ZEIT : Herr Uçar, Sie bauen derzeit in Osnabrück eines der ersten Zentren für Islamstudien in Deutschland auf. Gibt es auch etwas, das Sie am heutigen Christentum bewundern?
Bülent Uçar : Ich ging in Oberhausen auf eine katholische Grundschule. Bei den Lehrkräften dort habe ich mich sehr behütet und gefördert gefühlt. Eine solche praktizierte Nächstenliebe beeindruckt mich bei gläubigen Christen sehr. Davon können Muslime etwas lernen.
ZEIT : Was schreckt Sie am Christentum ab?
Uçar : Ein rationaler Zugang zu den Quellen des eigenen Glaubens ist wichtig, ebenso ein reflektierter Umgang mit der Religion. Er darf aber nicht dazu führen, dass am Ende nur noch reflektiert und geredet wird. Viele Christen erscheinen mir zu verkopft. Rationalisieren und theoretisieren alleine ohne Spiritualität wird uns am Ende des Tages nicht reichen.
ZEIT : Frau Schavan, was fasziniert Sie am Islam?
Annette Schavan : Die selbstbewusste Weise, die eigene Frömmigkeit zu leben. Manche Christen sehen ja schon ein Anzeichen von Fundamentalismus darin, dass jemand in der Öffentlichkeit betet. Dass Muslime ihre Religion nicht meinen verstecken zu müssen, das gefällt mir.
ZEIT : Steht Ihnen ein gläubiger Muslim näher als ein Atheist?
Schavan : Ja.
Uçar : Das ist wie mit Honig. Es gibt Waldhonig, Feldhonig, Wiesenhonig. Nur wer Honig geschmeckt hat, mit dem können Sie sich über die Unterschiede der verschiedenen Sorten begründet austauschen. Glauben spricht zum Glauben, selbst im Disput.
ZEIT : Und was schreckt Sie ab am Islam, Frau Schavan?
Schavan : Situationen der Gewalt im Namen der Religion und die Feststellung, Religion und Politik seien eins. Das Christentum hat gelernt – durchaus in einem langen, schmerzvollen Prozess –, dass der Glaube nicht die Politik dominieren darf und umgekehrt. Diese Erkenntnis steht dem Islam noch bevor.
ZEIT : Ist das ein Grund, warum die Bundesregierung nun an verschiedenen Universitäten islamische Lehrstühle finanziert?
Schavan : Es ist nicht meine Aufgabe, vorzuschreiben, wohin sich der Islam zu entwickeln hat. Tatsache ist jedoch, dass Glaube nicht nur geglaubt, sondern auch gedacht werden muss. Dazu gehört unter anderem, das Verhältnis zwischen Religion und Politik zu klären. Wenn es denn so wäre, dass sich Islam und Demokratie beziehungsweise Islam und die moderne Gesellschaft nicht vereinbaren ließen, dann müsste ein Muslim sich entweder von seinem Glauben oder aus Europa verabschieden. Das kann aber nicht die Alternative sein. Aufgabe der Theologie ist es also, die Religion in die Gegenwart zu übersetzen. Eine solche zeitsensible Interpretation des Islams kann die Theologie leisten. Darüber hinaus sollen die neuen Lehrstühle Vorbeter für unsere Moscheen und Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbilden.
Uçar : Erst einmal verfügt der Islam über die gleichen Rechte wie alle anderen Religionen. Wenn es eine christliche Theologie an den Universitäten gibt, muss es auch eine islamische geben. Sie wird dazu beitragen, dass sich die Muslime stärker in Deutschland beheimatet fühlen. Fakt ist: Ohne Partizipation keine Integration, ohne Integration keine Identifikation mit Deutschland.
Schavan : Als ich in Ankara an der theologischen Fakultät war, habe ich mit Frauen gesprochen, die sich zur Imamin ausbilden lassen. Einige von ihnen stammten aus Deutschland. Und eine Studentin hat mir erzählt, dass ihr Vater in Deutschland Imam war, aber weder Deutsch sprach noch das Land kannte, und wie hinderlich das bei seiner Arbeit war. Ich möchte das anders, hat mir diese Frau gesagt. Ich möchte die Welt verstehen, in der meine Gemeinde lebt. Genau solchen Menschen müssen wir die Möglichkeit eröffnen, bei uns ausgebildet zu werden.
Kommentare
Trennung von Religion und Kirche
Vom Laizismus sind wir in diesem Lande weit entfernt....leider.
Wenn eine Bundesministerin sagt, dass ihr muslimische Gläubige näher sind als Atheisten, wird mir schlecht.
Hauptsache irgendetwas glauben - aber was soll man erwarten von einer Ministerin die der Christlich Demokratischen Union angehört - Aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir in Zukunft dann wohl von islamisch geprägten Parteien regiert.
Religion muss Privatsache bleiben - keine steuerfinanzierte Ausbildung für irgendwelche Religionen!!
Viel Erfolg!
"Sie orientieren sich immer noch zu sehr an der einstigen Heimat der Gastarbeiter, haben kaum theologische Expertise. Das kann man ihnen jedoch auch nicht vorwerfen, da es in Deutschland keine Möglichkeit für eine entsprechende Ausbildung gab. Ich erwarte allerdings schon, dass an ihrer Spitze Leute stehen, die in Deutschland aufgewachsen sind. Dies ist im muslimischen Interesse."
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der "schlechte Ruf" der muslimischen Verbände in Deutschland bei der Mehrheitsbevölkerung resultiert u.a. daher, dass die Leute merken, dass es sich hier um "Fremde" handelt, die herkunftsbezogene "Probleme" und "Themen" ins Land importieren. Ich hoffe, dass durch die Imamausbildung in Deutschland jetzt wirklich was "Neues" entsteht und es rückwirkend auf die muslimischen Verbände den Effekt eines frischen Windes hat. Dann werden in Zukunft vielleicht auch endlich mal die Statements in der Öffentlichkeit klarer sein und Themen ansprechen, um die es auch wirklich geht. Wo ist zum Beispiel die klare und einheitliche Linie zur Säkularisierung? Ich suche jetzt zwar umgekehrt nicht danach, aber ich habe auch nicht das Gefühl, dass hier absolute Klarheit herrscht.
Wenn die Imame in Zukunft "Deutsche" sind und mit ihrer Gemeinde über lokale Probleme diskutieren können, einen Islam der Menschenrechte und Demokratie predigen, dann ist das ein ganz großer Fortschritt. Danke für dieses Interview und viel Erfolg.
Interessantes Interview
Danke, ein sehr interessantes Interview. Ich bin nicht überall der gleichen Meinung, aber finde es im Grunde eine richtige Initiative islamische Theologie zu leeren. Zumindest könnte das mehr Brücken als Spaltung mit sich bringen. Für "beide Seiten".
Ein sekularer Staat ist wichtig. Und der christliche Glauben ist da meiner Meinung nach noch viel zu verwoben mit der Politik. Vielleicht wird nach etwas Etablierung im Bezug auf den Islam von mehr Sekularität gesprochen, als beim Christentum :-).
Das ist ein Wort!
"...finde es im Grunde eine richtige Initiative islamische Theologie zu leeren."
Exakt. Die islamischische Theologie sollte soweit geleert werden, bis alle Enflüsse auf die Politik, die Gesellschaft und das Rechtssystem daraus entfernt sind und die Gläubigen sich auf den spirituellen Rest konzentrieren können.
Irgendwie wird mir dabei echt schlecht
Anstatt Fakultäten der christlichen Theologie endlich von den Universitäten zu verbannen, bekommt jetzt noch die nächste Religion einen akademischen Anstrich. Damit wir fröhlich weiterhin unsere Kinder mit staatlicher Förderung missionieren lassen. Gut, bundesweit mangelt es an Lehrern für MINT-Fächern, wenn wir jetzt genug Theologielehrer produzieren, könnten wir ein paar Mathestunden streichen und wir haben keinen Lehrermangel mehr, dafür gibt es ein paar Religionsstunden mehr, womit wir auch gleich eine Verwendung für die Theologen hätten.
Aber was soll man denn auch erwarten von einem Land, in dem Bischöfe im Staatsauftrag über den Atomaustritt reflektieren.
@ 4 akademischer Anstrich
Richtig. Der richtige Schritt wäre, die Theologie aus der Universität zu verbannen, gänzlich. Falsch ist, Lehrer vor Klassen zu stellen, im Staatsauftrag, die mit der gleichen Autorität ihre Urzeitmythen verkünden wie der Kollege in der nächsten Stunde Physik unterrichtet.
Wie wäre es mit Unterricht über Wotan & Co? Das finden alle absurd, nicht wahr? Genauso absurd ist Unterricht über Jehova & Co.
Wenn eine Ministerin einer Religion anhängt und in dieser irrationalen Geisteshaltung Gemeinsamkeiten mit einem Vertreter einer zugewanderten Religion findet, sollte das keine Legitimation ergeben, weitere Religionen in staatlichen Schulen als Lehrstoff zu behandeln.
Theologie und Universitäten
Religionen in Universitäten zu lehren und an ihnen zu forschen ist nicht nur ein wichtiger Faktor, um diese weiter entwickeln zu können und sie der Interdisziplinarität auszusetzen (und damit anpassungsfähiger zu machen), sondern auch der Garant einer gewissen gesellschaftlichen Kontrolle über diese Religionen.
Was Sie fordern wäre eher schädlich und würde dem unreflektierten "Hinterzimmer-Islamismus" doch nur in die Hände spielen.
Ich gebe Ihnen jedoch dahingehend recht, dass das Ausmaß der Verknüpfung zwischen Schule und Religion durchaus zu groß ist und man hier kritisch abwägen muss. Ich persönlich könnte mich als konfessionsloser durchaus mit einem strengen Laizismus anfreunden. Jedoch sollten wir keine Grundsatzdiskussionen führen, sondern uns eher fragen, wie wir den Islam integrieren und gesellschaftlich "kontrollieren" (im Sinne von Transparenz) können.
@ 8 kontrollieren
Ich glaube nicht, daß fanatische Anhänger des Islam durch einen in der Schule unterrichteten "europäischen" Islam kontrolliert werden können. Vielmehr werden solche Leute diesen "europäischen" Islam als Verwässerung und falsche Lehre ablehnen und weiterhin im Hinterzimmer den wahren Glauben lehren. Ob in Form von Wald- oder Tannenhonig.
Das einzige, was dabei rauskommt, ist, daß der Islam sich in Deutschland offiziell etabliert und dafür sogar noch kostbara Lehrerstellen erhält und Unterrichtszeit abzieht. Wie hoch ist nochmal der Stundenausfall so im Schnitt?
Frau Schavan handelt unverantwortlich.
Religion und Wissenschaft
Wie bitte schön soll denn Transparenz hergestellt werden, wenn zentrale Glaubenssätze nicht in Frage gestellt werden dürfen, wie Herr Uçar fordert.
Glauben und Wissenschaft - sorry, aber das passt nicht zusammen.
@11 Fanatismus
Wenn die Mehrheit der Muslime fanatische Anhäger wären, würde das richtig sein, was sie sagen. Dann müssten wir das Problem anders angehen.
Jedoch trifft das nicht zu. Die Mehrheit der Muslime sind normale Menschen, die einfach nur ihre Religion pflegen wollen. Und der Organisationsgrad der Muslime ist mir noch um einiges sympathischer, als der der christlichen Kirchen. Also warum den Muslimen nicht helfen, "ihren" Weg in Deutschland zu finden? So wie es jetzt ist, sind sie doch viel zu sehr vom Ausland abhängig und beeinflusst.
Das einzige, was ich ebenfalls kritisch sehe, ist die Möglichkeit der Religionen, in der Schule erzieherischen Einfluss auf Kinder zu nehmen. Die Grenze zwischen bloßer Aufklärung und konkreter Erziehung ist hier schwer zu ziehen. Schwieriges Thema. Hat aber zunächst einmal mit dem Thema in dem Interview nicht direkt was zu tun.
@13 "zentrale Glaubenssätze"
Diesen Punkt fand ich ebenfalls merkwürdig. In meinem Verständnis sollte eine akademische Beschäftigung mit der Religion absolut frei sein.
Das sehe ich wie Sie.
Jedoch sollte man auch einfach mal den Anfang machen erst. Es werden schon über die Jahre (hoffentlich) Leute kommen, die mutig und kritisch genug sind, ihre eigene Religion zu hinterfragen.
@ 14 Schule und Erziehung und Religion
Doch doch, das ist das Zentrum des Themas. Wenn eine Religion zum Unterrichtsfach erhoben wird, wird ihr damit der Status einer zu verkündenden Wahrheit oder Erkenntnis zugebilligt, analog zu den Forschungsergebnissen der naturwissenschaftlichen Fächer. Das ist unangemesssen. Den Schülern wird dadurch, mit Unterstützung des Staates, eine zentrale Bedeutung der Religion nahegebracht. Das ist für alle Religionen falsch. Religion ist Privatsache.
Sie sollten schon zwischen...
"...Wie bitte schön soll denn Transparenz hergestellt werden, wenn zentrale Glaubenssätze nicht in Frage gestellt werden dürfen, wie Herr Uçar fordert...."
... Theologie und Religionswissenschaft unterscheiden. Sog. "Islamwissenschaftler", die den lieben langen Tag und geradezu obsessiv, sowie aus einer ausgeprägten Feindbildperspektive nichts anderes machen, als das von Ihnen geforderte, gibt es wie Sand am Meer. Hier geht es um Theologie. Ähnlich wie es die katholische Kirche nicht hinnähme, dass ein katholischer Theologieprofessor seinen Studenten erläutert, dass die Sache mit der Dreifaltigkeit Mumpitz sei, kann niemand von Muslimen und ihren Repräsentanten verlangen, dass man sich mit einer Lehre anfreundet, die bspw. davon ausgeht, dass Mohammed nie gelebt habe.
Die Funktion der Theologie ist eine ganz andere als die der Religionswissenschaft. Anders als die (bekenntnisneutrale) Wissenschaft stellt die (bekenntnisgebundene) Theologie zentrale Glaubenssätze nicht in Frage, sondern erforscht und entwickelt den Glauben von diesen ausgehend.