Doha. Zwei Monate nach dem Umsturz in Tunesien bietet die arabische Welt ein zersplittertes Bild: Hier demokratische Experimente – dort Krieg; hier Revolten – dort Repression; hier belagerte Paläste – dort Panzer gegen Demonstranten. Zwei Modelle der Revolution haben sich herausgebildet, das blutige Schreckensbild in Libyen und der friedliche Umbruch in Ägypten. Zwischen diesen extremen Beispielen suchen die anderen arabischen Staaten ihren Weg. Auch das kleine Bahrain, in das am Montag Truppen der Golfstaaten einmarschiert sind, um die Demonstrationen zu verhindern. Stoßen die Freiheitsaufstände an ihre Grenzen?
In Libyen sieht es derzeit danach aus. Die Nachrichten von den Schlachtfeldern sind widersprüchlich . Sie wirbelten auch auf der Jahrestagung des arabischen Senders Al Jazeera in Doha zu Wochenbeginn durcheinander. Die Konferenz begann mit einer Schweigeminute. Ein Kameramann von Al Jazeera war in Libyen erschossen worden. Auf dem Podium jedoch verbreitete ein frisch aus Ostlibyen angereister 25-jähriger Jugendaktivist Zuversicht. "Das System Gadhafi ist tot", sagte Omar Abushah unter großem Beifall des arabischen Publikums. Während er sprach, empfingen die Zuhörer auf ihren Smartphones die neuesten Meldungen aus Libyen. Danach sind Muammar al-Gadhafis Söldner recht lebendig und machen erfolgreich Jagd auf die Revolutionäre. Die Truppen des Diktators sollen auf Städte der Rebellen vorrücken, hieß es in den Meldungen. Sie hätten Ölhäfen wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Die Opposition im Osten des Landes wird von der libyschen Luftwaffe bombardiert, die mit modernster westlicher Technik den Aufstand niederkämpfen will.
In der letzten großen Schlacht von Oberst Gadhafi geht es nicht nur um die Macht in Libyen. Es geht auch um die Zukunft der arabischen Revolutionen.
Schon heute sind die libyschen Aufständischen eng mit dem arabischen Ausland vernetzt. Jugendliche sind über Facebook miteinander befreundet. Aus den Nachbarländern Tunesien und Ägypten kommen Revolutionstipps. Nachrichten aus Libyen machen sofort in Ägypten und anderen arabischen Ländern die Runde.
Ägypten bildet das Gegenmodell zu Libyen. Eine Armee, die sich während der Revolution auf die Seite des Volkes geschlagen hat. Ein zentraler Platz in der Hauptstadt , auf dem sich die Zukunft des Landes entschieden hat. Ein Umbau des Landes von einer Oligarchendiktatur zu einem noch konturlosen pluralistischen System. Die Bürger stürmten die Gebäude der Staatssicherheit in Kairo und Alexandria. Auf ihren Druck ist der letzte Ministerpräsident des gefallenen Herrschers Hosni Mubarak zurückgetreten. Der neue Premier Issam Scharaf stellte sich auf Facebook und auf dem legendären Tahrir-Platz vor. Das sind die Marktplätze des neuen Systems, das sich in Ägypten herausbildet und auf die ganze arabische Welt ausstrahlt. Der mögliche Präsidentschaftskandidat und Chef der Arabischen Liga Amr Mussa hat sich für das Flugverbot gegen Gadhafi eingesetzt. An diesem Wochenende werden die Ägypter über ihre neue Verfassung abstimmen. Ein Meilenstein des Umbruchs.
Bei Al Jazeera in Doha erzählt die junge Revolutionärin der ersten Stunde, Asma Mahfouz, wie die Jugendkoalition den Umsturz minutiös geplant hatte. Der große Erfolg hat sie sehr selbstbewusst gemacht. "Wir verfolgen nun sehr genau jeden Schritt der neuen Regierung", sagt sie. "Und wenn es nicht in Richtung Demokratie geht, dann werden wir wieder auf die Straßen gehen." Mahfouz hatte im Januar die Jugendlichen in Kairo in einem Video zu Demonstrationen aufgerufen. Der Clip ist mittlerweile zum Kultfilm in der arabischen Welt geworden.
Neben ihr sitzt Lina Mohammed, eine Bloggerin aus Tunesien, und warnt, dass die neuen Medien längst nicht mehr das Privileg der Demonstranten seien. "Offiziere der Sicherheitsstrukturen, Unterstützer des alten Regimes organisieren sich in Tunesien genauso", sagte sie. "Sie schlagen zurück in ihren Blogs." Der Umsturz allein reiche nicht. Es sei noch ein hartes Stück Arbeit, bis die neu gewonnene Freiheit wirklich unumkehrbar sei.
Kommentare
Haben die Ägyter wirklich ihre Liebe zur Demokratie entdeckt ?
Na inch'allah. Mir scheint, es ging eher nach dem schon klassischen Wort von Brecht vom Fressen und der Moral.Man bedenke: Millionen von Ägyptern wissen morgens nicht, wie sie tagsüber die notwendigsten Nahrungsmittel für ihren Unterhalt beschaffen können.Lehrer z.B. haben nach Abschluß ihres Studiums zwar einen Anspruch gegen den Staat auf Anstellung, verdienen aber so wenig, daß sie auch bei bescheidenster Lebensführung sich und ihre Familie davon nicht ernähren können.Gleiches gilt z.B. für Polizisten, die nach meinen Erfahrungen allenthalben die Hand aufmachen.
Das Schlagwort "Bakschisch" ist der erste arabische Begriff, den der Besucher bei Ankunft im Flughafen Kairo kennenlernt.Ich kenne kein Land des Nahen und Mittleren Ostens, in dem Bettlerwesen derartig in Blüte steht.
@yapmak -- die frage, die ........
......Sie im Titel stellen, kann ich nicht verstehen. Da fällt mir nur eine Gegenfrage ein. Könnten Sie unter einer Diktatur leben? Wenn ja, ok. Wenn nein, käme eine 2. Frage, und zwar, warum sollten die arabischen Völker nicht Demokratie haben wollen. Sie wird natürlich nicht identisch mit der europäischen z.B. sein, sondern einen arabsichen Charakter haben. Aber die Frage ansich finde ich schon frotzig. Da fragt der überhebliche "Westen".
Das es ein langer Weg sein wird, ist selbstverständlich. Aber irgendwann war ein Anfang nötig, er war überfällig. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Erfolg?
Erfolgreiche ägyptische Revolution? Für die Armee und die meisten Eliten schon, aber sonst?
Die Tippelschritte der Verfassungsreform sind so klein, dass selbst El Baradei sie ablehnt.
Aber natürlich, für die USA und die EU ist alles sehr beruhigend.
Ägyten am Scheideweg ?
Eine demokratisch gewählte Regierung wird unter ungeheurem Erwartungsdruck stehen.Gelingt es ihr nicht, die ökonischen Verhältnisse breiter Bevölkerungsschichten alsbald merklich zu verbessern, ist sie am Ende. Und wie sollte sie ? Wenn nicht, wird wohl bald der Ruf nach einem neuen Starken Mann, Nasser ist weithin noch in bester Erinnerung,wieder erschallen ("a strong man with a strong idea !")
Und Demokratie? Das ist bekanntlich auch die Freiheit des Mitmenschen.Christen werden weiterhin angegriffen. Wer eine Kirche angreift, hat mit Demokratie ja wohl wenig am Hut.
welche maßstäbe gelten?
Wenn ich Ägypten z.B. Christen verfolgt werden, dann ist das zu verurteilen. Genauso wie es zu verurteilen war, als in Deutschland Asylheime brannten, wie bis zum heutigen Tag immer noch Ausländer, Landstreicher, Körperbehinderte, Gleichgeschlechtliche angepöbelt werden, leider oft genug auch umgebracht werden. Zu oft. Wollen Sie den Deutschen auch eine demokratiefähigkeit absprechen? Wenn sie gleiche Maßstäbe anlegen, müssten Sie.
Na hauptsache WIR siegen
Westliche Regierungen sind einfach heuchlerisch im Angesichte dieser neuen Entwicklungen. Man tut plötzlich so, als wäre die Tyrannei Gaddaffis etwas Neues.
Wie zum Glück noch einige vernünftige Menschen richtig feststellen können, ist der Libyenkrieg keinesfalls eine Antwort auf Gaddafis Machtstreben, sondern vielmehr Ressourcensicherung für die Zukunft.
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