DIE ZEIT: Herr Schmidt, in Österreich ist der 100. Geburtstag von Bruno Kreisky ein großes Ereignis. Aus diesem Anlass wird er als der wahrscheinlich bedeutendste Politiker der Zweiten Republik gewürdigt, als ein Reformer, der das Land modernisiert hat. Das ist die Binnenperspektive in einem kleinen Staat. Wenn Sie sich erinnern, können Sie aus Ihrer Wahrnehmung diese Würdigungen nachvollziehen?
Helmut Schmidt: Für uns in der damaligen Bundesrepublik war Österreich problemlos. Bis auf einige Scharmützel über unwichtige Dinge war das Verhältnis sehr freundnachbarlich. Infolgedessen nicht wichtig. Es hat mich nicht besonders interessieren müssen.
ZEIT: Und dann sieht man nicht so genau hin?
Schmidt: Warum soll man hingucken? Österreich war ein angenehmer Nachbar.
ZEIT: Gleichviel ist Ihnen Kreisky als herausragender Politiker in Erinnerung.
Schmidt: Das ist richtig. Wenn ich ihn allerdings zum Beispiel mit Tito vergleiche, also mit jener Figur, die diesen Kunststaat Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg neu geschaffen und dann zusammengehalten hat, so erschien mir der als größere Figur.
ZEIT: Während der dreizehn Kanzlerjahre von Kreisky waren Sie neun Jahre lang Amtskollegen – Regierungschefs zweier benachbarter Länder mit sehr viel gemeinsamer Geschichte. Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung erinnern?
Schmidt: Ich habe Kreisky als einen Freund von Willy Brandt kennengelernt.
ZEIT: Und haben Sie noch in Erinnerung, welchen Eindruck Kreisky auf Sie gemacht hat?
Schmidt: Er war ein Mann, der auf mich den Eindruck machte, als ob er alles besser wüsste. Aber soweit ich mich erinnern kann, hat er sich nicht über die deutsche Innen- und Außenpolitik geäußert, sodass es auch gar keinen Grund gab, miteinander stundenlang zu reden. Außer über die Weltlage im Großen. Er hatte guten Überblick über die Welt. Ich habe Kreisky manchmal mit Tito verglichen, was ihre Unabhängigkeit von Moskau anging. Tito hatte einen Weltüberblick, der war unbeeinflusst von den Interessen der Sowjetunion. Das gilt auch für Kreisky. Er hatte wahrscheinlich einen besseren Überblick über die Welt als De Gaulle oder dessen Nachfolger Pompidou und einen viel besseren als irgendeiner der amerikanischen Präsidenten, die ich gekannt habe. Denn Kreisky hatte immer die Geschichte sowohl der europäischen Staaten als auch der ganzen Welt im Hinterkopf.
Kommentare
Kleingeistigkeit
Meines Wissens war Schmidt zwar nie Oberst, sondern höchstens Hauptmann der Wehrmacht, aber natürlich konnte die Chemie zwischen den beiden nicht stimmen, weil die biographischen Erfahrungen einfach zu unterschiedlich waren. Da mußte ein Brandt dem Kreisky einfach näherstehen. Hinzu kommt, daß Schmidt sein Amt natürlich ganz anders, möglicherweise bürokratischer, definierte und den großen Projekten und Gedanken nur wenig abgewinnen konnte.
Bedauerlich finde ich Schmidts Tendenz zum schulmeisterlichen Abkanzeln und die ungefilterte / unwidersprochene Wiedergabe in seiner Hauspost.
Oberleutnat
Ja, natürlich Oberleutnant, zum Hauptmann der Reserve wurde er erst in den Anfängen der Bundeswehr befördert.
Unser Österreicher
Schmidt: "Was ihm zugestanden hätte, wäre eine Geste gewesen wie zum Beispiel der Kniefall von Willy Brandt im Ghetto zu Warschau."
Da stimme ich 100% zu!
Österreich steht - gemeinsam mit Deutschland - knietief in der Schuld der Judenvernichtung und des zweiten Weltkrieges.
Das sollte man weder verdrängen noch verleugnen.
Es ist Zeit die Wahrheit aufzuarbeiten.
Kreisky, ein Mann, der alles besser wusste:
das sagt der Richtige, nicht nur Carter oder Begin können oder konnten ein Lied von Schmidts Rechthaberei singen.
Zur Beurteilung des letzgenannten durch den Kanzler a.D. lässt sich feststellen, dass es - bedenkt man Schmidts wiederholt geäusserte Wertschätzung etwa für Deng Xiaoping , den Schlächter vom Platz des himmmlischen Friedens, wohl nicht seine Vergangenheit als Irgun-Terrorist ist, die ihn zur ‘nicht akzeptablen Persönlichkeit’ macht, schon gar nicht der mit Sadat erreichte Frieden.
Nein, Begin hatte seinerzeit die Frage aufgeworfen, welche Rolle der ehemalige Oberleutnant der Wehrmacht möglicherweise in Russland bei der Vernichtung der Juden gespielt hat, eine Frage, die mir angesichts der Verbrechen der Wehrmacht auch heute noch völlig legitim erscheint.
Von Schmidt erfahren wir insgesamt wenig zum 3. Reich. Von Dachau, Auschwitz oder Bergen-Belsen will er erst nach dem Krieg erfahren haben - was ihn aber nicht daran hindert, Demonstranten in Heiligendamm 2007 zu erklären: “Als ich ein junger Mann war, hätte mich eine Demonstration gegen die Nationalsozialisten ins KZ gebracht. Da bin ich auf solche Ideen nicht gekommen.”, um ihnen im weiteren Befriedigung des eigenen Geltungsbedürfnis (!) zu unterstellen.
http://www.zeit.de/2007/2...
(Forts. folgt)
wer frei ist von Unschuld:
"das sagt der Richtige, nicht nur Carter oder Begin können oder konnten ein Lied von Schmidts Rechthaberei singen."
Ich bin auch rechthaberisch und kann mich über andere "Rechthaber" aufregen, die Leute die trotzdem mit mir klar kommen, haben auch ihre Fehler.
Was haben sie jetzt festgestellt, dass Schmidt kein perfekter Mensch ist?
Kreisky, ein Mann, der alles besser wusste (II):
Und hier muss Schmidt nun erklären - unter Verweis auf die Begeisterung der Österreicher über den ‘Anschluss’- was dem Juden Kreisky, dessen Familie von den Nationalsozialisten zu einem grossen Teil ermordet wurde, ‘zugestanden’ hätte, Kniefall à la Brandt (der so, ganz nebenbei, auch noch entwertet wird)?
Schmidt hat einen Treueeid auf Hitler persönlich - den er heute in einer Art verniedlichenden Kindersprache nur noch “Adolf Nazi” nennt - geschworen: genau dies ist es, was ihn ganz entscheidend von Brandt (oder auch Wehner), selbstverständlich auch Kreisky, unterscheidet und nicht nur einem Begin seine selbstgerechten Belehrungen unerträglich machte und macht.
Da ist es nur noch eine kleine Niedertracht, zum hundertsten Geburtstag Kreiskys anzudeuten, dass dessen Freundschaft mit Brandt (sie, auch Palme, hatten sich Anfang der 1940er Jahren in Schweden kennengelernt), möglicherweise nur Fassade gewesen sei...