Radioaktiver Strahler gestohlen«: Die Suchmeldung der Struktur- und Genehmigungsbehörde Nord in Koblenz klang beunruhigend. Am 16. März dieses Jahres hatte ein Dieb einen Tresor aus einer Firma im rheinland-pfälzischen Niederzissen entwendet – und mit ihm ein Messgerät, das mit einer radioaktiven Americium-241-Quelle arbeitet. Ein Gerät, mit dem die Getränkeindustrie Füllstände in Bier-, Wein- oder Limonade-Tanks kontrolliert. Wissenschaftlich korrekt, versuchte die Strukturbehörde zu beruhigen: »Solange der Metallbehälter oder die Abschirmung des Strahlers nicht geöffnet werden, besteht keine Gefahr.« Doch als die Suchmeldung über den gestohlenen Americium-Strahler kurze Zeit später beim Bundesamt für Strahlenschutz eintraf, gingen dort die roten Lampen an.
Der Diebstahl des Füllstandsmessers war bereits der fünfte Verlust einer Americium-241-Quelle binnen fünf Monaten in Dänemark und Deutschland – für die Strahlenschützer eine beängstigende Serie. Americium-241-Strahlenquellen seien nach Einschätzung von Gerald Kirchner, dem Fachbereichsleiter Umwelt und Strahlenschutz beim Bundesamt, »ähnlich toxisch wie Plutonium«. Das Radionuklid, so das Bundeskriminalamt, eigne sich »grundsätzlich zur Herstellung einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung mit radioaktiver Beiladung« – einer sogenannten schmutzigen Bombe.
Die ungewöhnliche Kette der Verluste und Diebstähle von Americium-Quellen begann in Dänemark. Am 11. Oktober 2008 wurde in Svendborg ein Feuchtigkeitsmesser mit Americium-241 entwendet, der zum Beispiel im Straßen- und Tiefbau eingesetzt wird. Zwischen Weihnachten und Silvester stahlen Diebe zwei Metallanalysegeräte mit Americium-241-Quellen bei ThyssenKrupp in Unna. Nach Ermittlungen der Kreispolizeibehörde hatten die Diebe Insiderkenntnisse – und suchten speziell die beiden Metallanalysegeräte. Und Mitte Februar ging ein weiteres Metallprüfgerät mit dem brisanten Americium-241 verloren: beim Versand mit einem Kurierdienst von Hessen nach Baden-Württemberg.
Die Häufung der Verluste und Diebstähle weckte bei den Experten des Bundesamtes für Strahlenschutz einen brisanten Verdacht. Waren da Leute mit Fachwissen am Werk, die systematisch schwach radioaktives Material für eine »schmutzige Bombe« sammelten? Der Umgang mit Americium-241 fordere von potenziellen Bombenbastlern kein spezielles Fachwissen, sagt Gerald Kirchner: »Es reichen durchschnittliche naturwissenschaftliche Kenntnisse und ein einfaches Chemielabor auf Schulniveau, um das Radionuklid so zu verarbeiten, dass es für terroristische Zwecke verwendbar ist.« Laienchemikern drohten dabei auch keine größeren Gesundheitsschäden. Das Krebsrisiko erhöhe sich nur leicht, im Zeitalter der Selbstmordattentäter sicher kein Hindernis für fanatische Gotteskrieger.
Am 18. März dieses Jahres informierte das Bundesamt für Strahlenschutz das Bundesumweltministerium über den Verdacht, dass »hinter den Diebstählen eine gewisse Systematik steckt« und zwischen ihnen »ein Zusammenhang bestehen könnte«. Umweltminister Sigmar Gabriel nahm den Verdacht so ernst, dass er seinen Kabinettskollegen, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, persönlich unterrichtete. »Wegen der denkbaren Missbrauchsmöglichkeiten dieser Stoffe halte ich es für erforderlich, dass die Fälle analysiert und bewertet werden«, schrieb Gabriel in einem Brief – eine versteckte Kritik der Strahlenschützer am Bundeskriminalamt, das den Verlust der Americium-Quellen zunächst nicht besonders ernst genommen hatte.
Der Alarm der Strahlenschützer erscheint legitim. Weder 2007 noch 2008 war in Deutschland auch nur eine einzige Americium-241-Strahlenquelle abhanden gekommen. Wohl deshalb war die industrielle Nutzung von mittel und schwach radioaktiven Stoffen als Gefahrenpotenzial für schmutzige Bomben bisher auch nicht im Blickfeld deutscher Experten für Nuklearkriminalität und -terrorismus.
Kommentare
Angstmache im Artikel?!
Es ist mir nun nicht ganz klar, ob dies dramaturgischen Gesichtspunkten geschadet ist, aber drängt sich nur mir der Eindruck auf, dass zuerst angedeutet wird, die fünf fehlenden Strahler seien wohl mit System entwendet worden, nur um diesen Eindruck dann im vorletzten Absatz nebenbei wieder richtig zu stellen?
Verschwörungstheorien lesen sich ja viel interessanter, aber gerade im Zeitalter des Online-Journalismus, wo nicht jeder Leser tatsächlich bis zur zweiten Seite eines Artikels geht, finde ich es nicht besonders redlich, derart entkräftende Informationen bis zum Schluss des Artikels zurückzuhalten und möglicherweise grob fehlinformierte Leser zurückzulassen.
Desinformation hat viele Gesichter
Eine solche "Artikelbombe" ist doch bestens geeignet, um von der viel wichtigeren und viel - jedenfalls vom Standpunkt des investigativen Journalismus aus betrachtet - interessanteren Frage nachzugehen, wieviel von den in Schacht Konrad, Asse und Morsleben vergrabenen hochradioaktiven Abfällen, die für den Bau einer schmutzigen Bombe schon während der Hochzeit des Muammar al-Gaddafi in den dortigen Kreisen ganz dramatisch und intensiv diskutiert worden sein sollten.
Dies macht ja auch Sinn.
a. Keine real-existierenden Einlagerungsdokumentationen für die dort verscharrten Plutoniummengen
b. Kein real-existierendes Kontrollsystem, das über die Arbeit der unter Punkt 1 eigentlich zu beschäftigende Registrierungspersonal zu wachen hätte
c. Keinerlei erkennbaren Interessenlagen in den jeweiligen Ministerien und Ämtern, die doch eigentlich mit der Kontrolle der Atomindustrie beauftragt ist, wenn man den vielen Gesetzen glauben würde.
Der heute real-existierende Pakt zwischen den jeweiligen politischen, administrativen und atomwirtschaftlichen Funktionären, der schon seit Mitte der 1970er Jahre als "Der Atomstaat" in den einschlägigen Fachleutegremien
ganz unverblümt diskutiert, von den deutschen Medien jedoch ebenso ignoriert und vertuscht wird, ist der Kern des heutigen deutschen Atomwirtschaftssyndroms.
Bleibt uns also nur noch die Verabschiedung mit der neuen Formel "Na, dann noch einen fröhlichen Rutsch in die Atommüllurne".
Wer Leben retten will, muss heute schon die Umgebrachten von morgen beklagen.
Zu kurz gesprungen
Ich teile die von marcion geäußerte Kritik und gehe noch einen Schritt weiter. Egal ob man mit der konkret fehlenden Menge schwach strahlender Materie nun 3, 5 oder 20 Menschen töten oder schwer gesundheitlich schädigen könnte, muss man doch vielmehr das Drohpotential und die psychologische (Massen-)Wirkung kriminell oder terroristisch (macht ohnehin fast nie einen Unterschied) eingesetzter Nuklearstoffe bedenken. Wo ist Schäuble? Warum ruft er nicht Dutzende von Stäben ein, um die Terrorgefahr zu beseitigen? Irgend etwas mit der Sicherheitslage muss ich wohl falsch verstanden haben.
Und der nächste fällt...
...auf den Mythos von der "schmutzigen Bombe" rein. Die psychologische Komponente dieser Waffe mal aussen vorgelassen, ist sie für Terroristen so gut wie nutzlos.
Die Zahl der durch die Radioaktivität verstrahlten Opfer ist in nahezu jedem Szenario überschaubar. Und die Opfer, die sehr nah dran sind, also eine ernsthafte Strahlendosis abbekommen, werden viel eher an der Sprengwirkung sterben. Das Gebiet muss nach einer solchen Explosion natürlich gereinigt werden, aber selbst wenn nicht, könnten Menschen jahrelang dort leben, ohne tödliche Strahlendosen zu bekommen.
Warum also eine schmutzige Bombe bauen (hoher Aufwand zur Erlangung des Spaltmaterials/ hohe Gefahr, entdeckt zu werden), wenn man für den gleichen Aufwand eine weitaus tödlichere (weil größere) konventionelle Bombe bekommt? Und auch der Verfolgungsdruck ist ein ganz anderer, wenn Nuklearmaterial im Spiel ist.
Also nochmal zum Mitschreiben: Die "schmutzige Bombe" als Terrorwerkzeug ist eine Panikgeschichte aus den USA, die hierzulande auch gern von jedermann nachgeplappert wird. Al Qaida hatte im Fall Jose Padilla wohl die Idee, hat sie aber wieder fallengelassen, als klar wurde, dass die Schäden minimal ausfallen würden. Stattdessen sollte er dann eine Gasexplosion in einem Gebäudekomplex auslösen.
Wer immer noch an die "Bombenstory" (sind wir eigentlich noch im Sommerloch?) glaubt, möchte bitte den Aufsatz von Richard Muller bei Heise lesen (http://www.heise.de/tr/Sc...). Der Mann ist Experte und seine Schlussfolgerung: Das Gefährlichste an einer schmutzigen Bombe sind die Panikreaktionen in der Bevölkerung. Lieber Herr Wagner: Mit Ihrem Artikel haben Sie demnach gerade die Gefährlichkeit dieser Waffe erhöht.
Sie treffen schon den Punkt
Aber ich möchte eins noch aufgreifen: Nicht nur die schmutzige Bombe wird erst durch die Panikreaktionen der Bevölkerung (und der Sicherheitsbehörden!) gefährlich, sondern der Terrorismus als solcher. Terrorismus ist nämlich nicht etwas was man so einfach ausrotten könnte: Terrorismus ist eine Strategie (Es kommt aus gutem Grund keiner auf die Idee einen Krieg z.B. gegen Luftangriffe zu führen). Es geht beim Terrorismus darum den Gegner in Angst zu versetzen. Insofern sind unsere Medien und der Innenminister, wenn nicht selbst Terroristen, so doch zumindest deren Gehilfen: Sie ermöglichen den Terror erst indem sie eine zwar objektiv durchaus vorhandene Bedrohung völlig unverantwortlich hochspielen. Im Bad eine Glühbirne wechseln ist wesentlich gefährlicher für das Individuum als al-Qaida oder dreckige Bomben.
Wer gegen einschneidende Maßnahmen zur Terrorabwehr ist, wird gern als unpatriotisch oder feige dargestellt. Aber tatsächlich trifft genau diese Kritik auf diejenigen zu, die die Angst im Inland erst schüren. Vielleicht sollte man DAS im Zuge der einschneidenden Maßnahmen für mehr "Sicherheit" mal unter Strafe stellen. Wenn nicht ständig panisch über Terrorismus und Gewaltverbrechen berichtet würde, würden sich die Bürger wohl tatsächlich sicherer führen und das wäre nicht nur effektiver, sondern auch zu einem wesentlich geringeren Preis an bürgerlichen Freiheiten zu haben als das was wir bisher vom Innenministerium vorgesetzt bekommen.