Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist eine Geschichte der Subversion. Die Museen abfackeln! Die Opernhäuser sprengen! Die Welt zur Bühne machen! Das war der Traum vieler Künstler. Nichts Geringeres hatten sie vor, als Kunst und Leben zu einem neuen Glück verschmelzen. Und immer neue Künstler kamen und versuchten sich an diesem Glück. Ob Dada, Surrealismus oder Fluxus – sie alle wollten die Verhältnisse zum Kippen bringen. Subversion hieß: das herrschende System unterwandern, es mit allen Mitteln der Kunst bekämpfen.
Und heute? Was können die Musiker, Schauspieler, die Schriftsteller und Künstler noch ausrichten? Was bedeutet Subversion in einer Zeit, in der sich das System selbst unterwandert hat? In der die Verhältnisse so instabil sind wie schon lange nicht mehr – und sich doch nichts verändern will? Was heißt es, wenn alle von Krise reden, vom Ende der neoliberalen Überheblichkeit – aber niemand zu sagen vermag, was denn die Alternative zum Kapitalismus wäre? Die subversive Avantgarde von einst konnte noch von der klassenlosen Gesellschaft träumen, wo aber ist die Utopie des Jahres 2009?
Derzeit kampiert sie für einige Tage im Hamburger Hafen. Über hundert Künstler sind aus aller Welt auf den Strandkai der Hafencity gekommen, zum großen Festival Subvision, das von kommender Woche an öffentlich darbietet, was sonst meist im Verborgenen bleibt. Eine Kunstwelt im Off, fernab der üblichen Galerien, Messen und Biennalen. Künstlergruppen, die das Geld- und Gierspektakel der Sammler und Galeristen verachten. Statt sich vom Publikum bejubeln zu lassen, wollen diese Künstler es noch einmal wagen: subversiv zu sein.
Das verdient schon deshalb Bewunderung, weil der Begriff der Subversion kaum noch zu fassen ist. Die einen glauben, subversive Kunst müsse besonders schräg und aggressiv und unverständlich sein. Andere halten es für subversiv, ihre Leinwand gegen eine Plakatwand einzutauschen, um so politische Parolen unters Volk zu bringen. Und natürlich gibt es stets jene Künstler, für die sich kaum jemand interessiert – und die sich allein deshalb subversiv nennen.
Auch auf dem Hamburger Festival sind viele Spielarten des Subversiven zu besichtigen. Die Künstler DG. Reiß und Katharina Kohl zum Beispiel bauen auf dem Strandkai einen Kunst-Imbiss auf, eine Bratwurstbude, die "kunstscheue Besucher" anlocken soll und zum Zwecke der "ambulanten Kunstversorgung" statt Pommes diverse Klein-Editionen verkauft. Und die Künstler von der Hamburger Noroomgallery träumen von einer "sehr, sehr großen Discokugel", die von einem Hubschrauber herabbaumeln und am Eröffnungsabend über dem Festival schweben soll. Doch was ist daran subversiv?
"Die eigentliche Profession der Kunst ist die Produktion von Präsentations- und Vermittlungsformen", erklären die Künstler der Noroomgallery. Die tschechischen DIVO-Künstler wollen eine Alternative zur "Langeweile und Orientierungslosigkeit in der zeitgenössischen Kunst" bieten. Und ähnlich agieren viele der eingeladenen Gruppen erstaunlich selbstbezogen. Wenn sie sich um etwas subversive Sorgen machen, dann vor allem um die Gepflogenheiten des Kunstbetriebs.
Sie treten an gegen Geniekult und Kunstfetischismus, gründen Initiativen und eigene Kunsträume, um gemeinsam zu arbeiten und auszustellen. Sie suchen nach neuen Formen der Kunstproduktion und -verbreitung, denn noch immer werden die künstlerischen Vertriebs- und Karrierewege oft von Galeristen und Sammlern beherrscht. Schon deshalb ist es richtig, "neue Plattformen" zu gründen, wie das die Künstlergruppen in Hamburg nennen.
Kommentare
Was meiner Meinung nach in dem Artikel zu kurz kommt, ist die zweite Komponente des Festivals: "subvision" besteht nur zu einem Teil aus Subversion, zum anderen jedoch aus Vision. Somit wird der umstürzlerische Charakter relativiert und durch eine positiv-utopische Note ergänzt. Es bleibt abzuwarten, was die eingeladenen Künstler-Gruppen für Visionen parat halten.
www.synecstasy.com
Hintergründe
Ein ungewöhnlicher, nach allen Seiten offener Artikel. Im Kontext mit den Schwierigkeiten von kleinen Hamburger Kunstplattformen ("Off- Spaces") bei der Beantragung von öffentlichen Fördergeldern im Gegensatz zur Bepuderung anerkannter Kulturunternehmungen wird doch schnell deutlich, woher der Wind kommt und wohin er bläst.
Die bei subvision eingeladenen von ausserhalb kommenden Künstler stehen ausserhalb jeder Kritik, woher sollen sie auch wissen wie delikat hanseatisch hier in Hamburg DIE Kunst vermarktet wird?
Ein selbsternanntes "Off- Festival" der Kunst mit einem umstrittenen Hochschul- Häuptling als Initiator... Die Diskussion in den blogs zur Namensgebung und zum Programmentwurf wäre nicht nur spannend sondern auch unterhaltsam, wenn es für die wirklichen Off- Spaces in Hamburg neben der freiwilligen Arbeit nicht immer wieder ums nackte finanzielle Überleben gehen würde.
Wer sich bei diesem Hintergrund als gut dotiertes Festival mit solchen Off- Federn schmückt um (ja was?) auf sich aufmerksam zu machen und somit Besucher zu verführen, verkennt die ernste Lage der kleinen Kunsträume und tritt diese mit Füßen. Es geht hier ja nicht um Kunst, es geht hier um schnöde Politik. Baukotze bleibt Baukotze, die Hafencity bleibt den Gutbetuchten und ein Bürgermeister baut sich sein Denkmal, da ändert auch ein bißchen herbeigeschaffte Subkultur nichts. Elbphilharmonie, Dockville, IBA, subvision - der Wind kommt aus einer Richtung, der Fisch stinkt vom Kopf.
Wut.
www.farblotion.de
Subversion
Verehrter Hanno Rauterberg,
wir sind einigermaßen verwundert, dass in Ihrem Artikel KUNST-IMBISS - wenn auch "handzahm", aber doch in eine Reihe gestellt wird mit dem Nike-Konzern, adidas oder Comme des Garcons.
Solche Absichten hatten wir nie, auch wenn unsere (nicht vorhandene) Marketing-Abteilung sich darüber freuen würde. Das ist nur scheinbar eine Frage des Budgets.
Es war zu jeder Zeit schwierig künstlerisch zu arbeiten und es wurde immer gejammert über die jeweiligen zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler. Das ist völlig normal - auch dass die jeweiligen Ansätze nicht eingeordnet werden können.
Für uns hatte die Frage, ob Kunst-Imbiss ein subversives Projekt ist bisher keine Bedeutung - obwohl wir hinreichend politisch sozialisiert sind!
Das 'gewohnt Subversive' scheint heutzutage nicht mehr von Belang. Wahrscheinlich genau aus den Gründen, die Sie anführen.
Beste Grüße vom Kunst-Imbiss
PS: wir haben uns über den Beitrag ihres Ressortleiters bei dradio sehr amüsiert und eine kleinen Video-Kommentar dazu abgegeben:
http://www.kunst-imbiss.d...
My two cents
Hochinteressant. Das OFF als ON. Was gibt es für Auswege, wenn man nicht ON sein will? Das Problem kennt man eigentlich seit Duchamps Pissoir. OFF als ON seit 70 Jahren! Gab es nach dem Pissoir eigentlich noch ein wirkliches OFF? Es kamen doch nur visuelle Scheinrevolutionen. "Shocking" war das Modewort der angeblich Angegriffenen. Die Spielregeln wurden zum Vorteil aller peinlichst eingehalten - von allen.
In Hamburg gibt es also ein künstlerisches und ideelles Chaos! Ein Wirklich? In Hamburg? Von der Hansestadt Hamburg organisiert? Mit polizeilicher Genehmigung und Segen des Ordnungsamtes? Aber doch hoffentlich unter Einhaltung bestimmter Regularien! Wahrscheinlich werden auch noch Preise für das größte Chaos, den größten Protest, die größte Verweigerung vergeben? Und wahrscheinlich werden diese Preise auch noch angenommen.
Vision? Was? Etwa der nächste Abgrund? Eine Ideenschmiede für den nächsten großen Gesellschaftsentwurf? Bitte nicht. Oder stehen die alten Kameraden wieder auf? Bei Gott!
Malen wir den Teufel und das Elend nicht an die Wand. Heute gilt in Hamburg: Schicker (chicer) gehts nimmer! DOCH: Hier ist ein Wendepunkt!
Das organisierte Chaos ist ein Höhepunkt und zugleich ein Präludium. Climax des Chaos und Präludium des Kommenden: Es wird in Zukunft wieder nur um Ordnung, Disziplin, Gegenständlichkeit, die Scholle, Führung, Gehorsam gehen. My two cents. Oder?
Aber vielleicht ist Hamburg doch zu klein, zu unbedeutend und das Ganze nur ein Sturm im Wasserglas? Society small talk? Girlanden für die neuen Baudenkmäler (die ich im übrigen Hamburg gönne)? Pseudosensation, Alibikunst? Also doch kein Wendepunkt? Noch nicht? Ein Bausteinchen zum Wendepunkt?
Auch Amsterdam hat in seinem goldenen Zeitalter diese Pow-Wows erlebt und lebt heute noch davon. Also: Hamburg! Das Chaos stimmt ein in die Ode an die Freude. Gück auf! Vielleicht bleibt von der Kunst in 100 Jahren noch etwas übrig.