Die alles entscheidende Frage, dürfen wir Tiere töten, um ihre Leichen zu essen, haben wir seit Ewigkeiten beantwortet. Vielleicht nicht mit dem Kopf, aber doch mit den Zähnen. Der Tieresser steht auf der Siegerseite der Evolution. Er ist der König der Nahrungskette.
Ausgiebiger Fleischgenuss signalisierte lange Zeit Wohlstand, und Wohlstand signalisierte soziale Integration. Je bedeutender der Mensch, desto größer die Fleischportion auf seinem Teller. Vegetarismus hingegen war eine Lebensweise mit dem zweifelhaften Odium einer sektiererhaften Marotte. Sie berief sich zwar gelegentlich auf eine ferne antike Überlieferung (die Orphiker und die Pythagoräer waren Vegetarier), entstand aber im fleischessenden Abendland recht eigentlich erst in den unübersichtlichen Umtrieben der Lebensreformbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, die ihrerseits eine politisch unzuverlässige, teils radikaldemokratische, teils völkische, in jedem Fall widerspenstige und anarchische Reaktion auf die Zwänge der beginnenden Industrialisierung war.
Der Vegetarier war ein Sonderling, ein Außenseiter der Gesellschaft. An ihm haftete der Makel, sich einem zentralen Übereinkommen des vernünftigen Zusammenlebens zu widersetzen. Wer nicht wie alle anderen Fleisch aß, war womöglich auch sonst zu nichts Ordentlichem zu gebrauchen. Zahlreich waren die Anekdoten, die das berufliche Missgeschick dieses oder jenes Großonkels auf die in meiner Familie seit Generationen verbreitete Unfähigkeit, Tiere zu essen, zurückführten.
Das alles scheint lange her zu sein und ist doch erst seit Kurzem vorbei. Heute ist der Vegetarismus in jedem Sinn in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Vegetarische Speisegaststätten gibt es überall in den Innenstadtvierteln, in Berlin hat soeben die erste vegetarische Mensa eröffnet. Es gibt viele Intellektuelle und Künstler, die sich für den Vegetarismus einsetzen. Und es gibt einen Vegetarismus-Chic in den besseren Kreisen. Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer hat gerade ein sehr erfolgreiches und viel diskutiertes Buch veröffentlicht, das uns in schönster Offenheit dazu auffordert, am besten keine und am zweitbesten weniger Tiere zu essen. Alles schön und gut. Bleibt nur noch die Frage, ob wir Tiere überhaupt töten dürfen.
Normalerweise werben die Vegetarier für ihre Lebensart, indem sie den Fleischessern die gesundheitlichen Nachteile ihrer Ernährungsweise mahnend vor Augen halten. Dazu zählen die vielen Herz- und Krebsleiden, die Übertragung von Viren und Giftstoffen, die Gefahr, an Osteoporose, Gicht, Rheuma, Bluthochdruck, Adipositas und so weiter zu erkranken. Das alles ist bedenkenswert. Für die Frage nach unserem Recht, Tiere zu töten, um sie zu essen, sind diese luxuriösen Diskussionen um die möglichen Zuwachsraten unseres ohnehin bereits beträchtlichen leiblichen Wohlergehens aber unerheblich.
Das gilt auch für den noch viel gewichtigeren Trumpf in der Hand der Vegetarier: die ungeheuere Belastung der Erde durch die Treibhausgasemissionen , die durch die Massentierhaltung entstehen. Gerade veröffentlichte das unabhängige Washingtoner Worldwatch Institute seine jüngsten Messungen, nach denen die Massentierhaltung nicht nur wie bisher angenommen für 18 Prozent, sondern sogar für über 50 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Fleisch essen ist schlimmer als Auto fahren.
Von dem unverantwortlichen Wasserverbrauch, der unwirtschaftlichen Vernichtung von Anbaufläche, der Rodung der Wälder zur Vermehrung von Weideflächen noch gar nicht zu reden. Niemand bezweifelt diese für unsere Überlebensaussichten äußerst betrübliche Diagnose. Sie ist ein starkes Argument für eine drastische Senkung des Fleischkonsums. Doch erspart auch sie uns nicht die alles entscheidende Frage, die man auch unseren ökologisch korrekten Urahnen hätte stellen müssen: Wer darf wen töten und warum?
Kommentare
Eine längst überfällige Debatte
Bitte verzichten Sie auf geschmacklose Vergleiche. Danke, die Redaktion/vv
Denkverbote
Bei der alltäglichen Grausamkeit gegen leidensfähige Geschöpfe halte ich Feinsinnigkeiten bei menschlichen Empfindsamkeiten für reine Heuchelei. Hier herrscht ein krasses Missverhältnis zwischen gefühlter Hochkultur und praktizierter Barbarei. Für mich ist das der dumme, selbstgefällige Chauvinismus der Spezies Mensch.
Die Menschheit lebt in einem permanenten Zustand der Barbarei gegen das Tier.
Solange der Mensch nicht in der Lage ist, diese Barbarei als solche zu erkennen und sie abzulegen, wird sie sich auch immer wieder gegen den Menschen selbst richten.
Nichts anderes habe ich gemeint.
Verrohung der Sitten
Massentierhaltung und Massenschlachtung sind so wie Monokulturen von Mais, Soja, Ölpalmen etc. grobe Fehlentwicklungen, die uns Menschen und dem Leben im Allgemeinen in vieler Hinsicht schaden. Dies ist keine Frage.
[...] Auch ich leide darunter, ohne Vegetarier zu sein und zu meinen, Vegetarier aus moralischen Gründen sein zu müssen.
Gekürzt, bitte diskutieren Sie sachlich. Danke. /Die Redaktion pt.
Ich freue mich auf die Fortsetzung des Artikels!
Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen den Ausschwitzvergleich ziehen, da es doch bemerkenswerte Parallelen gibt - er ist moralsich aber vollkommen verwerflich und einfach unangebracht! Es ist ein großer Unterschied, ob Lebewesen aus ideologischen Gründen der Vernichtung wegen getötet werden oder die Intention des Mordens (und Lebenerschaffens) darin liegt wirtschaftlichen Profit zu machen.
Ein sehr schöner Artikel! Ein paar Punkte bleiben allerdings noch offen: Menschen sollten keine Tiere (industriell) töten, dürfen sie sie zur Milch- oder Eiergewinnung halten? Wie kommt der Begriff "artgerecht" überhaupt zu stande?
Generell sollte die angestrebte Lebensform der Veganismus sein, welcher, wenn es denn sein muss, durch weitere Tierprodukte ergänzt werden kann.
Artgerecht
Genau: Vegan, for life!
Lifestyle oder Lobby?
Ethisch denkt die Autorin zu kurz: dem Menschen bleibt die Erkenntnis nicht erspart, dass er fortwährend Mitlebewesen, auch Pflanzen, töten muss, um leben zu können.
Nicht grundlos sind die stärksten Betäubungsmittel pflanzlichen Ursprungs. Diese Stoffe dienen Pflanzen nämlich zur Linderung eigener schwerer Verletzungen.
Abstrus der Lifestyle-Hinweis: wer auf Ledersitzen? mit Lederhandtasche? ins Veggie-Restaurant fährt und das barbarische Fleischessen anprangert, ist nicht ernstzunehmen.
Just wenn sich in der Medizin die wissenschaftliche Erkenntnis durchsetzt, dass viele Zivilisationskrankheiten nicht dem Verzehr von zuviel Fleisch und tierischem Fett, sondern von zuviel Kohlehydraten geschuldet sind und es deutlich wird, dass die Ursache einer Vielzahl von Autoimmunerkrankungen im Verzehr von Getreide liegt, erscheint dieser moralisch triefende Artikel.
Die FDA hat Getreideprodukten, die lange als Basisernährung des Menschen propagiert wurden, soeben den ersten Rang genommen.
Erleben wir also ausgerechnet jetzt eine Allianz der Getreidelobby mit Literaturkritikern, nicht Wissenschaftlern, wo die Annahme Übergewicht, Diabetes, erhöhtes Cholesterin und Bluthochdruck gingen auf das Konto vermehrten Fleischverzehrs, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann?
Richtig der Hinweis, dass ein nicht geringer Anteil des Fleisches industriell geschlachteter Tiere ins Katzenfutter wandert, änderbar nur, wenn wieder jeder Teil des Tieres, des Mitgeschöpfes, essenswürdig wird.
pflanzen betäuben sich selbst??
Zur Linderung der Schmerzen? Wo lernt man denn sowas?
Aufklärung: Betäubungsmittel in Pflanzen haben den Zweck sie für Herbivore ungenießbar zu machen. Pfl. haben kein Nervensystem und daher auch kein Schmerzempfinden.