Einer hat es gewagt, für einen Augenblick. Es könnten künftig auch einmal »weniger« Autos gebaut werden , sagte der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Beginn seiner Amtszeit. Die Reaktionen: Verwirrung, Staunen, wütende Entrüstung.
Weniger? Das ist ein Tabu in der Politik – und erst recht in der Ökonomie. Die Wirtschaft soll weniger wachsen! Solch ein Satz, laut und öffentlich gesprochen, schadet der Karriere jedes Politikers, egal, welcher Partei. In diesem Punkt herrscht von der Linken, der SPD über die Grünen bis hin zur CDU/CSU und FDP die ganz große Koalition: Deutschland, Europa und die Welt brauchen Wirtschaftswachstum. Je mehr, desto besser. Kapitalismus ohne Wachstum? Eine Horrorvorstellung.
»Stimmt nicht«, sagt William Rees, ohne zu zögern. Der Kanadier forscht und lehrt seit Jahren, wie eine Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren könnte. Er ist überzeugt: Sie wäre besser für die Menschheit, für die Umwelt sowieso.
Der Ökonom erklärt das mit einem Bild vom Globus. Der ist bekanntlich rund und endlich. Rees erinnert trotzdem immer noch einmal daran und sagt, die Wirtschaft sei ein Subsystem dieser begrenzten Welt. Dann demonstriert er, wie die meisten klassischen Ökonomen die Wirtschaft am liebsten darstellen: durch eine steil nach oben wachsende, nicht enden wollende Kurve. Und schon ist er mitten in seinem Thema: Die Kurve beruhe auf einer falschen Annahme. Denn in einer endlichen Welt, so der Ökonom, könne kein Subsystem unendlich wachsen. Nicht mal, wenn man das Wachstum grün oder nachhaltig nennt!
Für Naturwissenschaftler ist dieser Satz eine Banalität. Rees erinnert auch daran gern, schon weil der Gedanke in den gängigen ökonomischen Modellen fehlt. Denn genau das hält er für das Grundproblem. Weil die Menschheit nun mal die Erde brauche, könne sie nicht dauerhaft deren Naturgesetze missachten. Genau das aber tue sie, sie zerstöre die eigenen Grundlagen. Dabei gehe es auch anders. Statt mehr müsse sie besser produzieren. Das Ziel sei eine »stationäre Wirtschaft«, die vor allem die Ressourcen verbraucht, die sie wieder herstellen kann. Eine, die im Einklang mit der Natur steht.
Das klingt verträumt, hätte in der Wirklichkeit aber radikale Folgen. Wo legt man in einer Volkswirtschaft, die nicht mehr wächst, sein Geld an? Wo sollen die neuen Arbeitsplätze herkommen? Und wie kommt dann noch das Neue in die Welt? Rees weiß um all die ängstlichen Fragen, er sagt deswegen beschwichtigend: »Eine stationäre Wirtschaft ist nichts, wovor man Angst haben muss.« Schließlich sei deren Ziel mehr Stabilität auf den Märkten, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr ökologische Sicherheit. Eine solche Wirtschaft sei auch mitnichten langweilig und unproduktiv. Denn auch in ihr werde weiterhin Altes durch Neues ersetzt, also alte Industrien durch neue, grünere. Nur dürfe die Wirtschaft als Ganzes eben nicht immer mehr wachsen.
William Rees ist längst nicht der Einzige, der so denkt. Weltweit gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Ökonomen, die nach den Bedingungen der Postwachstumsgesellschaft forschen. Sie wollen nicht viele Griechenlands schaffen, also Länder, deren Wirtschaft schockartig schrumpft, sondern einen behutsamen Übergang zu einer grüneren Postwachstumswirtschaft. Das kanadische Casse-Institut verfolgt dieses Ziel, im amerikanischen Portland in Oregon wurde jüngst ein Lehrstuhl dafür eingerichtet, in Frankreich gibt es die Decroissance-Bewegung, und auch in Deutschland trauen sich inzwischen ein paar Ökonomen, nach dieser steady state economy zu suchen.
Den Begriff und damit die ganze Denkschule hat der ehemalige Weltbankökonom Herman Daly geprägt. Er stellte fest, dass viele der Rezepte, die der Norden für die armen Länder bereithielt, dort zwar für Wachstum sorgten, nebenbei aber die Umwelt zerstörten und die Lebensqualität der Menschen nicht unbedingt erhöhten. »Wachstum bedeutet mehr Dinge, Entwicklung bedeutet bessere Dinge«, sagt Daly und fordert, Letzteres müsse Ziel der Politik werden und könne so quasi nebenbei das Wachstum reduzieren.
Kommentare
Die Anbetung eines ständigen Wachstums
wird in erster Linie die marktradikalen Wirtschaftsjunkies in die Depression befördern,
ob dann noch mehr passiert wird sich zeigen.
Die Sachje hat zwei gewichtige Haken.
Stagnierendes Wachstum setzt voraus, dass auch die Masse an Menschen stagniert oder gar abnimmt.
Innerhalb der westlichen Hemisphäre hat dies inzwischen weitestgehend Bestand.
Von der sogenannten 3. Welt, kann man dies absolut nicht behaupten.
Nimmt man dazu an, dass die Produktivität und Qualität der Wirtschaft wachsen, ohne dass der Gesamtumfang der Ökonmien wächst, dann hat man langfristig einen Rückgang an Bedarf für Arbeitskräfte.
[...]
Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf eine polemische Wortwahl. Danke. Die Redaktion/vn
Denkfehler
"Also was tun?
Warten, bis der 3. Weltkrieg oder ein daherkommender Killer-Virus das Menschen-"Problem" löst?"
Na was wohl, sich mit weniger zufrieden geben! Wenn jeder weniger arbeitet, dann können die Leute auch bei einem Nullwachstum weiterhin einem Job nachgehen.
Mehr Freizeit und das Problem ist gelöst.
Für die Wachstumsjunkies: Man kann ja auch damit anfangen endlich mal "geistiges Wachstum" zu generieren. Oder ein Wachstum des eigenen "Glückbefindens". Man kann auch ehrenamtlich arbeiten. Das schafft auch ein Wachstum (wenn auch nicht so einfach messbar), für andere und einem selbst.
"für schädliche Stoffe wie Kohlendioxid gehandelt würden"
Zur Information: Co² ist ein Grundbaustein für Leben und fundamentaler Bestandteil des Ökosystems Erde.
Kohlenstoffdioxid an sich ist also mitnichten "schädlich"!
Dazu braucht es noch viel Überzeugungsarbeit
So vernünftig das auch alles klingen mag, ich befürchte, dass sobald bzw. sofern die akuten Krisenssymptome weltweit gemildert sind, die einzelnen Reformempfehlungen wieder im diskursiven Nichts verschwinden oder aber diskreditiert werden:
Kein Wachstum mehr? Damit ist der Großteil der Wiwi und der bestehenden Entwicklungskonzepte dahin. Arbeitsreduktion und -umverteilung? Altes linkes Argument, das sofort als ewiggestriges,realitätsfernes Klassenkämpferargument abgetan würde. Weniger Konsum? Man hat den Menschen doch kognitiv jahrzehntelang in die Hirne gehämmert, dass genau darauf unsere Wirtschaft basiert. Ein anderes Finanzsystem? Gerade wird doch Realität und Geschichte hinsichtlich der seit 2007/2008 bestehenden Krisen diskursiv dergestalt umkonstruiert, dass nicht primär die Akteure auf den Kapital- und Finanzmärkten, sondern die politischen Instanzen daran Schuld seien (vergleiche die Diksussion über die "Staatsschuldenkrise" von lediglich schlecht haushaltenden Regierungen).
Glaube ich nicht!
Zumindest den Teil:
"Dazu braucht es noch viel Überzeugungsarbeit"
Das derzeitige Wachstumdiktat operiert im Prinzip mit zwei Methoden.
Einmal das persönliche Wertgefühl, wonach derjenige, der nichts schafft keinen Wert hat und der wo viel schafft viel wert ist. Diese wird eine Weile benötigen, aber es bedingt "lediglich" eine Neudefiniton von dem was man unter "Wert" versteht. Die Neusprechabteilungen würden das schon hinbekommen auch ohne jede grosse Umerziehungsschule. Es braucht nur postiv besetzte Prommies und die "Neuprogrammierung" würde funktionieren.
Die andere Methode ist Angst und Ausgrenzung in Richtung siehe oben. Ich kann mich an einen Versuch erinnern, wo ich ungewollt Beteiligter war. Dabei bot und suchte man per Stellengesuche MitarbeiterInnen, die aus ihren gewohnten Arbeitstrott heruas (wo es auch immer um Wachstum geht) nach Perspektiven suchten endlich etwas sinnvolles zu tun. Es stellte sich am Ende als Testballon heraus, wo man sich bei den vielen Bewerbern entschuldigte. Will schreiben. Der Wunsch etwas Sinnhaftes bei angemesseneer Bezahlung zu tun ist durchaus verbreitet und wenn ich mich persönlich umhöre mehr als man denkt. Die Angst vorm sozialen Abstieg wegen falscher Wertebelegung (siehe oben) ist der Hauptpunkt, es nicht zu tun.
Hinzu kommt das bescheidene Angebot.