Der durch das Mundwasser Odol binnen weniger Jahre reich gewordene Karl August Lingner (1861 bis 1916) vermachte seine herrschaftliche Villa an der Elbe, die im Volksmund nur Lingnerschloss heißt, der Stadt Dresden. Diese sollte das Haus der gesamten Bevölkerung zugänglich machen. Denn der Industrielle wünschte »kein Etablissement nur für reiche Leute«.
Von 1957 bis zum Ende der DDR kam es dann aber zu einer ganz anderen Nutzung des Anwesens am Loschwitzer Elbhang, es entstand dort die Heimstätte einer einzigartigen Pflege sozialistischer Bürgerlichkeit – daran erinnert das laufende Lingner-Jubiläumsjahr, unter anderem zum 150. Geburtstag des Unternehmers. Nachdem jüngst in der sogenannten Berliner Republik eine »neue Bürgerlichkeit« entdeckt worden ist und es auch in Deutschland wieder als legitim gilt, Reichtum zu zeigen und von Eliten zu sprechen, lohnt sich ein Rückblick auf die Elitenpflege im Arbeiter- und Bauernstaat. Er offenbart, wie das staatssozialistische Projekt der Schaffung einer neuen Gesellschaft von Paradoxien geprägt war – indem man Gleichheit durch Hierarchisierung so erzeugen wollte wie die endgültige Befreiung der Menschheit durch Zwang. Zugleich wird sichtbar, dass das Bedürfnis nach Distinktion eben in jeder Gesellschaftsform zu beobachten ist.
Innerhalb des von dem Dichter und späteren Kulturminister Johannes R. Becher geleiteten Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands wurden seit 1953 in den Bezirksstädten der DDR Klubs der Intelligenz geschaffen, so auch in Dresden. Zwei Jahre später setzte Manfred von Ardenne allerdings die Gründung eines zweiten, noch exklusiveren Zirkels durch, indem er die Einrichtung eines Dresdner Klubs im einstigen Wohnsitz Lingners vorschlug – dabei konnte er sich vor allem auf SED-Generalsekretär Walter Ulbricht berufen.
Das Erfindergenie von Ardenne, der an seinem Lebensende, ohne je studiert zu haben, stolze 600 Patente besaß, war nach dem Krieg für eine Mitarbeit am Atomwaffenprogramm der Sowjetunion zwangsverpflichtet worden (vielleicht, weil er einige Kompetenzen dafür schon während Hitlers verzweifelter Suche nach einer »Wunderwaffe« erworben hatte). 1955 durfte er mit Walter Ulbrichts Unterstützung ein großes Forschungsinstitut in Dresden aufbauen. Ulbricht hatte den Wissenschaftler gleich am Tage nach dessen Ankunft in der ihm zur Verfügung gestellten Villa auf dem Weißen Hirsch aufgesucht und ihm Staatsaufträge »für wirklich großzügige Forschungen« mitgebracht. Zusätzlich übergab ihm der damalige Dresdner Oberbürgermeister Walter Weidauer als Geschenk Ulbrichts eine nagelneue Limousine aus den sowjetischen Stalinwerken.
Derart hofiert, konnte Ardenne es sich leisten, für seine Klubgründung verschiedene »Attraktionen« zu fordern – und er machte dabei seinem Spitznamen roter Baron alle Ehre. Detailliert listete Ardenne auf, was nach seinem Empfinden unverzichtbar erschien: Speisesaal, Teezimmer, Unterhaltungsraum mit Sesselgruppen, Kaminzimmer mit großen Sofas, Tanzraum mit kleiner Bar, Bibliothekszimmer »mit Zeitschriften, auch ausländischen«. Außerdem getrennte Räume zum Musizieren, Fernsehen und Billardspielen, Wintergarten, Milchbar und Eisdiele, Türmchen »evtl. mit kleinem astronomischem Fernrohr«, Vortragssaal mit Experimentierbühne, Sauna und auch ein Spielzimmer für kleinere Kinder. Vergleicht man die damalige SED-Klubkultur mit heutigen, vor allem aus England und den USA übernommenen Modellen exklusiver Geselligkeit, so mag erstaunen, dass es in der Gleichheitsgesellschaft der DDR etwas sehr Ähnliches gab, selbst wenn damals in Dresden auch nicht alle Träume in Erfüllung gingen – der große Parkplatz sehr wohl, nicht hingegen der eigene Tennisplatz, nicht das »Schwimmbassin« (weder auf dem Dach, noch mit Liegewiese), nicht der erbetene »Stall für zwei Reitpferde« oder die »Esel für die Kinder«, die dann später zu Kinderfesten immerhin gemietet wurden.
Kommentare
Seltsam, außer Herrn von Ardenne
scheint man keine Mitglieder diese "Intellektuellen"-Clubs oder deren Geistesleistungen zu kennen. Waren es am Ende doch nur irgendwelche SED-verquickten Mitläufer und der Beweis der Intellektualität war die Anpassung ans System incl. entsprechender Bekenntnisse?
Sächsische Eigenarten
Für mich ist diese Exklusivitätssehnsucht in Dresden (und auch Leipzig) eine Erklärung dafür, warum diese Stadt sich noch über jede deutsche Gesellschaftskrise retten wird. Hier kommt ja nicht nur zum Ausdruck, dass sich das Bürgertum und nicht die "Eliten", das ist für mich fundamental verschieden!, einen Zusammenkunftsort ohne Berührungsängste wünscht und die Kraft hat diese Räume auch zu bilden.
Zu DDR-Zeiten waren die "Eliten" ja parteigebunden und armeegebunden, aber in diesen Klubs trafen sich Funktionsträger der Wissenschaften und Künste, also Milieus, denen im "Arbeiter- und Bauernstaat" das "Bildungsprivileg gebrochen" werden sollte.
Aber anders als in Berlin & Brandenburg definierten sich keine Milieus über einen Superiorismus, weder die Eliten, noch die Intellligenz, sondern durch ein In-Ruhe-Gelassen und Ungestört-Sein-Wollen. Dies ist für mich der Grund, warum Sachsen und Preußen sich nie verständigen konnten und nach wie vor nicht können. In Sachsen herrschte und herrscht immer noch ein offenerer Umgang zwischen "Eliten", Leistungsträgern und anderen bürgerschaftlichen Milieus. Man kommuniziert nicht über die Presse, sondern durch mehr oder weniger offene soziale Netzwerke, Zirkel, lose oder enge Vereine und "Kränzchen". Was für ein schönes Wort - typisch sächsisch!
Man kann nur hoffen, dass sich dieses informelle System noch lange erhalten wird und die Medienöffentlichkeit nicht schnell Fuß fassen wird in Sachsen!
Der wesentliche Treiber
dieser Zusammenkünfte Gleichgesinnter ist zuvorderst ein gemeinsames Interesse an einer bestimmten Sache oder einem Thema, oft von kultureller Natur, und das ist authentisch, ehrlich gemeint und steht im Vordergrund (Letztlich bildet dies Basis und Milieu vor allem für kulturelle Spitzenleistungen, z.B. Wiederaufbau Frauenkirche).
Die in anderen (im Zweifel westlicheren?) Städten üblichere Selbstvermarktung, Statusgehabe und Abgrenzung einer (vermeintlich) elitären Schicht von der in der gesellschaftlichen Rangfolge Nächstfolgenden - wie z.B. im Hamburger Überseeklub - tritt in den Hintergrund. Typisch sächsisch ist daran trotz der Pflege "elitärer Themen" die unprätentiöse Bodenständigkeit, Offenheit und eben das wirkliche, echte Sein, also eben weniger der äußere Anschein.