Nur 3,18 Euro Stundenlohn für eine Friseurin in Thüringen, 6,50 Euro für die Verkäuferin bei Schlecker, 4,58 für eine Floristin in Brandenburg: Das sind die harten Zahlen, die hinter dem Streit um Hartz-IV-Empfänger und den nötigen Abstand zwischen Lohn und Sozialtransfer stecken. Vor allem Frauen in Dienstleistungsjobs werden schlecht bezahlt – und es gibt immer mehr davon. Familien, die von Arbeitslosenunterstützung leben, erhalten teilweise mehr Geld vom Staat, als ein Geringverdiener am Markt erwirtschaften kann. Ohne wachsenden Niedriglohnsektor gäbe es keine Buchtitel wie Wer arbeitet, ist der Dumme. Ohne all die niedrig entlohnten Wachmänner, Friseure und Verkäuferinnen gäbe es vermutlich auch die Interviews von FDP-Chef Guido Westerwelle und die Bild- Schlagzeilen zum vermeintlichen Wohlleben der Arbeitslosen nicht. Deshalb lohnt es sich, genau darauf zu schauen, warum der Niedriglohnsektor wächst.
Meistens werden die Globalisierung, die Schwäche der Gewerkschaften oder auch die Hartz-Reformen zur Begründung angeführt. Die bedeutsamste Ursache wird übersehen: Mehr und mehr Frauen arbeiten. Man könnte auch sagen, das allmähliche Verschwinden der deutschen Hausfrau ist schuld.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat Deutschland einen weithin unterschätzten Jobboom erlebt. Trotz vieler Krisenmeldungen stieg die Zahl der Arbeitsplätze fast ununterbrochen an. 2008 war das bisher beste Jahr. Während in den Medien vom schwersten ökonomischen Einbruch der Nachkriegszeit die Rede war, meldete die Bundesagentur für Arbeit einen Beschäftigungsrekord: Im November 2008 gab es in Deutschland 40.772.000 Arbeitsplätze, mehr denn je. Auch im Jahr 2009 lag die Zahl der Beschäftigten noch über 40 Millionen. Das sind mehr Jobs als in den Aufschwungjahren 2006 und 2007.
Seit 1960 ist die Zahl der weiblichen Berufstätigen um sieben Millionen gestiegen. Das ist ungefähr so, als sei die Bevölkerung Hessens zusätzlich in den deutschen Arbeitsmarkt integriert worden. Das wurde wenig registriert, da es sich in der Arbeitslosenstatistik kaum niederschlug. Weil viele der neuen weiblichen Arbeitskräfte frisch von der Schule oder der Universität kamen oder vorher Hausfrauen waren, hatten sie sich zuvor nie arbeitslos gemeldet. Als beispielsweise in den Krisenjahren 2004 und 2005 viele zuvor Beschäftigte ihre Stellen verloren, stieg die Arbeitslosenzahl bedrohlich an. Der Zuwachs an Stellen für Frauen wurde dadurch kurzzeitig übertrumpft – und das Frauenwunder am Arbeitsmarkt wurde schlichtweg übersehen. Tatsächlich erlebte Deutschland eine gesellschaftliche Modernisierung im Zeitraffer. Mittlerweile haben in mehreren Bundesländern mehr Frauen einen Job als Männer.
Der Preis für diesen Wandel scheint zumindest in Deutschland darin zu bestehen, dass die neuen Frauenjobs oft schlechter bezahlt und abgesichert sind. Der Arbeitsmarkt ist geteilt nach Geschlechtern. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind größer als die zwischen Ost und West. Zwei von drei Niedriglohnstellen sind Frauenjobs. Im Schnitt verdienen Frauen 23 Prozent weniger.
Das liegt auch an den Frauen selbst. Die meisten Mütter wollen nicht Vollzeit arbeiten, und das nicht nur in den ersten Jahren nach der Geburt. Als Teilzeitkräfte sind sie in einer schlechten Verhandlungsposition – oder fühlen sich zumindest so. Frauen können oft eine schlechte Bezahlung eher hinnehmen als Männer, weil sie das Familieneinkommen nicht allein erwirtschaften. Auf eigenen Beinen stehen können, das wollen inzwischen fast alle. Aber damit fallen sie immer noch hinter Männer zurück, die sich schon bei Berufswahl und Lebensplanung als potenzielle Familienernährer sehen.
Früher lebten die meisten Familien in einem Haushalt mit männlichem Alleinverdiener, nicht berufstätiger Ehefrau und Kindern. Dieses Modell wurde abgelöst durch das Modell "Alleinverdiener plus": Nach der Geburt der Kinder arbeitet Papa weiter 40 Stunden, Mama ungefähr 20. Er hat eine Vollzeitstelle, sie einen Teilzeitjob, oft eine 400-Euro-Stelle – das ist das mit Abstand am weitesten verbreitete und beliebteste Lebensmodell von Eltern in Deutschland. Die Zahl der Teilzeitstellen hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt, von 5,5 auf 11 Millionen. Gerade erst haben die Familienforscher Hans Bertram und Katharina Spiess ermittelt: Nur zehn Prozent der Frauen mit schulpflichtigen Kindern wollen voll berufstätig sein, 60 Prozent wünschen sich eine Teilzeitstelle.
Kommentare
Das gehört auf die Titelseite
Der Artikel über Herrn H. ist nur zum erbrechen und lenkt doch nur vom eigentlichen Thema ab. Genauso wie Herr W. mit seinem Geschwätz über das alte Rom usw. usw.
Wo bitte ist der Unterschied
zwischen den Sklavenlohnerpressungen, die wir heute in Deutschland auf dem Billiglohnsektor in den diversen Wirtschaftsunternehmen in immer extemistischerer Weise vorfinden und den Armutsprostituierten aus dem Osten, die in den Wohlstandhochburgen Stuttgart, München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Leipzig, Dresden und Berlin sich inzwischen sogar für weniger als 30 EURO auf den Rücken legen, damit unsere entsprannungsbedürftigen Leistungsträger und Exzellenzelitarier sich auf Lau entsorgen können.
Es ist noch ein Ergebnis der geistig-moralischen Wende der Herren Kohl und Genscher, die aus Deutschland faktisch ein gewaltiges Zwangsarbeitslager gemacht haben, in dem die Drohung der Arbeitslosigkeit faktisch die Funktion der Maschienengewehre ausüben und die Drohung mit der Kürzung des ALG-II-Geldes die Funktion des unter Strom gesetzen Stacheldrahtzaunes.
Das ist sind die blühenden Länder, in denen heute nicht nur im Mezzogiorno des deutschen Ostens die Menschen immer gewissenloser entwürdigt, entrechtet und entehrt werden. Es ist das Land, in dem schon früher der Tod ein Meister gewesen ist und in dem die Reisevorbereitungen für die "nicht mehr benötigten Erwerbslosen" schon in vielerlei Art und Weise durchdacht werden.
Ob es eine Reise durch die Luft wird, oder ob man denen einfach die medizinische Versorgung optimiert, ist noch offen. Aber - wir sollten nicht überrascht sein, wenn die Mortalität unter ALG-II-Beziehern bald dramatisch ansteigt und die Kosten reduziert.
Guter Artikel aber...
... eine kleine Kritik.
Ich habe noch nie gehört das jemand als "Dumm" bezeichnet wurde weil er lieber für wenig Geld arbeiten geht als H-IV bezieht.
Jeder der sein Geld ehrlich verdient (oder verdienen will) verdient Respekt, egal ob er irgendwo Teller wäscht oder am offenen Herzen operiert.
Zumindest bei mir.
Ich sehe das anders
Ehrlich gesgat, finde ich es zwa rnicht dumm wenn jemand hart arbeitet obwohl er es leichter haben kann, aber ich finde es unnötig und kontraproduktiv. Je mehr menschen bereit sind billige Arbeitskräfte zu sein, die unter schlechten Bedingungen ihre Firmenbosse reicher machen, desto mehr werden solche Jobs auch entstehen und desto weniger wird es jobs geben, die die menschen auf wirklich ernähren können. Eine Putzfrau hat mehr verdient. Die Hotels können sich das leisten. Sie müssen es abe rnicht, also lassen sie es. es mus druck entstehen auf diese Unternehmen, die die Menschen ausnutzen. Mindestlohn muss her. Das Bundesverfassungsgericht hat es doch klar gesgat: Es geht um die Würde des Menschen.
Daher finde ich es bescheuert sich damit zu rühmen, auch schlechte Jobs unter schlechten Bedingungen anzunehmen. Ich finde das mus sjeder für sich entscheiden. Im endeffeckt ist es aber vermutlich besser derartige Bedingungen abzulehnen, wenn die Möglichkeit ebsteht. leider ist es ja derzeit so, dass die Hartz 4 Empfänger in solche Jobs gedrängt werden. Sie sollen Billigkräfte sein, unabhängig ihrer Qualifikation. Dieser Neidriglohnsektor ist gut für die Wirtschaft, weil die Löhne ja geringer sind. Aber schlecht für die Menschen. Da die FDP sich mehr für eine starke Wirtschaft interessiert und weniger für ein menschenwürdiges Leben und geeignete Arbeitsplätze (zb durch den ausbau des öffentlichen Beschäftigungssektors) zieht sie Niedriglöhne vor. Tja, die die haben, bekommen mehr.
immer mehr Frauen machen sich selbständig
Da immer mehr Frauen selbständig werden, werden ja auch die Billigjobs für Frauen verschwinden, nicht wahr?
Auf jeden Fall ist diese Form von Sklaverei von unseren Herrschenden bewußt herbei geführt worden und sie wird bewußt betrieben. Völlig absurd finde ich in diesem Zusammenhang, daß es solche Berufe wie "Bäckereifachverkäuferin" gibt: die Ausbildungszeit ist eindeutig schlimmste Ausbeutung bei geringstem Gehalt, da gibt es nicht viel zu lernen.