Als das Deutsche Theater Berlin (DT) im vergangenen Dezember die Premiere von Bruce Norris’ Schauspiel Clybourne Park absagen musste, als im Januar über Dieter Hallervorden und sein Schlossparktheater wegen der Produktion Ich bin nicht Rappaport von Herb Gardner ein "Shitstorm" (Hallervorden) hereinbrach, war – abseits, nicht auf den Bühnen – viel schlechtes Theater zu erleben. Beide Häuser hatten angekündigt, schwarze Figuren mit weißen, dunkel geschminkten Schauspielern besetzen zu wollen – mit Verweis auf die Kunstfreiheit, auf fehlende schwarze Darsteller, die man gesucht, aber nicht gefunden habe, und auf Shakespeares Othello, der auch meist von Weißen gegeben werde.
Während Kritiker sich von der Besetzungspolitik der beiden Berliner Bühnen an das in den USA längst verpönte "Blackfacing" erinnert fühlten (Weiße spielen und denunzieren Schwarze), warfen Fürsprecher damals dem Pulitzer-Preisträger Bruce Norris, der dem Berliner DT die Aufführungsrechte entzogen hatte, umgedrehten Rassismus vor: Gerade weil er darauf beharre, Charaktere werkgetreu zu besetzen, huldige er jenem Übel, das er ablehne.
Nachfragen im Staatstheater Mainz hätten Dialektik durch Fakten ersetzt: Dort hat man es sich zur Aufgabe gemacht, den Dramatiker Norris einem deutschen Publikum zu erschließen. Bereits 2009 zeigte man in Mainz sein Stück Reiz und Schmerz, das die vielfältigen Daseinsformen der Fremdheit in einem familiären Mikrokosmos thematisiert. Dabei ließ der Mainzer Intendant und Regisseur Matthias Fontheim, mit Billigung des Autors, eine schwarze Figur durch einen Exiliraner verkörpern. Und als Fontheim im vergangenen November Clybourne Park zur deutschsprachigen Uraufführung brachte, gelang in Mainz das, woran das finanziell ungleich besser ausgestattete DT scheiterte: Schwarze durch Schwarze verkörpern zu lassen.
Am Freitag hatte nun in Mainz das Norris-Stück Die Unerhörten Premiere – mit fünf schwarzen Darstellern, darunter Lara-Sophie Milagro, die in Berlin das afrodeutsche Ensemble Label Noir leitet. Dieses sinistre und kongenial inszenierte Kammerspiel um eine multiethnische Abendgesellschaft, die im postkolonialen Afrika sich selbst und ihre Werte vergisst, ist ein Beispiel dafür, wie sich mit der Besetzung eines Stücks auch dessen Aussage ändern kann. In Die Unerhörten sind Schwarze die Ausbeuter und Folterer, und Weiße sind lediglich die Profiteure der schwarzen Herrschaft. Wären die Rollen nicht gemäß der Vorlage besetzt worden, hätte die Inszenierung den Kern des Stücks verfehlt: Sie hätte nicht die ontologische Dimension der Schuld, sondern – nach Guantánamo und Abu Ghraib – lediglich die Auswüchse westlicher Herrschaft und den Verrat demokratischer Ideale gezeigt. Aus einem Stück über menschliche Urkonflikte wäre ein Manifest geworden. Fontheim kann Norris deshalb verstehen: "Ich finde es schwierig, die Rollen in Clybourne Park nicht mit Schwarzen zu besetzen. Es gibt viele schwarze Darsteller, die Engagements suchen."
Blicken wir nach Mannheim. Am dortigen Nationaltheater gehört seit 2006 der schwarze Schauspieler Peter Pearce zum Ensemble. Den Einwand anderer Theaterleiter, das Engagement eines schwarzen Ensemblemitglieds lohne nicht, weil es keine Rollen gebe, lässt der Mannheimer Schauspiel-Chef Burkhard C. Kosminski nicht gelten: "In Mannheim versuchen wir, die Gesellschaft im Ensemble abzubilden. Pearce ist eine Bereicherung."
Die Beispiele aus Mannheim und Mainz belegen, dass es anders geht, wenn Theater anders wollen. Was nützt es, wenn man die Welt im Fiktionalen erschließt, sich aber der Realität verweigert? Wer dem Theater seine Legitimation erhalten will, darf es sich auch bei Besetzungsfragen nicht zu einfach machen. Sonst ist Gesellschaftskritik bloße Attitüde.
Kommentare
Die Einteilung der menschlichen Gesellschaft
in "schwarz" und "weiss" ist purer Rassismus.
Und übrigens ganz unrealistisch.
ja und nein
Was Biologie angeht haben Sie natürlich recht, ich denke hier geht es aber um die gesellschaftliche Wahrnehmung, und da gibt es eben noch viele Menschen die in solchen "Farbschemen" denken, und dann muss man es auch nennen können um zu thematisieren. Es gibt ja neben einem Hautfarbendiskurs noch die Frage von Ausgrenzungserfahrungen, die ein "weißer" Schauspieler z.B. i.d.R. nicht gemacht haben wird.
Ich empfehle zu diesem Thema allgemein übrigens das Buch "Deutschland Schwarz Weiß" von Noah Sow.
Die Forderung, „schwarze“ Rollen mit „schwarzen“
Schauspielern zu besetzen, ist in etwa so absurd wie die Forderung, „weiße“ Rollen mit „weißen“ Darstellern zu besetzen.
Ich halte es für sehr viel gravierender, wenn Schauspieler, deren Hautfarbe vom mitteleuropäischen Durchschnitt abweicht, tatsächlich nur als stereotype „Schwarze“ besetzt werden.
"Farbenblinde Inszenierung"
Zustimmung zu dem zweiten Absatz in #3.
Aber trotzdem sieht ein angemalter weißer Schauspieler eben aus wie angemalt, nicht wie ein schwarzer Schauspieler... Und dazu sagt der Artikel schon: "Wären die Rollen nicht gemäß der Vorlage besetzt worden, hätte die Inszenierung den Kern des Stücks verfehlt:..."
Es gibt genügend Stücke, wo es egal ist, welcher Abstammung der Schauspieler ist, aber bei bestimmten Stücken funktioniert die "farbenblinde Inszenierung" nicht.
Der Vergleich mit dem Blackfacing hinkt in Deutschland übrigens. Blackface ist nicht "einfach schwarz anmalen", Blackface ist, weiße Schauspieler als "Sarotti-Mohr" übertrieben zu schminken und in Comedyform (Minstrel Shows, Lächerlichmachen von Schwarzen) auftreten lassen. Eine solche Tradition hat es in DE meines Wissens nicht gegeben, insofern ist die einfache Übertragung des Begriffs irreführend, insbesondere wenn man wiederum mit Amerikanern diskutiert.
Und wieder mal meldet sich die Rassismus Empörungsindustrie.
Hat nicht erst vor kurzem ein Abgeordneter der Linken gefordert das Wort "Schwarzfahrer" abzuschaffen?
welche Industrie?
Welche Industrie meinen Sie? Wollen Sie jetzt behaupten, die schwarzen Schauspieler hätten in Deutschland eine riesen Lobby und wollten die Kulturindustrie beherrschen?
Was ist daran problematisch, auf rassistische Entwicklungen hinzuweisen?!
Oder sind Sie selbst mit Ihrem Beitrag nicht etwa selbst Teil einer Empörungsindustrie?
Naja...
Schauspieler sind zu aller erst Menschen die so tun als ob. Ein Schauspieler trägt schon im Berufstitel, dass er nicht derjenige ist welcher er darstellt.
Da wir das wissen haben wir keine Probleme damit, dass ein Schauspieler die verschiedensten Personen verkörpert. Wir haben auch keine Probleme damit falls dazu eine Art der Verkleidung gehört ... wie jemanden alt schminken, zum Bettler machen oder zum Halunken. Auch hier könnte man meinen, dass man nur Alte von Alten spielen lassen solle.
Eine Stücknahe Besetzung ist gut .. aber kein Muss. (wie besetze ich einen Mörder?)
Ginge es zum Beispiel um einen Japaner würde sich niemand erregen, dass dort kein echter Japaner auf der Bühne steht....
Auch sollte man sehr Vorsichtig sein zu Argumentieren, dass ein schwarze Schauspieler eine Rolle durch sein schwarz-Sein an sich schon realistischer Darstellt. Hier ist die Gefahr, dass man ihn nicht zuerst als Schauspieler sieht (der er ja ist) sondern ihn mit der Roller identifiziert, als ob er die Erfahrungen der Rolle in sich trägt.