Wen genau meinen wir eigentlich, wenn wir von "Muslimen in Deutschland" reden? Meinen wir wirklich vier Millionen Unbekannte in irgendwelchen Sozialstatistiken?
Nur wenige deutsche Muslime haben es zu bundesweiter Prominenz gebracht: der Filmemacher Fatih Akin zum Beispiel, Aygül Özkan, die neue Sozialministerin von Niedersachsen, oder Mesut Özil, der Fußballspieler von Werder Bremen. Aber wenn wir uns fragen, ob es unter unseren Nachbarn, Kollegen, Freunden, Familienangehörigen auch Muslime gibt – auf wie viele kommen wir dann? Wie vielen sind wir nach Jahrzehnten der Einwanderung nach Deutschland begegnet? Und wie viele Muslime in Deutschland haben mehr als nur flüchtige Kontakte zu Christen, Juden, Atheisten?
Die ZEIT hat diese Fragen gestellt. Wir wollten von Politikern, Schriftstellern, Krankenschwestern, Arbeitern und von unseren Kollegen aus der Redaktion wissen: Wann war Ihr muslimischer Moment? Wir haben sie, Muslime wie Nicht-Muslime, um Anekdoten und Erinnerungen an Erlebnisse mit dem "anderen" gebeten, um Alltagserlebnisse, die keine alltäglichen Gefühle ausgelöst haben, sondern: Erstaunen, Hilflosigkeit, Glück, Wut oder Angst. Entstanden sind lauter wahre Short Storys, die von den Berührungspunkten zwischen den Kulturen, Konfessionen, Glaubenswelten handeln.
Wer die Begebenheiten nacheinander liest, bekommt auch eine Ahnung von der Blutleere und Lebensferne der gängigen Diskurse über Zuwanderung und Integration. Das ist jedenfalls die Absicht dieser Collage: Wir wollten heraus aus den anonymen politischen Debatten, die sich nicht mit Menschen befassen, sondern – auf beiden Seiten – vorzugsweise mit Klischees hantieren, mit Stereotypen und Ängsten, mit "Kopftuchmädchen" und "Islamkritikern", mit Importbräuten" und "Ausländerhassern". Wir wollten näher an die Wirklichkeit heran, in den verschiedensten Facetten, in möglichst unterschiedlichen Tonlagen.
Viele der Autoren, die wir um einen Text gebeten haben, haben begeistert mitgemacht. Gar nicht wenige aber, von denen wir uns einen Beitrag gewünscht hätten, haben abgelehnt – auch das gehört zum Bild. Manche, weil sie den Gedanken, in Menschen Gläubige zu erkennen, empörend fanden. "Keine individuellen Menschen vor sich zu sehen, sondern, je nachdem, Juden, Muslime, Kommunisten, Anthroposophen, führt zu Mord und Totschlag", schrieb uns eine Berliner Schriftstellerin, und ein anderer Autor meinte: "Es gibt in Deutschland keine Begegnungen mit dem Islam, sondern ständige Begegnungen mit Verlierern, die in einem aussichtslosen, unnötigen Überlebenskampf untergehen und gegen einander gehetzt werden." Andere lehnten ab, weil sie sich nur an schlechte Erfahrungen mit Muslimen erinnern konnten, die sie nicht verallgemeinern wollten. Sie hatten die Befürchtung, als fremdenfeindlich oder islamophob angesehen zu werden. Und ziemlich viele haben nichts geschrieben, weil ihnen, als sie über unsere Frage nachdachten, plötzlich auffiel, dass in ihrem Leben gar keine Muslime vorkommen – abgesehen von einigen Taxifahrern und Gemüsehändlern vielleicht.
Anm. d. Red.: Die insgesamt 50 Kurztexte finden sie nach und nach veröffentlicht in unser Serie Muslimische Momente.
Kommentare
Muslime?
ich hab sie in der Familie - warum nicht? Und in der Familie gibt es eben natürlicherweise sowohl Liebe und Zuneigung als auch Streit ... so sind die Menschen. Hauptsache, man verträgt sich wieder, und pflegt keine langdauernden Vorurteile und negativen Gefühle, und klärt Probleme, sobald sie auftreten.
ca. 4000
Jahre Zivilisation. Dutzende "Weltmächte" die kamen und gingen, "Herrenrassen" die sich immer auf ewig überlegen fühlten und deren nachkommen heute teilweise "sklavendienst" verrichten. 4000 Jahre in denen eine jämmerliche Kohlenstoffverbindung sich anmass der Herr des Universums zu sein.
Man müsste meinen wir hätten gelernt. Doch leider ist das heute noch so. Noch heute meint auch der kleinste, der schwächste, der jämmerlichste...er sei der Mittelpunkt des Universums.
Solange Menschen glauben Sie seien die ebenbilder eines omnipotenten "Vaters", solange Menschen denken ein imaginärer Gott hätte sie "auserwählt", solange Sie denken das alles was ist Ihnen untertan sei; solange werden Sie sich, Ihre offensichtlichen Schwächen und jene die Ihnen diese schwächen vor die Augen führen, hassen!
Muslim ist NICHT gleich Suicide Bomber!
Zugegeben, ich kenne nicht viele Muslime. Nur zwei kenne ich wirklich gut seit ich mehrere Monate sehr eng mit ihnen im Südsudan zusammen gearbeitet habe. Mit den beiden habe ich auch offen über Gott, Allah und Glaube gesprochen, was mir als Konfessionsloser anfangs recht schwer fiel. Aber beide haben mir einstimmig versichert, dass sie Menschen wie Bin Laden nicht als Muslim bezeichnen, sondern als Terrorsist den es zu verfolgen und zu bestrafen gilt. Mit aller Härte!
Ich habe "den Muslim" als extrem freundlichen, offenen und hilfsbereiten Menschen kennen gelernt.
Ich denke, wir müssen weg von dem Gedanken, weg von der Gleichsetzung von Muslim und Suicide Bombern! "Der Muslim" (wenn ich ihn mal so verallgemeinert nennen darf) ist nicht böse, nur, die Bösen unter ihnen machen die Schlagzeilen, prägen unsere Sicht und bringen somit ihre gesamte Religionsgemeinschaft in Verruf. Es sind zB die so genannten Hassprediger, ausgestatte mit großen und gefährlichen Manipulationstalenten, dort sollte die Regierung stärker eingreifen.
Und wir normalen Bürger sollten friedlich miteinander leben und niemals den Dialog zwischen einander einstellen.
Es geht gar nicht uum die Bomber...
Als Lehrer an einer Berufsschule für den Münchener Einzelhandel hatte ich Gelegenheit, das „obere Ende“ des Prekariats (immerhin mit Lehrstelle) und dessen Frauen- und
Deutschenverachtung sowie die latente Gewaltbereitschaft kennen zu lernen.
Sondern es geht um den alltäglichen Terror der ohne jeden Respekt vor unserer Kultur sich radikal gebährenden Jugendlichen! Woher haben sie diese Verachtung für unsere Sozialstruktur, für unsere Umgangsformen?
Warum sind sie so überproportional kriminell???
Grundsätzlich war ich immer wieder erstaunt, wie breit die Integrationserfolge gestreut sind:
Von Burschen, deren männliche Integrität mich begeisterte, denen ich alles anvertraut hätte bis zu den
Krawallbürsten, die mit Mühe in der Klasse zu ertragen waren – es ist jeder Fall anders. Was viele
Migrationskinder gemeinsam hatten, war die Verachtung für die strenge Rationalität, die reine
Vernunft, alles verstehen zu sollen. Sie verachteten die aufgesetzte Freundlichkeit, mit der viele
Kollegen Entgleisungen und bewussten Provokationen begegneten. Ihnen fehlte bei uns Lehrern
emotionale Präsenz, Wut, Zorn, Freude, Lebendigkeit der Lehrkräfte.
Wir haben unsere Gefühle, auch und gerade die negativen, wie Zorn, Wut und Ablehnung politisch korrekt verdrängt.
Und sie, die jungen Muslime leben unsere "Schatten" (C.G.Jung) aus.
UNSERE Arbeit, unsere Aufgabe ist Schattenarbeit ..
ein weites Feld