Ein bisschen weltfremd wirkt es schon: Da hält im Jahr 2000 ein angesehener Berliner Philosophieprofessor eine Rede unter dem Titel Der Fluch des Christentums. Die sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion, veröffentlicht diese in der ZEIT, löst damit eine erregte Debatte mit zahlreichen Repliken aus – und fühlt sich anhaltend missverstanden. Er wundert sich über die Wahrnehmung anderer, er sei ein militanter Religionskritiker und sein Text ein atheistisches Pamphlet. Ihm sei es doch nur um eine kulturhistorische Bilanz des Christentums gegangen, geschrieben aus der Perspektive eines nachdenklichen, irreligiösen Sympathisanten der Religion. Mit den hitzigen Attacken von Dawkins, Dennett oder Hitchens, ja überhaupt mit einem quasikonfessionellen Atheismus und seiner naturwissenschaftlich verpackten Propaganda dürfe man ihn keinesfalls in einen Topf werfen.
Nun liegt unter dem viel zu anspruchsvoll geratenen Titel Religion in der modernen Welt eine Sammlung von Gelegenheitsarbeiten dieses Philosophen vor, die es erlaubt, der Sache auf den Grund zu gehen. Wer hat wen missverstanden? Ist es Herbert Schnädelbach tatsächlich gelungen, wenigstens die Grundzüge dessen klarzumachen, was er als "dritten Weg zwischen Gottesglauben und Atheismus" propagiert?
Deutlich wird in der Tat, dass Schnädelbachs Aversion nicht so sehr gegen das Christentum gerichtet ist, sondern gegen einen Zeitgeist, der gar nicht mehr weiß, was die aufklärerische Religionskritik einst im Sinn hatte und wie wenig ein zur Selbstverständlichkeit gewordener Unglaube von diesen Hoffnungen verwirklicht. Deshalb bemüht der Autor sich im ersten (und vielleicht) besten Kapitel des Buches um den Nachweis, wie sehr die aufklärerische Religionskritik in Kontinuität stand zu Motiven, die schon die christliche Kritik an vorchristlichen Mythen kennzeichneten. Er betont auch, was heute keiner Hervorhebung mehr bedürfen sollte, dass die Aufklärer des 18. Jahrhunderts in ihrer großen Mehrheit keine Ungläubigen waren. So kennt man den Autor aus seinen philosophischen Schriften: als von der kritischen Theorie geprägten Freund rationaler Argumentation, voller Skepsis aber auch gegen jede schulmäßige Monopolisierung des "kritischen" Anspruchs und intensiv um eine Theorie der Typen und Reichweite solchen Argumentierens bemüht.
Wie gegen einen simplen geschichtsvergessenen Atheismus richten sich Schnädelbachs oft recht polemische Ausführungen auch gegen alle Versuche zur Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Glaubens. Er protestiert entsprechend gegen alles Gerede über Religion als sozialen "Kitt", als Sicherung der kulturellen Identität, als Grundlage der Moral, als Basis der "Wertevermittlung", als Gelegenheit für bestimmte ästhetische Erlebnisse und, nicht zuletzt, als "kommerziell verwertbares Warenlager". Da werden ihm die Gläubigen nicht widersprechen, sondern eher aufatmen, dass sie einen ernsthaften ungläubigen Gesprächspartner gefunden haben.
Doch Schnädelbach lässt auch an zeitgenössischen intellektuellen Verteidigern des Glaubens kein gutes Haar. Den deutschen Protestantismus der Gegenwart nimmt er nur als "weichgespülte Geborgenheitsreligion" wahr, in Gestalt einer selbstzufriedenen Weltfrömmigkeit, bei der von einer Infragestellung des eigenen Lebens durch radikale Aufforderung zur Umkehr nichts mehr zu spüren und Theologie zur Religionshermeneutik verdünnt worden sei. Der Katholizismus ist bei Schnädelbach zumindest in seiner lehramtlichen Gestalt "prämodern" geblieben: Damit meint er ein Verständnis des Glaubens, das diesen nicht aus subjektiven Erfahrungen der Evidenz und Gewissheit heraus begreife, sondern aus pseudokognitiven Sätzen, zu deren Fürwahrhalten sich Gläubige aus Gehorsam entschlössen, was allerdings nicht ohne das Opfer des Intellekts, des Anspruchs auf Selbstdenken, abgehen könne. Die Passagen der Kritik an jedem Fundamentalismus und am "Islamismus", den er kurzerhand mit Terrorismus gleichsetzt, sind extrem knapp und stellen keine eigentliche Analyse dar.
Kommentare
Meinung eines dummen Physikers
Gott als Komplement zu dem, was man weiss? Seit 300 - 400 Jahren wird Gott immer kleiner! Im Übrigen glaube ich nur fest an die Naturwissenschaften und bin darüber sehr traurig, dass ich nicht noch viel länger leben kann, bis der Gottesspuk einer noch viel weitergehenden wissenschaftlichen Durchdringung gewichen ist. Nicht das ich ohne Glauben wäre! Ich glaube z.B., dass bei geeigneten Parametern (Temperatur, Druck, Konzentration der verschiedenen Elemente, besonders von Kohlenstoff usw.) die Entwicklung zu dem, was wir als Leben bezeichnen, zwingend erfolgt und der Eingriff irgendeiner Schimäre überflüssig ist. Aber ich bin ja nur ein dummer Physiker! --- Im Übrigen: Welchen Gott soll ich anbeten? Marduk, Ishtar, Moloch, Zeus usw.? Warum das liebe Jesulein oder Allah?
Sie glauben fest an die Naturwissenschaften. Das heißt: sie GLAUBEN nicht, dass jenseits der dinglichen, empirisch erfahrbaren Welt noch etwas sein könnte. Sie GLAUBEN! Das ist intellektuell sehr redlich formuliert und ihr gutes durch die Religionsfreiheit verbrieftes Recht.
Dieu me pardonnera, c'est son metier.(Heine)
Liebe Leute, so kommen wir nicht nicht weiter...Diese Diskussion hier haben die meisten offensichtlich schon x-mal geführt und diverse Foren sind voll davon.
Ich möchte in Anlehnung an Habermas einen neuen Ansatz versuchen und schlage vor, die Welt nicht zwischen Glauben und Wissen, sondern zwischen Tolerant und Intolerant zu teilen. Müssen nicht liberale Menschen, egal ob atheistisch oder religiös, unsere Gesellschaft zusammen gegen religiösen und wissenschaftlichen Fundamentalismus verteidigen? Liegt es nicht im Interesse von uns Allen, die Menschenrechte und die Freiheit zu bewahren? Ich mag sehr die Denkanstösse von Schnädelbach und die Visionen von Küng; ich mag Anselm und Kant.
Ich für meinen Teil werde auch weiterhin gegen die engstirnigen und ideologischen Meissners und Dawkins' Position beziehen!
Konsequenzen
die sich aus Ihrer Forderung ergeben sind für einen sekular demokratishcen Staat schlicht nicht akzeptabel.
Dabei gibt es grundsätzlich kein Problem, auch vom NaWi - Standpunkt aus gesehen, noch so aberrante Ansichten hinzunehmen bzw. zu tolerieren. Nur kann und darf das sich jeder Begründung entziehende Glauben keinen Einfluss auf wesentliche Lebensbereiche haben. Beispiel: Das beliebte "Beleidigtsein" irgendwelcher Frömmler welche dann versuchen daraus politisches Kapital zu schlagen.
Persönlich sehe ich nicht wie Menschrechte und Freiheit gegenüber Fundamentalisten bewahrt werden kann als durch deren Bekämpfung.
Was ist eigentlich wissenschaftlicher Fundamentalismus?
Karl Müller
So sollte es sein, aber dann gäbe es keine Diskussion, denn Fundamentalisten, egal ob religiöse oder atheistische, haben daran kein Interesse.
Fundis <> Athis
Hier zitiere ich mich mal selbst, weil die Begriffsverwechslung, die Ihnen unterlief, hier schon mal vorkam: *räusper*
Die "fundamentalistischen Atheisten", von denen Sie reden, gibt es gar nicht - schließlich ist "Fundamentalismus" per Definition eine Bewegung, die ein bestimmtes theistisch-religiöses Werk als Fundament für ihr Leben anerkennt. "Fundamentalistische Atheisten" KANN es daher gar nicht geben, das ist wie "autohassende Gebrauchtwagenhändler" oder "sportsüchtige Stubenhocker" etc.
Wenn Sie damit etwas anderes meinen (z.B. stur, unhöflich, intolerant o.ä.), sollten Sie lieber das passende Wort verwenden. ;-)
ja und weiter
... wenn Sie wenigstens Wikipedia zu Rate ziehen würden. Unter Schlagwort 'Fundamentalismus' werden sie schnell merken, dass es auch nicht-theistischen Fundamentalismus gibt!
Gruß
Wiipedia!
Ich gebe auf - Wikipedia hat es gesagt, ergo gibt es tatsächlich Leute, die nicht an Gott glauben, aber ein theistisch-religiöses Werk als Grundlage für ihr Leben akzeptieren. Meine Fresse, ich bin baff!! Ich verneige mich in Ehrfurcht vor Ihrer Fähigkeit, Logik mit Wikipedia zu übertrumpfen! ;-)
(Übrigens kommt der Begriff 'Atheist' im ganzen Artikel nicht vor - und darum ging es! Wikipedia sagt auch ganz klar, dass die Verwendung dieses Begriff im nicht-religiösen Bereich sehr problematisch ist. Also was glauben Sie, hilft Ihnen der Artikel?! Der stimmt mir doch eher zu!)
Achherrje, sind Sie platt....Mehr fällt Ihnen nicht mehr ein? Können oder wollen Sie nicht zwischen den Ursprüngen eines Begriffes und seiner Bedeutung unterscheiden? Schauen Sie einfach in den Duden oder meinetwegen in die Wikipedia, aus der ich zitieren darf:
"Im weitesten Sinne wird als fundamentalistisch eine religiöse oder weltanschauliche Bewegung bezeichnet, die eine Rückbesinnung auf die Wurzeln einer bestimmten Religion oder Ideologie fordert, welche notfalls mit radikalen und teilweise intoleranten Mitteln durchgesetzt werden soll."
Auf diesem Niveau lohnt sich für mich eine weitere Diskussion nicht. Selbst wenn Sie Recht hätten, läge hier nur eine Begriffsverwechslung, eine Art Formfehler, vor. Nehmen Sie zu den Inhalten Stellung, dann kommen wir wieder ins Gespräch!
Tante Wiki sei Dank
na immerhin es geht vorwärts. Ich sprach ja auch von 'wenigstens'. Wenn Sie nun noch zur Kenntnis nehmen, dass der sog. 'Neue Atheismus' selbst schon religiöse Züge annimmt, dann ist es nicht mehr weit zum sogenannten 'wissenschaftlichen Fundamentalismus', welches der 'Fundamentalismus' des religiösen Atheismus ist.
Gruß
Ich glaub nicht an Atheismus
Religion ist ein so kompletter Unsinn, dass auch ihr Gegenteil falsch ist, weil beide komplett kontextfremd sind in diesem Universum. Ob die Evolution anderswo weiter entwickelte, intelligentere Spezies als uns hervorgebracht hat? Man möchte es hoffen. Sind die dann Götter? Clarkes Erster Satz:
Jede weit genug fortgeschrittene Technik erscheint als Magie"
klärt hier das Nötige.
Spekulationen über Selbst-bewusste Entitäten jenseits dieses oder eines anderen Universums sind poetisch, aber obsolet.
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Lassen wir Taten folgen:
Werden Sie Mitglied, wählen Sie die Piratenpartei.
Für Freiheit und Demokratie.
Denn etwas besseres als den Tod finden wir überall.
Selbst wenn Sie Recht haben, dürfen Menschen anderer Meinung sein, oder? Ob es Gott, Ausserirdische oder Elfen gibt ist völlig egal; Menschen haben schlicht das Recht, an diese Dinge zu glauben. Und sie haben das Recht, ihre Überzeugung in den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess miteinbringen zu dürfen, egal wie wissenschaftlich begründbar diese Überzeugung ist.
Wollen Sie ernsthaft dahinter zurück? Eigentlich hatte Ihre Partei als eher progressiv in Erinnerung...
atheisten jeglicher couleur verbindet letztlich auch nur ihr nichtglauben an einen gott, darunter gibt es zahlreiche ausprägungen.
weshalb ich dawkins kampagne, auch wenn sie etwas missionarisches hat, trotzdem gut finde ist der hintergrund das ich als nicht-gottesgläubiger mir wünschen würde das ein so fortgeschrittenes land wie deutschland endlich an den punkt kommen muß an dem es gesellschaftlich nicht akzeptiert wird wenn die kanzlerin einen (christlichen) gottesbezug in der eu-verfassung fordert.
gottesglaube oder unglaube muß privatsache sein, religion erst recht.
insofern verstehe ich dawkin als kämpfer nicht für etwas, sondern gegen etwas.