Immer wenn dieses Gefühl sie überkommt, geht Gudrun K. in Gedanken in ihr Bad, steigt in die Wanne, nimmt einen Hochdruckreiniger und spritzt sich damit von oben bis unten ihre Haut weg. Wie den Panzer einer Schildkröte sieht sie dann die Dreckschicht, die in großen Brocken abplatzt.
Sie sitzt auf einem Stuhl neben der Therapeutin, mit der sie dieses Vorstellungsbild erarbeitet hat, und während sie erzählt, dreht sie pausenlos einen kleinen Amethyst in ihrer Hand. Gudrun K. sagt: "Weil die Empfindung so extrem ist, hatte ich das Gefühl, ich brauche etwas Extremes, um sie loszuwerden."
Den Dreck auf ihrer Haut sieht niemand – außer ihr. Früher war das anders. Da klebte der Dreck tatsächlich auf ihr, mal klebrig und stinkend, immer dann, wenn erst ihr Vater und später ihr Ehemann sie vergewaltigten.
Gudrun K. ist heute 57 Jahre alt. Zusammen mit 29 anderen Frauen nimmt sie an einer Pilotstudie der Universität Frankfurt am Main teil. Sie alle erfuhren in der Kindheit sexuelle Gewalt, und sie alle leiden – noch Jahrzehnte nach dem letzten Übergriff – an dem Gefühl, schmutzig zu sein.
Die Diplompsychologin Kerstin Jung hat mit Kollegen einen Therapieansatz entwickelt, der sich – ausschließlich – der Vorstellung widmet, dreckig zu sein. In vielen Therapien für Posttraumatische Belastungsstörungen wird darauf bislang nicht gezielt eingegangen. Dabei sind ungefähr sechzig Prozent aller Menschen davon betroffen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, wie eine Studie der kanadischen Psychologen Nichole Fairbrother und Stanley Rachman belegt.
Viele Patientinnen wissen gar nicht, dass die Fantasien eine typische Folge von sexuellem Missbrauch sind. Sie sehen darin nur ein Indiz dafür, abnormal zu sein. Sie fühlen sich dreckig, böse und sie schämen sich dafür. In Frankfurt sollen sie lernen, diese Gefühle zu kontrollieren.
Gudrun K. wusch ihre Wäsche nicht zusammen mit der Kleidung ihres Sohnes und benutzte nicht die Seife anderer. In der Öffentlichkeit bewegte sie sich in ständiger Furcht vor Berührung, und auch sich selbst wollte sie nicht anfassen. Berührte sie jemand, kroch ihr der Geruch des Missbrauchs in die Nase. "Es ist auf der Haut, im Mund, alles nur Ekel", sagt sie. Sie trug langärmlige Jacken, auch wenn es draußen warm war. Um Hautkontakt zu vermeiden, fuhr sie nie Straßenbahn. Gudrun K. fühlte sich beobachtet, wurde nervös, schämte sich. Am Ende verlor sie ihre Arbeit und verließ das Haus nicht mehr.
Die Diplompsychologin Jung hat diese Entwicklung auch bei anderen Patientinnen beobachtet: "Oft wirkt das Gefühl wie ein Beweis: ›Wenn ich mich so fühle, dann muss es auch so sein.‹ Das wirkt sich stark auf das Selbstbild aus: ›Ich bin eklig, das heißt, ich bin wertlos.‹"
Zu Hause schnitt und schabte sich Gudrun K. mit Messern die Haut ab, in der Hoffnung, den Dreck loszuwerden. Eine andere Patientin hungerte, weil sie das Gefühl hatte, sich von innen zu besudeln. Eine dritte entwickelte einen heftigen Waschzwang, reinigte sich mit Terpentinöl und Metallbürsten. Alle Patientinnen isolierten sich.
In der Therapie lernen die Frauen, Realität und Fantasie wieder auseinanderzuhalten. In einer ihrer ersten Übungen recherchieren sie im Internet, wie oft sich die Haut erneuert hat, seit dem letzten Kontakt zum Täter: Alle vier bis sechs Wochen wachsen sämtliche Hautzellen komplett nach – im Fall von Gudrun K. 252 Mal. Auf ihrer Haut können keine Spucke, kein Sperma oder Blut des Täters mehr haften. "Das ist eine wichtige Information, und die Patientinnen verstehen das kognitiv, aber dann kommt immer ein ›Ja, aber!‹", sagt Kerstin Jung. Sie wüssten zwar, "Ich bin nicht schmutzig", fühlten sich aber anders.
Kommentare
4. Absatz von unten
Der Kommentar eines fach-fremden Psycho-Rüpels:
"Angst, die Kontrolle zu v e r l i e r e n ", muss man da nicht auch an Krankheitsgewinn denken? Sehen können wir doch nur die Haut, nicht aber die innere Verwirrung incl. Folgeschäden, und alles auf vielleicht vorher schon wackeligem Fundament.
Es müsste sehr schwierig sein, über die Fälle zu schreiben, bei denen jede Hilfe scheitert.
Die Angst, die Kontrolle zu verlieren, ist ja auch berechtigt, weil wenn durch so eine Therapie das "Erinnern" angestoßen wird, und die ganzen Erinnerungen hochkommen, dann muss man damit auch klar kommen. Dann gibt es nämlich kein Zurück mehr. Ohne die Sicherheit, dass man da aufgefangen werden kann, kann so eine Therapie sehr gefährlich werden.
Fatal wäre, wenn die Kontrolle erstmal verloren ist, und man dann alleine gelassen wird.
Und wenn die Patienten Angst haben, dann kann das auch ein Signal der Psyche oder des Körpers sein, dass es noch zu früh ist. Und sowas muss man dann auch ernst nehmen und respektieren.
Die einen verkraften solche Vergewaltigungen
und andere nicht.
Es gibt kein einheitliches Muster.
Wie krank wäre ansonsten die Gesellschaft bezogen auf Frauen gewesen, denkt man an die Nachkriegszeit.
So viele Mädchen und Frauen wurden Opfer, aber die Sorge ums Überleben der gesamten Familie muss wohl alles beiseite gedrängt haben.
Denkt man an die Leidensgrenze, so hat da jeder einen anderen Spitzenwert des zu ertragenen.
"... beiseite gedrängt ..."
... und oft genug dann der nächsten Generation aufgeladen!
Kein Wunder, dass man sich manchmal nachher nur wundern kann.
Opfern helfen, Offenheit schaffen, Wir brauchen Euch
Das Problem ist, dass Missbrauchte oft schweigen. Daher setzt auch eine Heilung nur schwer ein und es kommt zu Verdrängungen s.o..
Warum schweigen Missbrauchte?
Weil Sie abgestempelt werden, wenn Sie sich „outen“
-Du bist ein Missbrauchter,
* so einer, der missbraucht sicher dann auch wieder Andere.
* ach der will ja nur die kath. Kirche schlecht machen.
* die bleibt Ihr Leben lang krank und komisch.
-> Opferstatus anerkennen,
Jemand der mit dem Auto angefahren wird, wird auch nicht einfach auf der Straße liegen gelassen und muss darüber schweigen.
-> spezialisierte Therapiemöglichkeiten
und bitte Frau Schavan nicht nur Forschungsgelder für die Täter sondern zuerst! für die Opfer.
-> Verjährungen ganz abschaffen
(dann können auch geheilte Opfer Anzeige erstatten, die Täter sind ja oft Wiederholungstäter). Auch wenn die Taten nicht mehr nachweisbar sind, wird es im Wiederholungsfall dann einfacher für das nächste Opfer sich zu wehren.
-> ein offenes Klima. Wenn keiner mehr schweigt, müssen sich die Täter fürchten.
-> abschreckende Strafen für überführte Kinderschänder.
Elisabeth missbraucht mit 8a v. kath. Pfarrer.
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Im aktuellen Fall aus Salzgitter. Kath. Pfarrer gesteht Jungen (zw. 9a !!!! und 15a) 280 Mal missbraucht zu haben. Strafe max.! sechseinhalb Jahre Gefängnis
Die Mutter, die es angezeigt hat, erzählte, sie werde inzwischen von einigen Gemeindemitgliedern gemieden.
Versteht Ihr was ich meine?
Dauerhaft beschmutzt...
...fühlte ich mich als Betroffene eigentlich erst, NACHDEM ich darüber geredet habe. Dann fängt nämlich die ganze Spirale erst an: Man wird darüber ausgequetscht, mitleidig angesehen, wird von einigen in Watte gepackt, andere wissen nicht, wie sie mit dem Wissen umgehen sollen und meiden einen, wie auch immer die Reaktionen der Gesellschaft geartet sind, es wird nichts mehr so sein, wie es mal war. Natürlich muss ein Täter bestraft werden, und dafür ist es auch wichtig, dass das Opfer sich jemandem anvertrauen kann. Aber auch nur dafür. Das schmutzige Gefühl geht davon meist nicht weg, sondern man wird durch die Spiegelung seines Umfeldes noch viel sonderbarer.
Tolle Studie.
"Viele Frauen fühlen sich nach einer Vergewaltigung dauerhaft beschmutzt."
Männer hingegen fühlen sich wohlig und rein!
Warum wieder nur Frauen?
Männliche Kinder die Opfer von Vergewaltigung werden:
Gibt es scheinbar nicht!
Ich denke, hier ist ganz sicher nicht
der Platz für Geschlechterkampf. Wenn diese Therapie eines der wesentlichen Begleiterscheinungen von Vergewaltigungsopfern reduzieren helfen kann, dann ist diese Pilotstudie auch für männliche Opfer hilfreich. Und darum geht es - Opfern da helfen, wo sie die Hilfe brauchen.