nur das Ziel, die Europäer aus den Angelegenheiten Amerikas herauszuhalten. Praktisch aber wurde mit der Doktrin gerechtfertigt, in andere Länder des Kontinents militärisch einzugreifen und sie zu besetzen. Man denke an die Annektierung eines großen Teils Mexikos (Texas, Kalifornien, Nevada und Colorado) Mitte des 19. Jahrhunderts oder, bei Anbruch des 20. Jahrhunderts, an die Eroberung von Kuba und Puerto Rico (und den Philippinen am anderen Ende der Welt). Und so – unter den verschiedensten Überschriften: Monroe-Doktrin, Manifest Destiny, Roosevelt-Corollary, Kanonenbootpolitik, Dollar-Diplomatie – bestand die Beziehung zwischen den beiden Amerikas seit der Unabhängigkeit von Spanien immer aus schlichter Unterwerfung, ob freiwillig oder zwangsweise.
Nun kommt Barack Obama, der Präsident des Wechsels. Und er sagt den Lateinamerikanern: Ich werde keine Politik für euch, sondern mit euch anstreben. Und es stimmt, in seiner Rhetorik unterscheidet er sich sehr von George W. Bush und sogar von Bill Clinton. Sie erinnert eher an die schönen Worte, die zwei andere seiner Vorgänger auf dem Imperialthron verkündeten. An die "Politik der guten Nachbarschaft" von Franklin D. Roosevelt, der ein Ende des Unilateralismus sowie der militärischen Invasionen und Besetzungen im karibischen und zentralamerikanischen Raum ankündigte. Und an die "Allianz für den Fortschritt", die John F. Kennedy in den sechziger Jahren proklamierte, nicht weniger als eine Allianz der Gleichberechtigung.
Aber worin mündeten diese beiden Versprechen? Roosevelts gute Nachbarschaft in einer Reihe von Handelsabkommen, die den stärksten Ländern der Region (Mexiko, Brasilien, Argentinien) die Versuchung nehmen sollte, ihre Beziehungen mit den Achsenmächten auszubauen. Was die schwächeren Länder betrifft, in einer Aufrechterhaltung ihrer grausamen Diktaturen, beispielsweise der Regimes von Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik und von Nicaraguas Anastasio Somoza: "our son of a bitch", wie ihn der US-Präsident nannte. Und im Übrigen mündete sie lediglich in dem einzigen Disney-Film der Geschichte mit einem spanischen Titel: Saludos, Amigos . Kennedys Fortschrittsallianz ihrerseits hinterließ, neben der durch die CIA organisierten Anti-Castro-Mission an der kubanischen Küste, die Nationale Sicherheitsdoktrin sowie ein Pentagon-Trainingsprogramm für lateinamerikanische Armeen. Die Folge: ein Dutzend Militärdiktaturen.
Kommentare
Ziemlich weinerliche Ansicht!
Was will der Autor?
Eine perfekte Welt? Ausströmende Gerechtigkeit unter dem wohligen Mäntelchen einer großzügigen Muttermacht?
Die USA haben niemals behauptet, sie hätten die Weltformel für eine schöne neue Welt gefunden. Es ist lediglich ein Territorium, in dem sich zum ersten Male in der Weltgeschichte das Individuum entfalten konnte - nach vielen tausend Jahren ein Novum.
Es entfaltete sich in einer (völlig neu!) kulturell entgrenzten Menschengemeinschaft, die völlig neue Produktionssysteme entwickelte.
Dieses Recht auf Individualität verbreitete sich dann in alle Staaten, die das neue Modell nachahmten (Europa, Japan ff). Was immer auch an weiterhin und neueartigem Negativen hinzukam,
insgesamt hat sich auch dort ein völlig neues und sehr lebenswertes Gemeinwesen entwickelt.
"Demokratie" hat damit übrigens sehr wenig zu tun - die ist lediglich ein sehr kleines Hilfsmittel. Viel entscheidender ist: neuartige gesellschaftliche Empathie, kulturell entgrenzte Kommunikation und vor Allem eine Emergente Ordnung - ein leider immer noch sehr unbekannter Begriff.
Dass diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist, weil diese neue Entwicklung viele Generationen brauchen wird, um sich zu etablieren, sollte selbstverständlich sein.
Und dass besonders in kulturell historisch sehr fest geprägten (GERADE Spanien, wo die neuen Werte ja erst sehr spät Einzug hielten!) der Umschwung noch länger dauern wird, sollte ebenso klar sein.
Was will der Autor, der behauptet, im Namen Vieler zu sprechen?
Natürlich wollen die USA kein Sozialamt der Welt sein (obwohl sie es faktisch in vielen Bereichen der Welt sind!)!
In erster Linie denken auch US-Amerikaner zunächst an sich selbst.
Und natürlich haben die USA immer noch heftige Probleme, die individuelle Selbstverantwortlichkeit eben mit sich bringt - Drogen natürlich, auch Spielsucht (die ja eine der hauptttreibenden Kräfte der jetzigen Finanzkrise war und ist).
Aber es darf nicht vergessen werden, dass ALLE reicheren Bewohner der Welt (auch Europa, auch Reichere in Fernost, auch die Rohstoffstaatenvampire) an dieser jetzigen Krise heftig mitgemischt haben.
Die Fädenzieher in den USA scheinen einfach nur intelligenter gewesen zu sein.
Jetzt heulen die Dümmeren laut auf und schimpfen lauthals über die achsobösen USA.
(nebenbei: Ob der Irak nicht doch allmählich begreift, dass es besser ist, MIT den USA statt mit Taliban ff zu kooperieren, ist zur Zeit durchaus offen. nach 5 jahren zeichnet sich durchaus ab, dass Ersteres gewählt werden wird. Wenn die USA dann als der finanzielle Sieger Hauptabnehmer des Erdöls werden wird, wird dann natürlich auch den USA vorgeworfen.
Dass Europa - auch Deutschland!! - jahrelang den Diktator Hussein unterstützte (im trauten Verein mit der UNO),
dann sich an der Vertreibung nicht beteiligte, jetzt aber wieder um Exportaufträge dorthin buhlt, ist so ziemlich das Perfideste, was in letzter Zeit geschehen ist!)
Lieschen Müllers Weltbild
in Wahrheit war es immer ein Geben und Nehmen, im Alltag.
Südamerika hat unwahrscheinlich vom Geld profitiert was die vielen Gastarbeiter in den USA in die alte Heimat schicken (es handelt sich dabei um Summen die locker das Bruttoinlandsprodukt eines mittleren westeuropäischen Staates übertreffen), von Direktinvestitionen (mag sein dass zB Ölfirmen sich dumm und dämlich damit verdienen und die Einheimischen nicht immer soviel profitieren wie es fair wäre - ohne die Amerikaner und damit einen Abnehmer wäre das Zeug halt weiterhin im Boden und der Ertrag wäre gleich 0) - Staaten wie Venezuela bezahlen ihren Populismus ind angeblichen Sozialismus mit Petrodollars (angeblich, da eine Volkswirtschaft die sich auf Rohstoffverkäufe stützt alleine nicht lebensfähig ist und somit kein funktionierendes System darstellt). Was die Lateinamerikaner nie davon abhielt die Hand die sie füttert beißen zu wollen.
Und wie immer stimmt die Bevölkerung mit den Füßen ab, jeder der es kann flüchtet mit einem Boot von Kuba nach Florida, oder von Mexiko über die grüne Grenze in das Land des großen weiten Teufels. Allem blabla auf selbtgerechten Konferenzen von verkopften Betonköpfen entgegen haben die USA ihre Anziehungskraft auch in dieser Krise nicht eingebüßt. Und ohne eine Erholung der US Wirtschaft wird jene in Lateinamerika einen ähnlichen Absturz erleben wie die afrikanischen Kolonien nach deren Unabhängigkeit von Großbritannien und Frankreich. Es stimmt schon dass man von einem kolonialähnlichen Verhältnis sprechen kann, aber dies ist nicht immer nur zum alleinigen Nutzen der Amerikaner - im Gegenteil. Man muss dazu nur mit Leuten aus dem ehemaligen Industriegürtel (heute "rust belt", Rostgürtel) reden da Millionen von Arbeitsplätze dort abgebaut und in Lateinamerika aufgebaut wurden um Personalkosten zu sparen. Dort arbeitet man zwar für weniger als in den USA, aber in aller Regel werden die Arbeiter dort von den amerikanischen Firmen viel besser bezahlt als von einheimischen Unternehmen. Der Durchschnittsamerikaner der dadurch seine Existenz verliert kriegt also zurecht die Zornesröte im Gesicht wenn man "den Amerikanern" dann mal wieder vorwirft Lateinamerika ja nur auszubeuten.
Endlich ran!
Die Monroe-Doktrin (»Amerika den Amerikanern«) datiert auf das Jahr 1823. Theoretisch hatte sie nur das Ziel, die Europäer aus den Angelegenheiten Amerikas herauszuhalten.
Jetzt schreiben wir 2009. 186!! Jahre nachdem die Amerikaner es geschafft haben, die Europäer aus ihren Angelegenheiten herauszuhalten, sollte es langsam möglich sein, dass Europa das umgekehrt auch endlich schafft.
Zwei Punkte fallen mir hierzu auf Anhieb ein, mit denen mal mal loslegen könnte (ein ganz klein wenig satirisch):
1. Neues Bretton Woods: Der Dollar wird endlich als grünfarbenes Klopapier
deklariert und nicht mehr als Gegenwert echter Wirtschaftsgüter und
Dienstleistungen zugelassen
2. Verbot von Hedgefonds, die noch nie zum Nutzen der
kontinentaleuropäischen Allgemeinheit gewirkt haben.
(Die Engländer zähle ich hier mal als quasi Bundesstaat von US)
usw.
Dafür brauchte man aber endlich ein Europa, das sein Namen auch verdient.
Bisher existiert nur eine aufgescheuchte Hühnerschar, die sich lieber gegenseitig die Augen auskratzt als in dieser Hinsicht Fortschritte durchzusetzen.
Auch die Finanzkrise konnte nur durch die alles erdrückende Gestaltungsmacht der Amerikaner entstehen. Sie wollen intransparente Finanzmärkte, da Wall Street und London die größten Nutznießer davon sind. Und sie bekamen die Intransparenz. Entschulden werden sie sich wieder über ihr löchriges Klopapier, richtig lange leiden wird wohl wieder Europa...
Entgegen meinen Vorkommentatoren halte ich nichts von dem amerikanischen Win-Win-Geschwafel. Es ist eher wie das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Natürlich geben sie immer mal eine Lohnerhöhung, aber das Win ist im Allgemeinen doch sehr einseitig.
@lef: Das die Amis einfach mal mit einer brutalen Lüge einen Krieg um Öl anfangen, kann man als clever bezeichnen. Für mich ist es aber perversester Imperialismus gepaart mit übelster Meinungsbildung, nichts weiter.
Korrekter "China und Indien erwachen" wieder!
Bis zur Industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts war die wirtschaftliche Bedeutung des Westens, global betrachtet, ziemlich gering. Vom Beginn unserer Zeitrechnung an besaß der asiatische Kontinent den größten Anteil an der Weltwirtschaft. Trug Asien zum globalen Bruttosozialprodukt (BSP) bis dahin nahezu 70 Prozent bei, beschränkte sich der Anteil Westeuropas daran allenfalls auf ein knappes Zehntel.
Wie die gegenwärtige militärisch-ökonomische Hegemonie möglichst lange aufrecht erhalten werden kann, beschrieb Samuel Huntington 1993 in seinem Buch "The Clash of Civilizations":
"Praktisch benutzt der Westen internationale Institutionen, militärische Macht und ökonomische Ressourcen, um die Welt auf eine Art zu führen, welche die westliche Vorherrschaft aufrechterhält, westliche Interessen schützt und westliche politische und ökonomische Werte fördert."
Nachdem Bush das Ansehen der westlichen "Friedenspolitik" ruinierte, gibt der Finanz-Tsunami dem westlichen Wirtschaftsliberalismus den Rest.
Wenn der Normalzustand wiederkehrt, daß auch die Staaten der restlichen 90% der Weltbevölkerung ihre Ideen und Werte verwirklichen dürfen, haben wir wieder echten Wettbewerb der Märkte und Systeme.
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Niemand ist hoffnungsloser versklavt als der, der fälschlich glaubt frei zu sein. [J. W. Goethe]