In Berlin formiert sich gerade eine neue politische Bewegung. Auf mehreren Partys wurde bereits darüber gesprochen. Es waren Partys, die hauptsächlich von Wohlhabenden besucht wurden, also Leuten, die in großen Altbauwohnungen leben, Bio essen, Honorarrechnungen ausdrucken und Smartphones benutzen.
Fast alle Berliner Wohlhabenden mussten in letzter Zeit erleben,
dass in ihrer Straße ein Auto angezündet wurde
. Es ist in Berlin Mode geworden, dass sogenannte Autonome nachts in die Stadtviertel der Bioesser und Smartphone-Benutzer hineingehen und dort mithilfe brennbarer Flüssigkeiten, meistens Grillanzünder, Autos anstecken. Sie wollen damit politisch etwas ausdrücken, sie wollen ihrem Unbehagen über den Reichtum in unserer Gesellschaft Luft machen. Die Polizei kann nicht viel dagegen tun.
»Wir müssen zurückschlagen«, sagte mir ein Betroffener, ein erfolgreicher Kulturmanager. Wer sage denn, dass der Kampf der Armen gegen die Reichen eine Einbahnstraße sein müsse? Ihm sei aufgefallen, dass in seinen Kreisen, unter den wohlhabenden Kreativen, immer weniger Leute einen Fernseher besäßen. Höchstens, dass man noch ein Altgerät hat, das irgendwo versteckt herumsteht und bei wichtigen Fußballspielen oder bei Bundestagswahlen benutzt wird. Alles Übrige regelt man mit dem Laptop. Neue Fernseher kauft sich kein Mensch mehr, der es im tertiären Sektor zu etwas gebracht hat. Wer aber eine Unterschichtwohnung aufsucht, vielleicht, weil der eigene Sohn auf dem Schulweg verprügelt wurde oder weil man eine Rechnung, an der Steuer vorbei, in bar begleichen möchte, der stellt fest, dass dort immer, wirklich immer, ein riesiger und sehr neuer Fernseher steht. Die Unterschicht fährt voll ab auf teure, große Fernseher.
»Wir müssen uns wehren«, sagte also der Kulturmanager. Er würde es gut finden, wenn kleine Gruppen, zwei oder drei Wohlhabende, tertiärer Sektor, nachts maskiert in die Unterschichtwohnungen einsteigen und dort die neuen, teuren Fernseher mit Eisenstangen kaputtschlagen. Wahrscheinlich würde das sogar Spaß machen. Anzünden sei leider zu gefährlich, man wolle ja keine Toten. Er schlage den Wedding vor, der fast ausnahmslos von der Unterschicht besiedelt sei. Im Wedding erwische es immer die Richtigen. Man müsse Farbdosen dabeihaben, und nach vollbrachter Tat müsse man an die Wand eine Parole sprühen, etwa: »Eure Armut kotzt uns an!« Oder: »Nie wieder Bauer sucht Frau!« Danach geht man an den Kühlschrank und killt die gesamten Biervorräte. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, mit Zwillen und Eisenkugeln die Satellitenschüsseln abzuschießen, eine Satellitenschüssel gehöre immer der Unterschicht.
Gewiss, die autonomen Autoanzünder seien vermutlich gar keine echten Unterschichtler, sondern Bürgerkinder, zum Teil wenigstens. Aber es gehe nicht um Gerechtigkeit, sondern um Selbstbehauptung. Die Autonomen würden ja auch oft Autos der Marke BMW anzünden, obwohl kein echter Wohlhabender BMW fährt. Wohlhabende fahren Rad. Das B in BMW steht für Bankkredit, das M für Möchtegernreicher, das W für »Will gern Karriere machen«.
Man muss den Wedding, der im Grunde eine schöne Wohngegend mit Potenzial ist, für die Unterschicht zur Hölle machen, sagte der Manager. Dann ziehen die aus. Er übernehme dann sehr gerne eine von deren tollen Altbauwohnungen im Wedding, und die könnten seinetwegen sein Loft in Prenzlauer Berg übernehmen. Prenzlauer Berg ist sowieso viel zu laut und zu voll geworden.
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Kommentare
Unterschicht muss nicht sein!
Ich schlage eher vor, statt den ganzen Biervorrat zu vernichten - ihn durch Bionade zu ersetzen. Und an die Stelle der zerschlagenen Fernseher in Weddinger Wohnungen Werke der Weltliteratur auszulegen.
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So lässt sich die Unterschicht abschaffen.
Bionade....
...hat mehr Zucker als Coca-Cola, schmeckt wie altes Harn und ist alles andere als PC...
Die unterste Oberschicht wird diesen herrlichen Stadtteil von
Berlin radikal zerstören.
Wenn diese Schicht ihr tristes Angestellten-Dasein in diesen
Stadtteil aufgenommen hat, wird dem Wedding das Leben genommen.
Der Wedding ist derzeit wohl noch der solideste Stadtteil
von Berlin.
Hier leben Menschen noch mit ihren Mitmenschen.
Experimentierfreudig und in herrlich buntem Durcheinander.
Kreativ und solidarisch.
Mit dem Einzug der untersten Oberschicht werden nicht nur die
Fernseher zerstört,Satelliten-Schüsseln enthauptet sondern der
gesamte Stadtteil getötet.
Triste Leere wird dann einziehen.
Der Wedding war rot,ist rot und muss rot bleiben.
Dafür haben in der Vergangenheit sehr viele Menschen gekämpft,
haben der staatlich verordneten Primitivität Kraft entgegengebracht.
Rot wie die Farbe des Regenbogens
Hallo bigbull,
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Zitate:
"in herrlich buntem Durcheinander
...
Der Wedding war rot,ist rot und muss rot bleiben."
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Hm.
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Rot wie die Farbe des Regenbogens, meinen Sie?
ich würde vorschlagen, dass sie einfach rtl2 und 9live und das ganze hartz4 tv (jugendwort für den programmbereich zwischen mitten im leben über big brother zu frauentausch) aufkaufen und zu machen / gegen was sinnvolles ersetzen. vielleicht steigt dadurch der iq der gesammten nation.
Ja bitte!
Arte auf all diesen Kanälen und Nachrichtensendungen (fundierte)... Dann würde ich mir glatt einen Fernseher anschaffen... Best E.
Besser:
- "den Reichen" eine weltweit gültige Luxussteuer auf ihr Einkommen spendieren, so dass pro Monat das übrig bleibt, wovon Harz X Empfänger leben müssen => mehr Einfühlsamkeit in die Nöte der Armen
- Erben abschaffen
- Armen Perspektiven geben
- kostenlose Bildung FÜR ALLE
- ...
Sicher kann die Liste noch sinnvoll und nicht polemisch ergänzt werden ;-)
Bitte verzichten Sie auf persönliche Angriffe und beschränken Sie Kritik auf inhaltiche Aspekte. Danke, die Redaktion/fk.
Die Leute, von denen Martenstein schreibt,
sind keine "Reichen". Die Forderung geht völlig an der Zielgruppe vorbei und bei aller Polemik ist sie einfach nur unsinnig.
Enteignung schafft Leuten, die im Alltag auf Unterschicht-TV zählen, keine Perspektiven
und
Bildung ist nichts, das man verteilt und dann hat es der Adressat. Sie muss erworben und ständig aktualisiert und angewandt werden. Wer sich dazu nicht in der Lage fühlt, wird nie Bildung erwerben.