Newspaper Death Watch, zu Deutsch »Totenwache Zeitung«, so heißt ein Blog aus den USA, der unter Medienleuten ebenso häufig besucht wird, wie er gefürchtet ist: Ende Juni wurden hier elf Tageszeitungen in Ballungsgebieten aufgelistet, die seit Bestehen des Angebots im März 2007 geschlossen wurden. Außerdem führt die Website zwölf weitere Blätter auf, darunter auch den renommierten Christian Science Monitor, die ihren Vertrieb auf sogenannte Online-Print-Hybride oder Online-Only-Modelle umgestellt haben und seither nicht mehr täglich, sondern nur zwei- bis dreimal wöchentlich oder eben ausschließlich im Netz erscheinen. Betreiber von Newspaper Death Watch ist ein ehemaliger Printjournalist namens Paul Gillian, der in seinem Internetprofil glaubhaft versichert, er sei ein leidenschaftlicher »newspaper junkie«. Selbst wenn der Titel seines Blogs das nahelege, berausche er sich keinesfalls am Siechtum der Presse. Eher im Gegenteil: Gillian sorgt sich darum, wie sich Zeitungen unter dem Diktum der Medienkrise wandeln – und damit auch die Identität des Journalistenberufs.
Auch hierzulande häufen sich die Vorboten eines baldigen Verschwindens des gedruckten Wortes. Selbst überzeugte Zeitungspioniere und saturierte Großverlage blicken inzwischen eher ängstlich auf den nordamerikanischen Kontinent, der so oft Trendsetter für europäische Märkte war. Schon wird in den USA über einen Newspaper Revitalization Act nachgedacht, unlängst vorgestellt von Benjamin L. Cardin, einem demokratischen Senator aus Maryland. Das von ihm erdachte »Zeitungswiederbelebungsgesetz«, eine Art Marshallplan zur Rettung der US-Presse, gründet auf der Annahme, dass das klassische Geschäftsmodell für Zeitungen – also Vertriebs- und Werbeerlöse – überholt sei. Um trotzdem überlebensfähig zu bleiben, so der Senator, sollten Zeitungsverlage künftig wie Bildungsträger wirtschaften können: Indem sie den Status von Non-Profit-Organisationen erhielten, müssten sie ihre Anzeigen- und Abonnementsumsätze nicht mehr versteuern. Spenden für die Berichterstattung wären laut Gesetzesentwurf leichter von der Steuer absetzbar. Ein verwegener Plan – aber nicht so abwegig, wie er zunächst klingt.
Was Politiker wie Cardin, aber auch Exjournalisten wie Gillian besorgt stimmt, ist die bedrohte Meinungsvielfalt ihres Landes – etwa wenn sich One-Paper-Citys wie San Francisco, mit 825000 Einwohnern eine der größten Metropolen der US-Westküste, allmählich zu No-Paper-Citys entwickeln und vermutlich schon bald ohne regionale Tageszeitung auskommen müssen. Die Opfer sind derzeit vor allem traditionsreiche Regionalblätter aus Ohio, Colorado und Arizona – die Cincinnati Post (gegründet 1881), die Rocky Mountain News (1859) oder der Tucson Citizen (1870) wurden bereits eingestellt, weil sie mit Journalismus kein Geld mehr verdienen konnten. Und selbst mächtige Prestige-Blätter wie die New York Times, die L.A. Times oder die Washington Post geraten ins Schlingern, weil ihre Auflagen seit Monaten im Sinkflug sind. Zu allem Unheil sind die Zahlen gegen Ende des ersten Quartals 2009 erneut eingebrochen: Auflagen minus 7 Prozent, Anzeigenerlöse satte minus 25,5 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Die deutsche Presselandschaft ist von ihrer Vertriebsstruktur und den Lesegewohnheiten her mit den US-Märkten nicht direkt vergleichbar, doch derlei Endzeitszenarien werden bald Rückkopplungseffekte auf den hiesigen Zeitungsmarkt haben. Entsprechende Eilmeldungen rütteln die Branche auf. Verlagshäuser mit respektablen Gewinnen wie die WAZ-Gruppe, Gruner + Jahr oder der Süddeutsche Verlag schrecken vor redaktionellen Schlankheitskuren nicht mehr zurück – auch in Deutschland, so die Prognosen, werde der Werbemarkt noch dieses Jahr um einige Prozentpunkte schrumpfen.
Ein mögliches Ende der gedruckten Presse wirft indessen die Frage auf, ob es in Zukunft noch professionellen Journalismus geben kann, der bis vor Kurzem locker aus Anzeigen- und Vertriebserlösen finanziert werden konnte. Denn seit es die Gratiskultur im Internet gibt, sind die Nutzer immer weniger bereit, für publizistische Erzeugnisse ihr Portemonnaie zu öffnen – alle Bezahlexperimente im Netz scheiterten bisher. Und spätestens seit der Sozialphilosoph Jürgen Habermas vor zwei Jahren beklagte, dass sich »keine Demokratie ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten« könne, ist eine hitzige Debatte darüber entbrannt, ob und wie der Geist der gedruckten Presse konserviert werden solle. Aktuell werden fünf unterschiedliche Szenarien diskutiert:
1. Die privatwirtschaftliche Lösung:
Mäzenatentum
Kommentare
Im Rekurs auf Habermas ließe sich eben nicht argumentieren, ...
... dass das GG den Staat verpflichtet, eine freie Presse zu erhalten. Denn:
Artikel 5 des GG
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Die Berufe des Färbers und des Seifensieders sind auch ausgestorben, obwohl eine Zeitlang ein öffentliches Interesse an deren Arbeit bestand.
Medien_Frankenstein
Alles schön, alles gut, aber die zentrale Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, Leistungen bereitzustellen, die offenbar von den pot. Empfängern/Kunden ohnehin nicht mehr nachgefragt werden, wird leider nicht gestellt.
Ist der Verlust einer Dienstleistung, die offenbar keiner mehr benötigt, wirklich so schlimm? Wird das Fehlen des Kraut-und-Rüben-Tagesanzeigers in der Presselandschaft von dessen ehemaligen Lesern genauso schmerzhaft empfunden wie vom Autor dieses Artikels?
Haben die ehemaligen Zeitungsleser nicht in Wirklichkeit schon andere Möglichkeiten, sich auf dem Laufenden zu halten, gefunden?
Ist es nicht sinnvoller, das Entstehen neuer Strukturen , die sich aus einer realen Nachfrage heraus entwickeln, zu fördern, bzw. diese Entstehung erst abzuwarten, anstatt per Dekret wieder ein Behördenmonstrum von Ausmassen der öffentlich-rechtlichen-Rundfunkanstalten ins Leben zu rufen? Einen weiteren Medien-Frankenstein, diesmal in Print-Version, lebensunfähig, teuer und abstossend, nur durch Zwangsabgaben am Leben erhalten?
Einen erneuten Griff in die taschen der Bürger für eine fragwürdige und nicht im mindesten unabhängige Berichterstattung zu erheben wäre eine Dummheit, die zu vermeiden uns die Lektion mit der GEZ und dem Parteienfilz in Rundfunk und Fernsehen gelehrt haben sollte.
Denn eins muss auch festgehalten werden: die vermeintliche Unabhängigkeit von Presse und Fernsehen existiert allenfalls im Wunschdenken ihrer Angehörigen. Die Selbststilisierung des Journalisten zum grossen neutralen Aufklärer überlebt im Normalfall den Kontakt mit den Ansprüchen von Anzeigenkunden, Chefredakteuren, politischen Kontaktleuten, und Intendanten ebensowenig wie ein Schneeball den Aufenthalt im Hochofen.
Meinungsvielfalt?
Meinungsvielfalt bekommt man heute praktisch umsonst: Einfach eine Kommentarfunktion in die Web-Ausgabe der Zeitung einbauen, die dadurch wesentlich interessanter wird als die Offline-Version. Und dann dafür sorgen, dass die Leser auch eine begeisterte Kommentatoren-Community aufbauen (ja, und dazu muss man auch die Trolle zulassen, sonst klappt das mit der Vielfalt nicht). Man darf nicht vergessen: Das Internet ist ein Medium, das Kommunikation wesentlich einfacher und billiger macht, und deshalb natürlich auch Kräfte freisetzt, die traditionelle Medien schwer unter Druck setzen.
Langfristig gilt ohnehin das Keynes-Wort: Langfristig sind wir alle tot. Das 150 Jahre alte Business-Modell der werbefinanzierten Zeitung mit Nachrichten, Klatsch, Klein- und Großanzeigen auf Papier, in das man auch tote Fische einwickeln kann, und das durch die Erfindung des Klopapiers schon einmal um seine Existenz bangen musste, dessen Zeit ist vielleicht vorbei. Im Moment kommt noch die Krise dazu, denn in der Krise wirbt man weniger. Wobei ich das an meinem Briefkasten nicht merke: Trotz Krise muss ich da jede Menge Papiermüll ungelesen in die blaue Tonne werfen, die bei uns im Haus ohnehin unterdimensioniert ist.
"Lösungen" für ein nicht vorhandenes Problem
Die Zeitung als bedrucktes Papier ist tot. Sehen Sie mal, wieviel Druckerschwärze nicht mehr hergestellt und verdruckt werden muss, wieviel Papier (und -Müll) gespart werden wird.
Informationen und Meinungen werden deshalb aber nicht weniger, im Gegenteil: im Internet ist die Meinungsvielfalt grösser und das Auffinden von und das Bezugnehmen auf andere Informationen viel einfacher und schneller.
Und kommen Sie mir bitte nicht mit "Qualitätsjournalismus"! Da glaubt doch sowieso keiner mehr dran.
Ich schon
"Und kommen Sie mir bitte nicht mit "Qualitätsjournalismus"! Da glaubt doch sowieso keiner mehr dran."
Wie kommen sie denn darauf? Ich halte den "Niedergang des Qualitätsjournalismus" gröstenteils für selektive Wahrnehmung.
Im Zeitalter von Online-Artikeln verbreitet es sich eben schnell, wenn FAZ, Welt, Zeit und Co mal danebenhauen. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Qualität wirklich gesunken ist, es fällt nur stärker auf.
Interessant wäre eine Aufstellung wie die im Artikel vor 20 Jahren, ergänzt um die Möglichkeit, die Journalisten von Anzeigenkunden bezahlen zu lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses dann gewählte System wirklich in der Diskussion am besten abgeschnitten hätte.
Journalisten müssen bezahlt werden, und das am besten nicht von denen, über die sie berichten.
Dennoch wird die Branche stark schrumpfen; niemand braucht die Vielzahl von Regionalblattredakteuren, die bundesweite Nachrichten von DPA in ihre Zeitungen kopieren und niemand wird bereit sein, diese Leute zu bezahlen.