Raus aus der Kirche
Seine Stimme dringt durch. Georg Schwikart singt mit Hingabe. Klar und kräftig fügt sein Tenor sich in den Klang des Gospelchores ein. Seine Augen glänzen, seine Schultern beben, seine Hände klatschen, und sein Mund lacht.
Seit der Kirchenaustrittswelle im vergangenen Jahr singen in dem Chor der evangelischen Gemeinde im Bonner Vorort Sankt Augustin viele Katholiken mit. Doch die Anwesenheit des 46-Jährigen geht weit über die übliche nachbarschaftliche Ökumene und den akuten Ärger über den Missbrauchsskandal hinaus. Denn im kommenden Monat wird der katholische Theologe zum evangelischen Glauben übertreten.
Der Auszug aus seiner katholischen Heimat ereignete sich schleichend. Bis vor Kurzem galt der gebürtige Düsseldorfer als Inkarnation des Katholischen schlechthin. Aufgewachsen als jüngstes von sieben Kindern in Monheim am Rhein, spielte sich sein Leben in und um die Kirche ab. Die Mutter war Küsterin, er selbst stieg in kürzester Zeit vom Messdiener zum Obermessdiener auf, der 70 Ministranten unter sich hatte.
Doch in Wahrheit war die heile katholische Welt für ihn schon damals zu klein. Noch im Ministrantengewand begann der Junge Georg für Frauenrechte zu kämpfen. »Ich wollte, dass auch Mädchen Messdienerinnen werden können.« Zumindest dieser Wunsch ist inzwischen in Erfüllung gegangen.
Zum kindlichen Gottvertrauen kam in der Pubertät eine rebellische Ader hinzu. Georg Schwikart wollte die Welt verändern, insbesondere die katholische. Also verlangte er die Freigabe des Zölibats und ein gemeinsames Abendmahl zwischen Katholiken und Protestanten. Die erste Abfuhr holte er sich als 20-Jähriger auf der theologischen Fachakademie in Neuburg an der Donau. 1985 musste er dort seine Ausbildung zum Gemeindereferenten wegen Aufmüpfigkeit abbrechen. Aus Rache kehrte er der katholischen Kirche den Rücken und trat in die evangelische Gemeinde seines Heimatortes ein. Nach elf Monaten allerdings kehrte er reumütig zurück.
Doch die doppelte religiöse Identität blieb. »Ich war katholisch im Bauch und protestantisch im Kopf«, sagt Schwikart. Er schob den Konflikt beiseite und stürzte sich in seine Arbeit als Publizist und Schriftsteller. Seine Bücher über die Vorbereitung von Kommunion, Taufe, Hochzeit und über die Weltreligionen (siehe www.schwikart.de) brachten ihm Anerkennung. Doch 2006 wollte er es genau wissen. Er begann in Köln eine Ausbildung zum Diakon. Vier Jahre lang besuchte er das erzbischöfliche Diakoneninstitut und leistete 20 Stunden ehrenamtlichen Einsatz pro Woche in seiner Gemeinde.
Heute sagt er, dass er sich wie ein richtiger Seelsorger gefühlt habe, wenn er Kindergottesdienste gestaltete und Predigten hielt. Doch im November 2010 kam die zweite Abfuhr – diesmal aus Köln. Als Kardinal Joachim Meisner ihm die Weihe zum Diakon verweigerte, traf das Georg Schwikart ins Mark. War wirklich etwas dran an dem ungeheuren Vorwurf, dass er im tiefsten Inneren nicht katholisch sei? Aber hatte er nicht katholische Theologie studiert? War er nicht exemplarisch katholisch sozialisiert? Führte er nicht als Ehemann und Familienvater ein vorbildliches katholisches Leben?
Das Kölner Verdikt verschlug dem eloquenten Publizisten die Sprache. Er zog sich zurück und schwieg. Er haderte mit Gott und mit sich selbst. Er litt. Und entschied sich schließlich doch für die Reformation. »Ich verlasse meine Kirche nicht im Zorn, aber der Protestantismus passt einfach besser zu mir.« Seine Worte klingen merkwürdig leicht, und der Tonfall seiner Stimme verrät die Erleichterung, endlich mit sich im Reinen zu sein.
Der Abschied aus der katholischen Heimat war schmerzhaft. Bis vor Kurzem, gibt Schwikart zu, habe ihn der Stillstand in seiner Kirche maßlos geärgert. Die Leute in den Gemeinden seien zwar moderner geworden, aber in der Lehrmeinung zu Zölibat, Frauenpriestertum, Geschiedenenpastoral oder Abendmahlsfrage habe sich seit 50 Jahren nichts bewegt. »Wenn die katholische Kirche meint, Frauen die Weihe verbieten zu können und damit im Namen Gottes zu sprechen, ist dies eine Anmaßung, die ich nicht mehr aushalte.«
Seit er den Entschluss zum Austritt gefasst hat, regt Schwikart sich nicht mehr über den Reformstau auf. Er hat sich von der Illusion verabschiedet, die Kirche von innen heraus erneuern zu können. Er hat die Lust verloren, sich an ungelösten Problemen abzuarbeiten. Er hält sich nicht mehr auf mit erbitterten Auseinandersetzungen über Dogmen und Doppelmoral. Er will schlicht und ergreifend seinen Glauben leben.
Natürlich hätte er sich einfach zurückziehen können in die innere Emigration, so wie viele katholische Laien und auch Priester. Doch der Wunsch, aufrecht zu bleiben, war stärker. Hier stehe ich! Nun macht er es also wie Luther. Georg Schwikarts Austritt aus der katholischen Kirche, der im vergangenen Jahr 180.000 Menschen den Rücken kehrten , wird ein Konfessionswechsel.
Es ist ein wehmütiger und zugleich wunderschöner Abschied. Diese Woche ist Georg Schwikart mit einer Gruppe aus seiner Kirchgemeinde in Rom und im Vatikan unterwegs. Die Reise war ein Geschenk für seine jahrelange ehrenamtliche Mitarbeit. Auch wenn er in der vertrauten Umgebung automatisch ein Ave-Maria betet, sieht er diesmal den Petersdom mit anderen Augen. »Es wird Zeit, sich wirklich abzunabeln. Ich bin gekommen, um Tschüs zu sagen.«
Kommentare
Warum also Leute glauben
Bemerkenswert, dass hier dargestellt wird, wie zwei Personen ihre Religion wechseln, aber "inhaltliche" Gründe kommen nicht vor.
Hat die Zugehörigkeit zu einer Religion denn nicht auch was damit zu tun, ob man an die religiösen Inhalte glaubt (also ob es nun einen Erschaffer des Universums gibt, der irgendwie eine Meinung zu unserem Leben hat oder so)?
Es scheint geradezu eine Sympathiefrage zu sein, woran geglaubt wird. Ich hoffe einfach mal, dass diese Leute ihre politische Wahlentscheidung nicht auch auf so einer unsachlichen Grundlage fällen.
Religiöser Glaube beruht nicht auf rationalen Erwägungen.
Das sagt ja schon das Wort "Glaube" aus.
Welcher religiösen Richtung sich jemand anschließt, ist in erster Linie seiner Sozialisation geschuldet, sprich in welche Kirche ihn seine Eltern gesteckt haben. Und wenn jemand die Kirche wechselt, dann hat das im allgemeinen keine sachlichen Gründe, sondern weil er sich entweder mit einer anderen Kirche emotional mehr verbunden fühlt oder weil er, wie im Fall des Herrn Schwikart, von seiner Kirche zurückgestoßen wurde.
Wer rational über Religion nachdenkt, kann eigentlich nur zum Atheisten werden. ;-)
Guter Artikel - Danke !
"Er hat sich von der Illusion verabschiedet, die Kirche von innen heraus erneuern zu können. Er hat die Lust verloren, sich an ungelösten Problemen abzuarbeiten. Er hält sich nicht mehr auf mit erbitterten Auseinandersetzungen über Dogmen und Doppelmoral. Er will schlicht und ergreifend seinen Glauben leben".
Mangel an Glaubwürdigkeit in der kath. Kirche
Vielen Dank, Herr Schwikart, für Ihre Offenheit, Ehrlichkeit, Gradlinigkeit – und vor allem für Ihre Glaubwürdigkeit. Ihr Lebenslauf kommt mir persönlich sehr bekannt vor – eine gewisse Spiegelbildlichkeit verspüre ich bis in meine letzte Faser.
Gleichzeitig ist Ihr Bericht, Herr Schwikhart, eine erneute Bestätigung meiner seit vielen Jahren vertretenen These, dass wir es nicht nur mit einer „Gotteskrise“ innerhalb der kath. Kirche zu tun haben, sondern vor allem mit einer Reformunfähigkeits-Krise, die viele Menschen verzweifeln lässt – vor allem dann, wenn man das jesuanische Vorbild der Kirche als Matrix zugrunde legt und einen Vergleich mit der kath. Kirche im Jahre 2011 anstellt. Viele Katholiken halten diesen Spagat nicht mehr aus, sie leiden an dem bestehenden Glaubwürdigkeitsdefizit und an einem Gefühl eigener Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts der von Macht und Herrschaft so irre geleiteten kath. Kirche des Jahres 2011.
In seinem jüngsten Interview mit der ZEIT sagte Hans Küng:
„Deshalb diagnostiziere ich in meinem neuen Buch eine kranke Kirche und meine damit krankhafte Strukturen: römisches Macht- und Wahrheitsmonopol, Juridismus und Klerikalismus, Frauenfeindlichkeit und Reformverweigerung.“
Dem möchte ich nichts hinzufügen – ausgenommen meine Bestätigung, dass Küng in allen Punkt recht hat.
Teil 2 folgt
Mangel an Glaubwürdigkeit in der kath. Kirche
Wie menschenunwürdig diese meine Kirche mit Menschen umgeht, mögen zwei kurze Meldungen verdeutlichen, die aber nach meiner Ansicht ein grundlegendes Spiegelbild der Machtversessenheit und Machtbesessenheit dieser kath. Amtskirche widerspiegelt:
Meldung 1:
Dass der langjährige bayerische Kultusminister und ehemalige Präsident der ZdK, Hans Maier, den von engagierten Katholiken getragenen Verein „Donum Vitae“ unterstützt, ist für Bischof Müller bereits Anlass, Maier zu untersagen, in kirchlichen Räumen des Bistums Regensburg seine Autobiografie vorzustellen.
Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert zu Recht: „Wer soll eigentlich noch Platz in der katholischen Kirche haben, wenn sie schon einem wie Hans Maier die Tür vor der Nase zuschlägt?“
Meldung 2:
Ohne (!!!) dem sich zu seinem Schwulsein bekennenden katholischen Theologen und Religionslehrer David Berger die Gelegenheit zu geben, zu den pauschalen Vorwürfen des Kölner Kardinal Meisner Stellung nehmen zu können, entzog der Kölner Kardinal dem Buchautor David Berger (Der heilige Schein) die Mission canonica.
Teil 3 folgt
@ star
Zur Meldung 1:
Der "von engagierten Katholiken getragene Verein Donum Vitae", wie Sie hier zuckersüß schreiben, ist nicht unumstritten. Genauer gesagt kann man es aus der Sicht eines Katholiken sogar für verwerflich halten, was dieser Verein tut. KANN, muss nicht. Der Verein ist eben umstritten und Bischof Müller ist eben einer derjenigen, die sich offensichtlich zu den Kritikern gesellen und Unterstützern dieses Vereins kein Forum bieten möchten.
Zur Meldung 2:
David Berger ist in meinen Augen ein Provokateur, der doch nur danach geschrien hat, ihm die Missio zu entziehen, damit er dann wiederum deswegen schreien kann. Jeder weiß, wie die kath. Kirche im Bezug auf Homosexualität eingestellt ist und das weiß insbesondere doch wohl ein studierter Theologe wie Berger, oder? Er wird sicherlich auch vorher schon gewusst haben, dass ihm die Missio Canonica wieder entzogen werden kann, wenn er einen entsprechenden Lebenswandel führt. Also so überraschend dürfte so etwas dann eigentlich nicht kommen. Die "Spielregeln" sind doch schon vorher klar. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe NICHTS gegen Homosexuelle und bin gegen Diskriminierung derselben. Aber wenn man sich als Schwuler unbedingt den einzigen Arbeitgeber aussuchen muss, bei dem verlangt wird, eben bitte keinen offen schwulen Lebenswandel zu führen, tja, was soll man dann dazu sagen? Ist das jetzt die Kirche schuld, die ihre Bedingungen doch schon vorher offen, ehrlich und klar äußert?