Funktioniert sie jetzt endlich richtig, die "größte Maschine der Welt"?
Angenommen, ein Hochhaus würde fast doppelt so teuer wie geplant und wegen kaputter Steckdosen verzögerte sich die Schlüsselübergabe um ein Jahr. Würde man dem Bauherrn gratulieren? Eher nicht.
Der Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) am Genfer Forschungszentrum Cern hat eine ähnliche Vergangenheit – gefeiert wird dort trotzdem. Denn die ringförmige Partikelrennbahn ist die größte je zusammengebaute Maschine, ein Unikat also. Das ist eine gute Ausrede, wenn etwas schiefläuft. Und es lief viel schief . Was dort passiert, wenn die Maschine läuft, verstehen nur Physiker wirklich. Sie können also selbst definieren, wann sie Erfolge feiern. Und mit Fanfarenmeldungen geizte man in den vergangenen Wochen nicht. November 2009: erste Kollisionen im LHC; neuer Weltrekord der Teilchengeschwindigkeit; Dezember 2009: Teilchen jetzt noch schneller, also wieder Weltrekord; 19. März: Teilchen noch einmal schneller, wiederum Weltrekord; 30. März: Teilchen mit erneuter Rekordgeschwindigkeit kollidiert. Alles klar?
Tatsache ist: Die Maschine läuft mit halber Kraft. In zwei Jahren soll sie noch einmal gewartet werden, danach wird Vollgas gegeben. Interessante Ergebnisse werden die Physiker frühestens in einigen Monaten veröffentlichen. Bis dahin findet man sicher noch manche Gelegenheit zum Feiern.
Wozu treibt man unter Genf überhaupt den ganzen Aufwand?
Teilchenphysik funktioniert ungefähr so, als würde man ein Klavier aus dem vierten Stock auf ein zweites Klavier am Boden fallen lassen, um aus dem Geschepper auf die Existenz der Note Fis zu schließen.
In Beschleunigern wie dem LHC prallen Atomkerne aufeinander. In ihren Trümmern suchen Physiker nach Spuren der Elementarteilchen, der Bausteine der Atome – und damit der ganzen Welt, inklusive Sonne, Mond und Sterne. 18 dieser Bausteine enthält das derzeitige Standardmodell der Physik (wie sie aussehen, weiß niemand). Entdeckt wurden alle bis auf eins, das Higgs-Boson. Am LHC will man es endlich finden.
Europäische Forscher rechtfertigen die Milliardenkosten dafür so: Teilchenphysik ist Grundlagenforschung, und die gehört zur Kultur genauso wie ein Opernhaus. Dank der Beschleuniger verstehen wir, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und außerdem wurde am Cern das World Wide Web erfunden.
Können die Physiker damit jetzt auch den Urknall simulieren?
Nein. Der Urknall selbst bleibt unerreichbar. Das Universum begann, so glauben die meisten Fachleute, unendlich dicht, unendlich heiß und unendlich klein. Zu viel der Unendlichkeit, um im Labor nachgespielt zu werden. Erst von dem, was danach kam, haben die Physiker ein Bild. Die unsagbar heiße Energiesuppe dehnte sich aus, kühlte sich ab und ordnete sich dabei in Strahlung und verschiedene Sorten von Materieteilchen – ungefähr so, wie aus Wasserdampf zuerst Tröpfchen kondensieren und dann Schneeflocken kristallisieren.
Mit Teilchenbeschleunigern versuchen die Physiker, diesen Prozess umzukehren und sich Stück für Stück an den Urknall heranzuarbeiten. Der LHC beschleunigt Teilchen auf bisher unerreichte Energien, simuliert also Bedingungen, die näher am Urknall sind als je ein Experiment zuvor. Er dringt bis in die erste Nanosekunde des Universums vor, als das All erfüllt war von einem Plasma aus Quarks und Gluonen. Eine Nanosekunde danach ist wenig Zeit, aber physikalisch ist der Urknall auch von dort noch unendlich weit entfernt.
Was hat es mit dem Higgs-Teilchen auf sich?
Es ist das letzte Elementarteilchen aus dem Standardmodell , das noch fehlt – und jenes, das den Schlüssel zu allen anderen verspricht. Denn nach einer Theorie des britischen Physikers Peter Higgs aus den sechziger Jahren muss ein bislang unbekanntes Feld ("Higgs-Feld") alles durchdringen und sämtlichen anderen Elementarteilchen ihre Masse verleihen.
Anschaulich lässt sich der Higgs-Mechanismus mit einer Cocktailparty unter Politikern vergleichen: Zu Anfang sind die Anwesenden gleichmäßig verteilt, doch sobald der Premierminister den Raum betritt, versammeln sich viele um ihn herum, auch wenn er sich durch den Raum bewegt.
Kommentare
Das Trommelfeuer der Ur-Knall-Kopf-Theorie
Das große Märchen vom Urknall.
Wenn genug honorige Wissenschaftler eine Theorie vertreten wird sie zum Paradigma und wir verneigen uns mehrheitlich und heldenfürchtig vor diesen selbsternannten Genies.
Es war schon immer in der Geschichte der menschlichen Rasse so,das die Masse der Menschen der Gruppendynamik und Suggestion mit ihrer magnetischen Energie wie Schäfchen hinterherläuft.
Der Prophet galt im eigenen Land noch nie etwas.
Diese Theorie ist wirklich nur eine Theorie.
@1: Semantik
Eine Theorie in wissenschaftlicher Ausdrucksweise kommt dem Faktum in der Umgangssprache schon sehr nahe. Insofern ist die "Urknall-Theorie" der Wissenschaft die Erklärung des wissenschaftlichen "Faktums", dass sich alle Materie auf genügend großer Skala von uns weg bewegt. Gleichzeitig erklärt die Theorie die Fakten der kosmischen Hintergrundstrahlung, der Dichte leichter Elemente und deren Isotopen sowie das Alter beobachteter Sterne.
Sofern Sie für all diese Beobachtungen keine bessere Erklärung haben, ist die Urknalltheorie die Beste momentan zur Verfügung stehende, und die sie unterstützenden Beobachtungen heben diese wissenschaftliche Theorie auf dasselbe Niveau, welches gesellschaftlich als Faktum bezeichnet wird.
Was ist an der Physik anders?
Außer der Physik selber ist noch eine Frage interessant: Ich bin nicht im Bilde darüber, wie viele Menschen weltweit die Theorie so weit durchschauen, dass sie mitreden können - vielleicht sind es nur ein paar hundert.
Wie schaffen es also diese paar hundert Physiker, bei der Staatengemeinschaft für so ein Projekt -zig Milliarden locker zu machen, wenn sie nichtmal den praktischen Nutzen voraussagen können?
Bei politischen Entscheidungen dieser Größenordnung muss sonst jeder Minister haarklein Kosten und Nutzen gegeneinander aufrechnen und der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Was ist an der Physik anders?
Als Volta
die erste Voltasche Säule entwickelte, konnte er den praktischen Nutzen auch nicht vorhersagen. Wie auch?
gründe
Es liegt nicht an der Physik sondern an der Grundlagenforschung im allgemeinen.
Politiker bauen mist/ müssen den Mist ihrer Vorgänger ausbaden
=> entweder sie lösen die Probleme , oder sie investieren öffentlichkeitswirksam in die Forschung und verkaufen die missstände als unvermeidlich
=> alle lieben sie
Deshalb machen es die Politiker.
Das heißt aber nicht ,dass Grundlagenforschung überflüssig ist im Gegenteil sie ist wichtig. Die Wichtigkeit wird wiebei allen großen Erkenntnissen meist nur in der Rückschau erkannt.
Bessere Idee?
Wenn jemand eine bessere Theorie (die die sehr vielen Beobachtungen erklärt) als die des Urknalls entwickelt, dann wird diese als allgemeingültig anerkannt. Ich gehe mal davon aus, dass die diese Theorie entwickelt haben. Dann können Sie sie gerne veröffentlichen und wir können sie alle nachrechnen, mathematisch überprüfen...
Es ist mir unbegreiflich warum so viele Menschen das Zustandekommen der Theorien und Modelle in den Naturwissenschaften als dogmatischen Prozess oder ähnliches (Stichwort: Verschwörung) sehen.
Nur weil man etwas nicht versteht heißt es nicht, dass es nicht so ist, oder das es andere verstanden haben könnten. Jeder ist ein Experte auf seinem Gebiet, aber auf anderen Gebieten vertraue ich den Experten auf den anderen Gebieten. Schließlich kann ich mich ja z.B. nicht selber behandeln wenn ich krank bin, denn ich bin kein Arzt. Auch wenn ich dazu in der Lage wäre mir Medikamente im Labor zu synthetisieren. Mit der Physik ist es ähnlich. Irgendwann kapituliere ich vor der notwendigen Mathematik, daher muss ich einen Physiker zu rate ziehen. Allerdings kann sich ja auch jeder hinsetzen, ein Physikstudium absolvieren und dann die Urknalltheorie überprüfen. Also tun sie nicht so, als wäre sie vorgegeben. Sie können sie ja selber überprüfen.
Einfache Antwort
Das liegt an unserem ach so tollen Bildungssystem: man muss
i) lesen, schreiben und rechnen koennen (essentiell)
ii) Goethe kennen und Schiller (was okay ist)
iii) Englisch sprechen (auch okay)
iv) eine zweite Fremdsprache kennen (mglst. noch eine dritte, ach was je mehr desto besser)
v) die Bibel kennen
vi) die wichtigsten Sparten in den Wissenschaften kennen
vii) und in den Kuensten nicht ganz unbewandert sein
Dabei sind iv) und v) vollkommen ueberfluessig, und der arme Schueler weiss immer noch nicht was denn der Unterschied zwischen v) und vi) ist.
Ich fordere immer noch das Pflichtfach Erkenntnistheorie, das schliesst ja sogar die Religion mit ein.