Der 63-jährige Hamburger Rechtsanwalt Johann Schwenn hatte schon manchen prominenten Mandanten. Den DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf etwa, den Radsportprofi Jan Ullrich oder den VW-Betriebsrat Klaus Volkert. Dem Großmäzen Jan Philipp Reemtsma stand er als Nebenklägervertreter gleich in mehreren Prozessen gegen seine Entführer bei. Nun hat eine neue Person des öffentlichen Interesses in seine Kanzlei an der Elbe gefunden: Jörg Kachelmann.
Der Vergewaltigungsprozess gegen den ARD-Wettermoderator ist bereits fortgeschritten. Schon seit September wird vor dem Mannheimer Landgericht um die Frage gerungen, ob Kachelmann tatsächlich eine seiner Geliebten vergewaltigt hat oder nicht. Warum der Angeklagte – der die Tat immer bestritten hat – in diesem Stadium des Hauptverfahrens nun von dem Kölner Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock zu dessen Hamburger Kollegen wechselt, darüber wird spekuliert. Ein Zeichen für Kachelmanns Schuld ist der Anwaltswechsel sicherlich nicht.
Dass Angeklagte sich in der stark angespannten Stimmung eines Strafprozesses mit ihrem Verteidiger überwerfen, kommt immer wieder vor. Mit seinem neuen Rechtsanwalt hat sich Kachelmann jedenfalls einen Spezialisten für Sexualstrafsachen ausgesucht. Zwar gilt Schwenn als Fachmann für Revisionen und Wirtschaftsstrafsachen, und er ist wie alle renommierten Verteidiger vor allem da zu finden, wo das Geld sitzt – nämlich im Einsatz für Vorstände großer Unternehmen. Das Sinnstiftende seiner Tätigkeit erlebt er jedoch bei der Verteidigung von Menschen, die sich der ideologisch hoch aufgeladenen Anschuldigung ausgesetzt sehen, ein Sexualdelikt begangen zu haben – sei es der Fernsehstar Jörg Kachelmann, sei es ein Müllmann aus Sachsen. Bei dieser Deliktgruppe – so begründet Schwenn seinen Ehrgeiz – "ist die Ungerechtigkeit am größten".
Auch in der aktuellen Dezemberausgabe der juristischen Fachzeitschrift Strafverteidiger schreibt Schwenn in seinem Aufsatz Fehlurteile und ihre Ursachen über Sexualdelikte: "Bei keinem anderen Straftatbestand ist die Bereitschaft zum Vorurteil so groß, die Unschuldsvermutung so unpopulär." Schon ein Haftbefehl bedeute "das soziale Aus für den Verdächtigen", selbst wenn sich dessen Unschuld zu guter Letzt herausstelle. Sogar unter den Verteidigern sei die "Kontamination durch solche Mandate gefürchtet", weshalb manche Anwaltskollegen sich öffentlich etwas darauf zugutehielten, niemals mutmaßliche Vergewaltiger vor Gericht zu verteidigen.
Schwenn macht gerade das Gegenteil. Er nimmt sich vermeintlicher Sexualverbrecher (deren Unschuld er vermutet) an und weist immer wieder nach, dass es sich bei ihnen in Wirklichkeit um Menschen handelt, die einer Falschbeschuldigung zum Opfer gefallen sind. Allein in Niedersachsen hat er in jüngster Vergangenheit fünf wegen Vergewaltigung verurteilte Männer durch erfolgreiche Wiederaufnahmen rehabilitiert und ihre Unschuld nachträglich bewiesen. Sie waren sämtlich zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden, einer zu fast dreizehn Jahren, von denen er bereits über fünf abgesessen hatte. Dabei verteidigt Schwenn die durch das Wüten der Strafjustiz verarmten Mandanten zunächst auf eigenes Risiko und lässt sich dann aus den – mitunter siebenstelligen – Entschädigungssummen bezahlen, die die Landesregierung den Freigesprochenen schuldet.
Täglich erreichen ihn Hilferufe aus den Justizvollzugsanstalten, auch verzweifelte Mütter und Ehefrauen rufen an und beschwören die Unschuld eines Verurteilten. Doch obwohl Schwenn das Ausmaß der Not und die Dunkelziffer erfolgreicher Falschbeschuldigungen für beträchtlich hält, wird er nur tätig, wenn sich beim Sichten der Akten bei ihm persönlich die Überzeugung verfestigt, dass der Verurteilte die Tat nicht begangen hat. Das Gefühl, für ein Opfer der Strafjustiz zu kämpfen, ist seine Energiequelle, der Motor für die oft jahrelangen Anstrengungen, die das Gesetz dem Wiederaufnahmeverteidiger abverlangt. Denn ist ein Angeklagter erst einmal abgeurteilt und seine Revision vom Bundesgerichtshof verworfen, muss der Rechtsanwalt völlig neue Tatsachen und Beweismittel ausgraben, um den widerwilligen Apparat der Strafjustiz noch einmal anzuwerfen.
Bei all seinen Wiederaufnahmebemühungen hat Schwenn erfahren: "Die Hauptursache für Fehlurteile ist immer die überstürzte und unkritische Solidarität mit Personen, die sich selbst als Opfer inszenieren." So hatten die Psychotherapeuten einer jungen Frau, die sich vor dem Landgericht Osnabrück als Vergewaltigte ausgab, den Richtern nicht nur deren schwere psychische Krankheit verschwiegen, um ihre Aussage glaubhafter erscheinen zu lassen, sondern sie hatten auch einen Geständnisbrief ihrer Patientin geheim gehalten, in dem sie die Falschbeschuldigung schriftlich zugegeben hatte.
Kommentare
Schwenn wird´s schon "richten"
Selbst wenn nach einer Vergewaltigung das Opfer unverzüglich die Polizei alarmiert, selbst wenn Aussagen des Opfers bei der Vernehmung sich nicht nachträglich als Lüge entpuppen (z.B. fingierter Brief als Vorlage auf sichergestelltem PC), selbst wenn Verletzungsspuren nicht zuvor auf Testfotos festgehalten wurden - selbst dann ist es zumeist extrem schwer, ein auf eine stichhaltige Indizienkette begründetes Urteil zu fällen. Wieviele Täter laufen wohl frei herum, weil die Indizien einfach nicht ausreichten?
Umgekehrt nicht anders: Wieviele angebliche Täter sitzen jahrelang im Strafvollzug, weil die Behauptung einer Vergewaltigung rührseligst dem Gericht als glaubhaft vermittelt werden konnte? Als Herr Schwenn von Ferne dabei zusah, auf welch schamlose und tendenziöse Weise im Kachelmann-Prozess die Indizien konstruiert werden, da muss es ihm förmlich in den Fingern gejuckt haben. Die bisherige hanebüchenen Prozessführung ist eine Steilvorlage für einen Juristen vom Format eines Johann Schwenn.
Gegen die Pest unserer Tage
Es gibt sie eben doch noch, die respektablen und aufrechten Menschen, deretwegen wir noch etwas Vertrauen haben dürfen.
Es sind meist nicht die fein geschliffenen, glanzpolierten; denn SIE reden Tachles.
Und das ist gut so.
Justizia ist blind,
und ich habe den Eindruck, dass Taubheit noch hinzukommt. Allerdings bemerke ich eine Geschwätzigkeit, den übersteigerten Hang zur Selbstdarstellung, mindestens dann, wenn es Personen geht, die in der Öffentlichkeit stehen. Es ist richtig, dass die Unschuldsvermutung selten für Sexualstraftäter gilt und grade der hier beschriebene Fall Kachelmann lässt mein Vertrauen in die Leistungs- und Urteilsfähigkeit der Justiz sinken. Dabei meine ich nicht die Gefahr des „Fehlurteils“, sondern die Demontage des Angeklagten während der Verhandlung. Das Verhalten der Richter in der Bewertung der Gutachten ist schon höchst fragwürdig. Ich habe schon das Gefühl, hier findet ein Schauprozess statt. Das Urteil steht , nun noch ein bisschen Verfahrensmakulatur drauf und das soll es dann gewesen sein? Ich frage mich, was passiert mit Angeklagten, die nicht so prominent sind?
In einigen Gazetten wird nicht zimperlich mit dem Angeklagten umgegangen, deswegen tut es gut, einen solchen Artikel zu lesen. Niemand weiß, was wirklich vorgefallen ist, ob Kachelmann es getan hat oder nicht. Wenn es so war, wie ihm vorgeworfen wird, dann hat er die Strafe verdient; vorerst aber ein faires Verfahren. Und das sehe ich hier überhaupt nicht. Was für einen Unsinn alleine Frau „Emma“ schreibt ist doch so voreingenommen und hat mir Berichterstattung aber auch gar nichts zu tun.
Kachelmann Demontage, über 60% erwarten Verurteilung 1. Instanz
@ Lothar Teufel. Wenn Sie behaupten, "Niemand weiß, was wirklich vorgefallen ist, ob Kachelmann es getan hat oder nicht." ist das ja schon einmal falsch. Zwei Leute wissen ganz genau was passiert ist. Die Zeugin und der Angeklagte. Sich über die Demontage eines Angeklagten zu beschweren, ist überflüssig. Ohne "Demontage" läßt sich die Wahrheit nicht herausfinden, das gilt im übrigen auch für die einzige Zeugin, das angebliche Opfer.
In der Umfrage über meine Website sind 60% der Leser überzeugt, dass Kachelmann in der ersten Instanz verurteilt wird, aber 80% erwarten einen Freispruch in der Revision. Wenn Schwenn wirklich die Revision besser beherrscht als Birkenstock, war der Anwaltswechsel nach dem Ergebnis meiner Umfrage zumindest taktisch richtig.
Ist Sabine Rückert geeignet in dieser Sache zu berichten?
Ich habe meine großen Zweifel ob die Redaktion der Zeit gut beraten ist, jemanden über Schwenn und Kachelmann berichten zu lassen, dessen persönliche Beziehungen hier eine nicht ausgewogene Darstellung, um es freundlich zu formulieren, erwarten läßt.
Thomas Knellwolf schreibt in der Berner Zeitung "Kachelmann engagiert neuen, schillernden Anwalt" dazu:
«In feinstes Tuch gewandet, mit schneeweissen Krawatten ausstaffiert, entspringt er seinem Mercedes-Zweisitzer», schrieb die Gerichtsreporterin der Hamburger Wochenzeitung «Zeit», Sabine Rückert, über Schwenn. Rückert war es auch, die Wochen vor Prozessbeginn Birkenstock am Telefon und per E-Mail dringend riet, Schwenn ins Verteidigerteam aufzunehmen. Als dieser der Empfehlung nicht nachkam, schrieb die Reporterin prompt, Kachelmann sei äusserst schlecht verteidigt."