Ein Kind kommt zur Welt. Und stirbt. Die zweite Schwangerschaft endet im sechsten Monat, eine Fehlgeburt. Das dritte Baby überlebt nur wenige Stunden. Jahre voll vergeblicher Hoffnung, Trauer und Verzweiflung für die Eltern. Es geht um solche Fälle, wenn jetzt in Deutschland wieder um den Lebensschutz gestritten wird. Wollen wir zulassen, dass Menschen dieses Trauma erspart bleibt? Oder sollen schwere, oft tödliche Erbdefekte ein hinzunehmendes Schicksal bleiben? Der Bundestag wird darauf im kommenden Jahr eine Antwort geben müssen.
In einigen Fällen könnten Ärzte mit einer genetischen Untersuchung ausschließen, dass Frauen mit einem Embryo schwanger werden, dem nur Siechtum oder der Tod bevorsteht. Sie verhindern eine tödliche Krankheit – das ist die brutale Wahrheit –, indem sie verhindern, dass ein todkranker Mensch geboren wird. Dies geschieht durch die Auswahl gesunder Embryonen. In vielen Nachbarländern ist dies gestattet.
Die Akzeptanz gegenüber behinderten Menschen nimmt zu – nicht ab
Für uns ist es höchste Zeit, diesem Beispiel zu folgen und genetische Tests an im Labor gezeugten Embryonen – also die Präimplantationsdiagnostik (PID) – zu erlauben. Gegenwärtig kann die PID immerhin nicht mehr als verboten gelten.
Der Bundesgerichtshof hat im Juli die gängige Interpretation des Embryonenschutzgesetzes gekippt
und einen Berliner Mediziner freigesprochen, der die PID bei mehreren Paaren durchgeführt und sich hernach selbst angezeigt hatte.
Aber hat der Staat nicht die Pflicht, menschliches Leben zu schützen? Unstrittig beginnt Leben im Augenblick der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Das neue Individuum ist genauso schützenswert wie ein neugeborenes Kind. Aus dieser abstrakten ethischen Perspektive
argumentieren die PID-Gegner
: Jeder aus genetischen Erwägungen nicht eingepflanzte Embryo ist ein zu hoher Preis. Das intuitive Moralempfinden weltweit spricht einem Neugeborenen hingegen einen anderen Wert zu als einem Zellhaufen.
Die deutsche Rechtsordnung hat den Embryonenschutz ohnehin längst relativiert: Sie erlaubt den Schwangerschaftsabbruch, auch noch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn im Mutterleib eine Schädigung des Kindes festgestellt wird. In dem dann bestehenden Konflikt zwischen den Rechten von Kind und Mutter kann zugunsten der Mutter entschieden werden, eine unzumutbar belastende Schwangerschaft abzubrechen. Ein Verbot der PID schützt also den Embryo nur so lange, bis er zum Fötus herangewachsen ist.
Warum man bei einer künstlichen Befruchtung eine Frau zwingen sollte, sich einen Embryo übertragen zu lassen, der mit erschreckend hoher Wahrscheinlichkeit später wieder abgetrieben wird, ist schwer zu erklären. Aber auch eine Entscheidung für die Zulassung der PID hieße nicht, dass wir berechtigt wären, mit ungeborenem Leben leichtfertig umzugehen. Dass die PID indessen für die Gesellschaft in gleich vierfacher Hinsicht eine moralische Gefahr heraufbeschwöre, ist eine Befürchtung, die sich in den vergangenen fast 20 Jahren – so lange währt die Praxis im Ausland – erledigt hat.
Ich halte "ohnehin" ("Die deutsche Rechtsordnung hat den Embryonenschutz ohnehin längst relativiert") für die denkbar schlechteste Diskussionsgrundlage in solchen moralisch schwer entscheidbaren Fragen.
Wenn es - wie einige Teile der Bevölkerung meinen - ernsthafte Bedenken zur Einführung dieser Methode gibt, darf man diese nicht mit dem Argument, dass vorher vielleicht auch schon Fehler gemacht wurden, vom Tisch wischen.
Eher wäre es dann ratsam, die vorherigen Entscheidung auf Basis des heutigen Wissens noch einmal einer Bewertung zu unterziehen.
...es um "Angst" bei der Ablehnung des PID geht: "Die PID kann nur wenigen helfen, die Angst vor ihr ist unbegründet."
Eher geht es um eine Ethik, die der säkularen Wertevorstellung der hiesigen Leitkultur diametral entgegen steht. Wie bei der Abtreibung wird hier ein Abbruch menschlichen Lebens als Mord interpretiert. Im Falle der Abtreibung wurde von christlicher Seite von dem grössten Massenmord der Geschichte, also von einem Massenmord ähnlich dem Holocaust. Man mag die diesbezügliche Ethik zwar anders sehen. Wenn man aber glaubt die Ethik sei Angst getrieben, so wird man die Anderen nicht verstehen und mit seinen Gedanken dazu in Propaganda Parolen stecken bleiben.
Obwohl ich der PID nicht negativ gegenüber stehe - falls die Sache mit IVF irgend wann einmal überdacht wurde - kann ich zu diesem Artikel nur sagen, dass er gräßlich naiv und für eine ethische Diskussion absolut unbrauchbar ist. Es sind ohnehin kaum moralische Ansätze vorhanden. Aber als Gegenargumente nur einen status quo, begrenzt durch heutige Kosten und momentanes Wissen, anzuführen... Das ist jenseits eines Niveaus.
Es geht eben nicht nur um die vermeintlich klaren Fälle. Es geht auch nicht um heutige Möglichkeiten und Kosten, sondern eine Weichenstellung. Woher rührt die realitätsfremde Annahme, dass ein Verfahren nicht verbessert oder kostengünstiger werden könnte, dass unser genetisches Wissen nicht zunimmt, dass nicht neue Methoden weitere Einsatzbereiche ermöglichen werden?
Und völlig fehlt die Betrachtung des so entstandenen Menschen. Zumindest er muss sich als ausgewählt und grade noch als gut bewertet empfinden. Doch sind auch positive Selektionen denkbar. Wie wäre es mit Partnerschaftsanzeigen, die auf ein reduziertes Risiko von Brustkrebs hinweisen?
Wenn ich heute sehe, was Eltern bereit sind, ihrem noch kleinkindlichen Nachwuchs anzutun, nur um dessen vermeintliche Chancen in der Zukunft zu steigern... Und jene Paare, deren eigenartiger Wunsch zu teilweise eigenem Nachwuchs sie massig Unannehmlichkeiten bei der IVF ertragen zu lassen, gehören zweifellos zu jenen.
Die geringe Zahl der Infragekommenden erhebt auch ein Gleichheitsproblem.
Kommentare
Ohnehin
Ich halte "ohnehin" ("Die deutsche Rechtsordnung hat den Embryonenschutz ohnehin längst relativiert") für die denkbar schlechteste Diskussionsgrundlage in solchen moralisch schwer entscheidbaren Fragen.
Wenn es - wie einige Teile der Bevölkerung meinen - ernsthafte Bedenken zur Einführung dieser Methode gibt, darf man diese nicht mit dem Argument, dass vorher vielleicht auch schon Fehler gemacht wurden, vom Tisch wischen.
Eher wäre es dann ratsam, die vorherigen Entscheidung auf Basis des heutigen Wissens noch einmal einer Bewertung zu unterziehen.
Ich glaube nicht, dass ....
...es um "Angst" bei der Ablehnung des PID geht: "Die PID kann nur wenigen helfen, die Angst vor ihr ist unbegründet."
Eher geht es um eine Ethik, die der säkularen Wertevorstellung der hiesigen Leitkultur diametral entgegen steht. Wie bei der Abtreibung wird hier ein Abbruch menschlichen Lebens als Mord interpretiert. Im Falle der Abtreibung wurde von christlicher Seite von dem grössten Massenmord der Geschichte, also von einem Massenmord ähnlich dem Holocaust. Man mag die diesbezügliche Ethik zwar anders sehen. Wenn man aber glaubt die Ethik sei Angst getrieben, so wird man die Anderen nicht verstehen und mit seinen Gedanken dazu in Propaganda Parolen stecken bleiben.
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Obwohl ich der PID nicht negativ gegenüber stehe - falls die Sache mit IVF irgend wann einmal überdacht wurde - kann ich zu diesem Artikel nur sagen, dass er gräßlich naiv und für eine ethische Diskussion absolut unbrauchbar ist. Es sind ohnehin kaum moralische Ansätze vorhanden. Aber als Gegenargumente nur einen status quo, begrenzt durch heutige Kosten und momentanes Wissen, anzuführen... Das ist jenseits eines Niveaus.
Es geht eben nicht nur um die vermeintlich klaren Fälle. Es geht auch nicht um heutige Möglichkeiten und Kosten, sondern eine Weichenstellung. Woher rührt die realitätsfremde Annahme, dass ein Verfahren nicht verbessert oder kostengünstiger werden könnte, dass unser genetisches Wissen nicht zunimmt, dass nicht neue Methoden weitere Einsatzbereiche ermöglichen werden?
Und völlig fehlt die Betrachtung des so entstandenen Menschen. Zumindest er muss sich als ausgewählt und grade noch als gut bewertet empfinden. Doch sind auch positive Selektionen denkbar. Wie wäre es mit Partnerschaftsanzeigen, die auf ein reduziertes Risiko von Brustkrebs hinweisen?
Wenn ich heute sehe, was Eltern bereit sind, ihrem noch kleinkindlichen Nachwuchs anzutun, nur um dessen vermeintliche Chancen in der Zukunft zu steigern... Und jene Paare, deren eigenartiger Wunsch zu teilweise eigenem Nachwuchs sie massig Unannehmlichkeiten bei der IVF ertragen zu lassen, gehören zweifellos zu jenen.
Die geringe Zahl der Infragekommenden erhebt auch ein Gleichheitsproblem.
Toller Artikel!
Wow, ich habe seltenst einen Artikel gelesen, der mir so aus der Seele spricht zu einem Thema.