Jeder, der an diesem Montag von Norden aus den Dortmunder Flughafen anflog, sollte als Erstes das Hakenkreuz sehen. Dreißig mal dreißig Meter, hineingetrampelt in ein Maisfeld im Stadtteil Scharnhorst am 17. Oktober. Eine Botschaft, 900 Quadratmeter groß, die Rechtsextreme seit Jahren verbreiten: Dortmund ist unsere Stadt.
Zwischen 2005 und 2010 verzeichnete der Verfassungsschutz 1080 Taten mit rechtsextremem Hintergrund in Dortmund, so viele wie in keiner anderen Stadt in Nordrhein-Westfalen. 2004 wurde hier Mehmet Kubașk in seinem Kiosk erschossen, das achte Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (siehe Kasten). Vor wenigen Wochen verabschiedete der Rat der Stadt einen Aktionsplan für Vielfalt und Toleranz. Darin findet sich das Fazit: »Unsere Stadt ist für die rechtsextreme Szene ein Anker- und Kumulationspunkt, sie dient Rechtsextremen als Brückenkopf für Aktionen im ganzen Bundesgebiet.« Keine Stadt schreibt so etwas gerne über sich. Was ist da geschehen, in Dortmund, im Ruhrgebiet, tief im Westen der Republik?
Nach Dortmund Dorstfeld sind es vom Stadtzentrum aus nur ein paar Minuten mit der Bahn. Von der S-Bahn-Haltestelle kann man nach links gehen, nach Oberdorstfeld in den Steinauweg, dort leben in mehreren Wohnungen die Mitglieder der Skinheadfront Dorstfeld. Oder man geht nach rechts, zum Wilhelmplatz nach Unterdorstfeld, dort wohnen die Autonomen Nationalisten (AN).
Auf dem Wilhelmplatz warten Harriet Ellwein, 58 Jahre, Dorstfelderin, angestellt bei der Stadt, und Heiko Hamer, 59, Referent bei einem Dortmunder Bildungswerk. Seit ungefähr zehn Jahren engagieren sich Ellwein und Hamer in der Stadtteilinitiative Runder Tisch für Toleranz und Verständigung in Dorstfeld – seit die Neonazis versuchen, Dorstfeld für sich zu beanspruchen . Um die beiden herum kleben auf dem Wilhelmplatz an jedem Laternenpfahl, Fahrradständer, Blumenkübel und Mülleimer Nazi-Aufkleber, die meisten halb abgeknibbelt, sie kündigen die Rudolf-Hess-Gedenkwochen an oder fordern Solidarität mit einem Holocaust-Leugner. An der Bushaltestelle Graffiti, die für die Demonstration am Antikriegstag werben, zu der jedes Jahr Anfang September Rechtsextreme aus ganz Deutschland nach Dortmund reisen.
Ellwein und Hamer erzählen, dass die Rechten auf Vereins- und Kirchenfesten auftauchen, durch die Straßen marschieren, mit Flyern Jugendliche vor Schulen anwerben. 2009 flog ein Stein durch das Fenster einer Wohnung, nur wenige Schritte vom Wilhelmplatz entfernt. Die Familie, die dort wohnte, hatte immer wieder die Aufkleber abgerissen, ihr Haus wurde beschmiert, die Scheiben ihres Autos zerschlagen. Der Bürgermeister kam, versicherte seine Unterstützung, die Presse berichtete. Dann pinnten die Rechten Steckbriefe an die Laternen auf dem Wilhelmplatz. Die Familie zog weg.
Die Rechtsextremen haben ein Klima der Angst erzeugt
Das war der Moment, an dem es Harriet Ellwein reichte. »Wir wollen uns unseren Stadtteil nicht wegnehmen lassen«, sagt sie. Auch deswegen haben Hamer und sie sich entschlossen, unter ihrem richtigen Namen in diesem Artikel zu sprechen. Das ist in Dorstfeld nicht selbstverständlich. Nicht nur normale Bürger, sondern auch Personen, die von Berufs wegen eigentlich öffentlich mit ihrem Namen gegen rechts stehen müssten, trauen sich das nicht.
Die Rechtsextremen haben es geschafft, in Dorstfeld ein Klima der Angst zu erzeugen. Sie treten selbstbewusst auf, aber einige Bürger lernen auch, sich selbstbewusst dagegenzustellen. Am 3. September, als rund 800 Rechtsextreme zum Antikriegstag in Dortmund demonstrierten, feierte der Runde Tisch Dorstfeld auf dem Wilhelmplatz ein Bürgerfest. »Abends bauten sich ungefähr dreißig Rechtsextreme vor uns auf, wir haben uns eingehakt, gegenübergestellt und sie angebrüllt, bis sie abzogen«, sagt Harriet Ellwein. Es war, sagt sie, ein gutes Gefühl.
Kommentare
2 Rädelsführer ab 2012 vor Gericht
Glückwunsch an den Staatsanwalt!
Sie haben den "Rechtsblindtest" bestanden und dürfen weiter in deutschen Amtsstuben Dienst tun. 3 Jahre nach der vorläufigen Festnahme von 200 Rechtsextremisten, die unter anderem mit Holzknüppeln eine 1. Mai-Kundgebung der Gewerkschaften gestürmt haben (also Körperverletzung unter Verwendung gefährlicher Werkzeuge, Landfriedensbruch etc) kommen 2 Rädelsführer vors Amtsgericht. Vermutlich, weil sie einem Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz widersprochen haben.
Falls es eines Tages zur Verhandlung über die Messerstecherei kommt, sagt mir meine Glaskugel, daß der Videobeweis nicht zugelassen wird, weil in der Kneipe kein Hinweis auf "videoüberwacht" hing.
Also: "Im Westen nichts Neues"
"Klima der Angst"
Es wird der Eindruck erweckt, dass es sich bei dem gern und immer wieder zitierten Fall der Familie um engagierte Personen handeln, die wahllos herausgegriffen und terrorisiert wurde von den Rechten. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, dass der Sohn der Familie in der linken Szene aktiv ist und das der Auslöser für die Übergriffe und vermutlich auch der Grund für die Zurückhaltung der Behörden war. Andere engagierte Dortmunder, ohne entsprechende Verbindung zur linken Szene bleiben unbehelligt. Das ist mein Informationsstand zu diesem Fall.
So wie das in der Dortmunder lokalen Presse und jetzt sogar auch in der Zeit kolportiert wird, muss der Eindruck entstehen, dass man als engagierter Bürger gegen Rechte in Dortmund Angst haben muss. Ist das so gewünscht?
Es gibt kein Klima der Angst. Mir bereitet Sorge, dass Bürgern das Bild vermittelt bekommen, dass sie bei Engagement gegen Rechts terrorisiert werden.
Als ich anfangs der Woche den weiteren Artikel zum Thema von Herrn Jacobsen (vom 12.12) an andere Dorstfelder und Dortmunder weitergeleitete, reichten die Reaktionen darauf von Unverständnis bis Verärgerung.
Aus welcher Quelle haben Sie die Schätzungen dass es sich um 50 fest installierte aktive Rechtsextreme in Dorstfeld handelt? Oder meinen Sie ganz Dortmund?
Welche Rolle spielt bei der ganzen Problematik die linke Szene in Dortmund?
Hier wird eine Bedrohungsszenario konstruiert
das es so nachweislich nicht gibt.
So heißt es im Artikel dass zwischen 2005 und 2010 der Verfassungsschutz "1080 Taten mit rechtsextremem Hintergrund in Dortmund" verzeichnete. Eine Zahl mit der man so allein nichts anfangen kann. Wie viele dieser Straftaten waren eigentlich Gewalttaten, wie viele Straftaten mit linksextremen Hintergrund, wie viele Straftaten durch "Migranten" ereigneten sich im selben Zeitraum?!
Was ist mit den Brennpunktvierteln in der Dortmunder Nordstadt, durch die in den Achtzigern Neonazis "Ausländer" gejagt haben sollen. Wer macht in der Nordstadt heute Jagd auf wen? Deutsche extreme Rechte auf die "Ausländer", oder ausländische (Türkei- und Arabienstämmige) auf die "Deutschen"? Wie viele Deutsche ohne Migrationshintergrund gibst da eigentlich noch in der Dortmunder Nordstadt!?
Hier wird doch sehr viel übertrieben!